Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Enteignung (A. Reichsgebiet) 
  
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auch für den Bau von Landstraßen, für Festungs- 
bauten usw. sind E. in großem Umfange vorge- 
nommen worden. Diese Verhältnisse haben zu 
einer eingehenden gesetzlichen Regelung des ER 
geführt, zuerst in Frankreich. Dem französischen 
Vorbilde sind auch fast alle deutschen Staaten 
gefolgt. Sie haben durch besondere Gesctze eine 
Regelung der Voraussetzungen, Formen und Wir- 
kungen der E. vorgenommen (s. die einzelnen 
Gesetze am Schlusse unter „Quellen“). 
6 3. Die rechtliche Natur der Enteignung. 
a) Zwangskauftheorie: Die E. ist er- 
zwungener Verkauf; sie enthält äußerlich alle 
wesentlichen Merkmale des Kaufs, Ucberlassung 
einer Sache gegen einen bestimmten Preis, der 
zum Kaufe notwendige Konsens der Beteiligten 
wird durch das Gesetz suppliert (heute noch für 
das preußische Ert: Eger). Die Thoeoric ist zuerst 
mit durchschlagendem Erfolge widerlegt worden 
von Laband, dann auch von Georg Moyer. Sie 
kann heute, nachdem das Reichsgericht auch für 
das preuß. Recht dagegen Stellung genommen 
hat (Entsch 61, 102 ff), als überwunden gelten. — 
bv) Die E. ist zweiseitiges obligato- 
risches Rechtsverhältnis, aber nicht 
Vertrag, sondern obligatio quasi er 
contract u nach dem Typus des Kaufs, er- 
zeugt durch den Zustand, daß Jemand Eigentü- 
mer einer zum öffentlichen U benötigten Sache ist. 
Diese Auffassung von G. Meyer (1868), der im 
Grunde dieselben Bedenken entgegenstanden wie 
der Kauftheorie, hat keine Anhänger gesunden, 
sic ist auch später von Moyer selbst wieder auf- 
gegeben worden. — c) Die öffentlich- 
rechtliche Auffassung: Die E. ist ein- 
seitiger Staatsakt und erzeugt als solcher 
kraft Gesetzes (Laband, Grünhut, v. Rohland) 
oder richtiger vermöge des auf Grund des Gesetzes 
ergehenden Ausspruches der zustän- 
digen Behörde — Verwaltungsakt 
— (Schelcher, O. Mayer) die ihrem Zwecke ent- 
sprechenden Wirkungen. Diese Auffassung wurde 
zuerst vertreten von Zachariä, Thiel, Burkhardt, 
später auch von Stobbe, Gleim, Präzäk, Nanda, 
Henle, Sieber, Gengler, Layer. Dabei bestehen 
aber Unterschiede hinsichtlich der Auffassung der 
dinglichen Wirkung (Eigt Veränderung) und 
der obligatorischen Wirkung (Entschädi- 
gungsverpflichtung), von denen die letztere früher 
noch als privatrechtlich hingestellt wurde (Laband, 
Wach). Die richtige Auffassung’ geht wohl dahin, 
daß E. und Entschädigung als begrifflichszu- 
sammengehöriges Ganzes zu betrach- 
ten sind und demgemäß in allenihren Wirkun- 
gen dem öffentlichen Rechte angehören 
(v. Stein, Grünhut, Gengler, O. Mayer, Layer, 
Schelcher). 
&4.Feststellung des Enteignungsfalles (Vor- 
aussetzungen der Enteignung, Verleihung des 
Enteignungsrechtes). Das Recht, E. vorzuneh- 
men, steht in Deutschland nicht nur den Einzel- 
staaten, sondern auch dem Reiche zu. Für einen 
Fall ist das ER des Reiches in der Verfassung 
ausdrücklich vorgesehen, für den Bau von Eisen- 
bahnen (RV a 41). Die Durchführung der 
E. erfolgt in diesen Fällen nach dem einschlagen- 
den Landesrechte. Bedarf das Reich in anderen 
Fällen der E. zur Verwirklichung seiner Zwecke, 
  
  
Staate angewiesen. — Die materiellen 
Voraussetzungen der E. sind a) ein die 
E. rechtfertigendes Unternehmen, 
b) die Notwendigkeit der E. zu dessen 
Durchführung. 
a) Die entsprechende Eigenschaft des U 
wird entweder vorher in jedem einzelnen Falle 
festgestellt oder durch eine allgemeine Formel 
bezeichnet. Preußen spricht allgemein von 
der Entziehung oder Beschränkung des Grund- 
eigentums „für ein U aus Gründen des 
öffentlichen Wohles“, Hessen und Baden: 
„für ein zum öffentlichen Nutzen dienendes Un- 
ternehmen", Württemberg: „für ein U zu 
allgemeinen Staats= oder Korporationszwecken"“, 
Oldenburg: „für eine Anlage aus Rücksich- 
ten des gemeinen Besten“", Sachsen: „für ein 
dem öffentlichen Nutzen gewidmetes Unterneh- 
men“. In Wahrheit ist es das „öffentliche In- 
teresse“, worauf alle die verschiedenen Bezeich- 
nungen des E.Grundes hinauslaufen. Das aber, 
was jeweilig im öffentlichen Interesse liegt oder 
dem gemeinen Wohle, dem allgemeinen Besten, 
dem öffentlichen Nutzen, einem öffentlichen Zwecke 
dient, kann nur unter Berücksichtigung der einem 
sortwährenden Wechsel unterliegenden Bedürf- 
nisse des Staates und der Gesamtheit seiner Unter- 
tanen nach dem objektiven, aber freien Ermessen 
eines staatlichen Organes bestimmt werden, wel- 
ches die maßgebenden Verhältnisse ausreichend zu 
übersehen im Stande und seiner verfassungsmäßi- 
gen Stellung nach berufen ist, ebenso die allge- 
meinen Staatszwecke zu verwirklichen, wie das 
hierbei belceiligte Einzelinteresse vor Uebergriffen 
der Verwaltung zu schützen. Gewisse Einschrän- 
kungen, dice eine Grenze für diese Ermessensfrei- 
heit bilden können und müssen, sind aber schon 
begriffsmäßig gegeben. Hiernach braucht zwar 
das U, zu dessen Durchführung die E. angewendet 
werden soll, kein absolut notwendiges zu sein, es 
muß aber stets ein gemeinnützliches sein. Daher 
vermögen bloße finanzielle Vorteile der Staats- 
kasse oder einer öffentlichen Korporation die E. 
ebensowenig zu rechtfertigen, wie bloße Rücksich- 
ten auf Annehmlichkeiten für einen größeren Kreis 
von Staatsbürgern (also z. B. nicht bloße Ver- 
schöncrungszwecke). Aus demselben Gesichts- 
punkte wird eine E. auch nicht für ein U 
stattfinden dürfen, welches für sich selbst be- 
trachtet nur Privatzwecken dient, wenn auch 
die Förderung von Anlagen der betreffenden Art 
sonst im Interesse der Hebung eines bestimmten 
Erwerbszweiges, der Industrie, der Landwirt- 
schaft usw., im allgemeinen mit zu den Staats- 
zwecken gerechnet werden kann. Andererseits 
wird aber die E. nicht schon dann ausgeschlossen 
sein, wenn ein gemeinnützliches Unternehmen, 
z. B. eine Eisenbahnanlagce, lediglich durch private 
Interessen einer öffentlichen Korporation oder 
auch einer privaten Gesellschaft oder einer Einzel- 
person ins Leben gerusen worden und zunächst 
solchen zu dienen bestimmt ist; vielmehr wird es 
in einem solchen Falle zur Rechtfertigung der E. 
genügen, wenn dabei zugleich einem Bedürf- 
nisse der Allgemeinheit entsprochen oder ein 
öffentlicher Nutzen erzeugt wird. 
b) Die andere Voraussetzung der E. ist ihre 
Notwen digkeit im gegebenen Falle. Diese 
so ist es auf Verleihung des ER vom einzelnen! Notwendigkeit ist nicht Unentbehrlichkeit eines be-
	        
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