Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

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nahme des Ganzen gegen Entschädigung für die- 
ses verlangen will. Entscheidet sich der Enteignete 
für Annahme der Minderwertsentschädigung, so 
kann dadurch unter Umständen der Unter- 
nehmer in die Lage kommen, eine so hohe 
Entschädigung für das Reststück zahlen zu müssen, 
daß dessen Wert dadurch überhaupt ausgewogen 
wird, und er seinerseits dessen ungeachtet das Ob- 
jekt selbst, dessen vollen Wert er erlegen muß, 
nicht in Anspruch nehmen darf. Ein derartiges 
Verhältnis enthält wiederum eine Unbilligkeit 
gegenüber dem Unternehmer. Deshalb ist in 
manchen E. Gesetzen unter gewissen Voraussetzun- 
gen auch dem Unternehmer ein Recht auf 
Ausdehnung der E. gegeben worden (so nament- 
lich in Braunschweig, im Reichs- 
rayongesetze und in Sachsenh). Dieses 
Recht entfernt sich noch weiter vom Prinzipe 
der E., als das Ausdehnungsrecht des Enteigneten, 
und ist deswegen auch vielfach angefochten wor- 
den. Es ist aber ein wichtiges Schutzmittel für 
den Unternehmer gegenüber der großen Macht, 
die dem Enteigneten durch das gleiche Recht ge- 
geben ist, und gegenüber etwaigen übermäßigen 
Entschädigungsforderungen des letzteren. 
Die Voraussetzungen für die Aus- 
übung des Ausdehnungsrechtes sind in sehr ver- 
schiedener Weise festgestellt worden. 
a) Im Falle der teilweisen Eigen- 
tumsentziehung wird in den meisten 
E.Gesetzen ein Unterschied gemacht zwischen 
Grundstücken ohne bauliche Anlagen und Gebäude- 
grundstücken. Bei unbebauten Grundstücken 
wird die Grenze, von der an das Recht des Ent- 
eigneten auf Abnahme des Ganzen Platz greift, 
entweder ziffermäßig durch Festsetzung einer ge- 
wissen, von der E. ergriffenen oder dem Enteig- 
neten verbleibenden Quote des Umfanges oder 
Wertes des Ganzen (so namentlich in den thü- 
ringischen Staaten) oder allgemein dadurch 
bestimmt, daß das Restgrundstück nach Entschei- 
dung der E.Behörde im konkreten Falle für den 
Gebrauch, den es bisher im Vermögen des Ent- 
eigneten hatte, nicht mehr tauglich ist (so namentlich 
in Preußen, Hessen, Württem- 
berg, Oldenburg, Lübeck, Baden 
und Sachsen). Die Rechtswissenschaft hat in 
Uebereinstimmung mit der neuern Gesetzgebung 
einhellig die Aufstellung jedes konkreten Maß- 
stabes verworfen und sich dafür erklärt, daß es 
immer nur darauf ankommen könne, ob das Rest- 
grundstück zu seiner bisherigen Zweckbestimmung 
im Vermögen des Enteigneten ungeeignet werde, 
und daß hierüber in jedem einzelnen Falle die 
E. Behörde nach ihrem Ermessen auf Grund des 
Gutachtens Sachverständiger entschciden müsse. 
Bei Gebäudegrundstücken statuieren die 
meisten E. Gesetze ganz allgemein die Verpflich- 
tung zur Uebernahme des ganzen Gebäudes, 
wenn zur öffentlichen Anlage nur ein Teil in An- 
spruch genommen wird. Diese Verpflichtung ist 
hier eine absolute; sie tritt unter allen Umständen. 
ein, gleichviel ob der beanspruchte Teil ein größerer 
oder geringerer ist, ob er wesentlich für den Be- 
stand und die fernere Benutzung des Ganzen ist 
oder nicht. Man hat sich hierbei zu sehr durch die 
doktrinäre Erwägung leiten lassen, daß ein Ge- 
bäude unter allen Umständen ein juristisch unteil- 
bares Ganzes sei. Vom volkswirtschaftlichen 
Enteignung (A. 
  
  
Reichsgebiet) 727 
Standpunkte aus ist es jedenfalls richtiger, den 
Unternehmer nicht unbedingt zu dem großen 
Opfer zu nötigen, was mit der Erwerbung des 
ganzen Gebäudes verbunden ist, sondern ein wirt- 
schaftlichen Zwecken dienendes Bauwerk seiner 
Bestimmung möglichst zu erhalten, anstatt es ohne 
zwingende Gründe zu vernichten, zumal die Er- 
fahrung lehrt, daß vielfach Gebäude auch unter 
Verringerung ihres Umfanges noch ihren früheren 
Zwecken dienen können. 
b) Im Falle der zwangsweisen Eigentums- 
beschränkung ist das Recht auf Ausdehnung 
der E. in den verschiedenen Landesgesetzen zumeist 
nur dem Enteigneten gegeben worden, und zwar 
bei der dauernden Beschränkung, wenn durch die 
Auflegung einer bloßen Dienstbarkeit die Be- 
nutzung des Grundstückes unmäöglich oder sehr 
erschwert werden würde, bei der vorübergehenden 
Eigt Beschränkung, wenn die Benutzung durch 
den Unternehmer eine gewisse Zeitdauer über- 
steigt, oder die Beschaffenheit des Grundstückes 
dadurch wesentlich und bleibend verändert wird. 
Der Enteignete erhält für diese Fälle den An- 
spruch auf dauernde Abnahme des Grundstückes 
(so u. a. auch im Reichsrayongesetze). Im säch- 
sischen E. Gesetz ist das Recht auf Ausdehnung 
der E. unter bestimmten allgemeinen Voraus- 
setzungen sowohl dem Enteigneten wie dem Unter- 
nehmer gegeben, für den letzteren aber an etwas 
engere Grenzen gebunden worden, als für den 
Ersteren. Auch für Gebäudegrundstücke ist hier die 
absolute Uebernahmepflicht des Unternehmers 
nicht mehr statuiert worden. 
Das Recht auf Ausdehnung der E. ist zwar 
äußerlich ein Ausfluß des Entschädigungsprinzipes, 
aber seiner rechtlichen Natur nach wie die E. selbst 
ein staatliches Zwangsrecht. Daher unterliegt 
die Handhabung des Ausdehnungsrechtes den 
Vorschriften über die E. selbst, nicht denen über 
die Entschädigungsleistung; die entsprechende Ent- 
schädigung ist nur die Folge des ausgeübten Aus- 
dehnungsrechtes. In ersterer Hinsicht stehen dem- 
gemäß den Beteiligten gegen den Ausspruch der 
Behörde nur die gegen den E.Beschluß zulässigen 
Rechtsmittel zu; soweit ihnen gegen die Entschädi- 
gungsfeststellung die Berufung auf den Rechts- 
weg gegeben ist, können sie hiermit nicht das Recht 
auf Ausdehnung der E. verfolgen oder dessen 
Ausübung durch den Unternehmer anfechten, son- 
dern nur die Entschädigungsfrage wegen der in 
Betracht kommenden Grundstücke oder Rechte 
zur richterlichen Entscheidung bringen (ausdrück- 
liche Bestimmung des säch sischen E. Gesetzes; 
A# bisher das Reichsgericht). 
5 12. Freiwillige Abtretung des zu enteig- 
neuden Gegenstandes. Der behördliche E.Aus- 
spruch und die Entschädigungsfeststellung erledi- 
gen sich insoweit, als die Parteien sich vor Voll- 
ziehung der E. gütlich über die Abtretung des zu 
enteignenden Grundstückes oder Rechtes und über 
die hierfür zu leistende Entschädigung cinigen oder 
sonst im Laufe des Verfahrens einen hierauf be- 
züglichen Vertrag schließen. Ein solcher Vertrag 
fällt streng genommen unter den privatrechtlichen 
Gesichtspunkt. Die bevorstehende oder bereits 
eingeleitete E. bildet nur den Beweggrund für 
seinen Abschluß. Ein solcher Vertrag kann daher 
an sich die der E. eigentümlichen Rechtswirkungen 
nicht erzeugen. Indessen würde durch diese Auf-
	        
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