Agrargesetzgebung (Preußen) 67
mäßiges Züchtigungsrecht zu. Umgekehrt war
aber auch die Gutsherrschaft verpflichtet, sich der
Untertanen in Notfällen werktätig anzunehmen,
sie mußte den nicht Angesessenen Gelegenheit zum
Unterhalt verschaffen, oder ihnen die Erlaubnis
geben, auswärts ihr Brot zu verdienen u. dgl. m.
Die Immediat= oder Domänenbauern, d. h. die
auf Kgl Domänen angesiedelten Bauern unter-
standen unmittelbar dem Landesherrn.
Eine Ausnahmestellung nahmen die Kölmer
und die Lehnschutzen ein, für die ein charakteristi-
sches Merkmal war, daß sie weder Untertanen
waren, noch Untertanen hatten. Kölmer waren
ein hauptsächlich im Weichseltal und in Masuren
weit verbreiteter Stand freier Eigentümer größe-
rer Besitzungen, die sie vom deutschen Orden
zwecks Besiedelung erhalten hatten; dem Orden
gegenüber waren sie der Regel nach nur zu Be-
festigungs= und Kriegsdiensten, nicht aber auch
etwa zu Wirtschafts- und Frondiensten verpflich-
tet. Ihr Name rührte daher, daß ihre Rechte und
Freiheiten sich nach Kulmischem Rechte (Kulmische
Handfeste, privileginm culmense vom 28. 12.
1232 und v. 1. 10. 1251) richteten. Oft stand ihnen
hohe und niedere Gerichtsbarkeit, Patronat,
Kruggerechtigkeit, Jagd und Fischerei zu. Erst in
späterer Zeit trat ein Unterschied zwischen den
kölmischen und den adeligen Gütern hervor. Der
Stand der Kölmer hat aber seine frühere hervor-
ragende Stellung in den meisten Beziehungen,
namentlich in ständischer Beziehung bis in die
neueste Zeit bewahrt. Eine eigene Klasse der Köl-
mer bildeten die Schatullkölmer, deren
Entstehung darauf zurückzuführen ist, daß seitens
der Landesherrschaft größere Flächen in den For-
sten zur Anlage neuer Dörfer und einzelner Höfe
angewiesen wurden. Der Grund und Boden
wurde dabei zu erblichem Besitze nach Kölmerrecht
gegen Uebernahme der Zahlung eines Zinses an
die landesherrliche Forstschatulle ausgegeben 1).
Lehnschulzen finden sich vorzugsweise in
der Mark Brandenburg, in Pommern und in
Schlesien. Sie entstanden dadurch, daß hier der
Anbau und die Kultur eines Gebietes meistens
im Auftrage der Landesherren durch einen Unter-
nehmer geleitet wurde, der es an die Teilnehmer
gegen Angeld und Zins übertrug. Für deren Ent-
richtung hatte er einzustehen und erhielt dafür das
Schulzenamt und die Gerichtsbarkeit neben einem
Anteile an den Ländereien und Gerichtseinkünften
als Lehen: Lehnschulzen und Erbschulzen. Neben
diesen Lehnschulzen, die dienst= und zinsfrei waren
und Kriegsdienst mit einem Lehnpferde leisteten,
fanden sich häufig auch noch Lehn= und Frei-
bauern, die eine dem Lehnschulzen ähnliche Stel-
lung hatten. Die mit dem Besitze gewisser Grund-
stücke verbundene Berechtigung und Verpflichtung
zur Verwaltung des Schulzen-(Richter-)Amtes ist
übrigens erst durch die KrO v. 13. 12. 72 § 36
aufgehoben (vogl. 5 16 G v. 3. 1. 45 GS 25 und
LG v. 3. 7. 91 N 92).
Erhebliche Verschiedenheiten bestanden in den
1) Bal. KapO v. 7. 2. 1684, Negl v. 20. 8. 1725; Zus.
105 u. 162 des ostpreuß. Prov Rechts zu ALK II. 7. u.
zu 1 38 II. 9; § 21 des Westpreuß Prov Rechts v. 19. 4.
184 (GE 103); 17, 2 G v. 1. 7. 1823 (GS 138); Vorrede
v. 17. 3. 1828 (G 28); Kreisordnung für das Königreich
Preußen v. 17. 3. 1828 (68 34).
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westlichen Provinzens: auch hier gab es,
abgesehen von den Gebieten, in welchen die An-
siedlungen nach Einzelhöfen oder Marschhufen
angelegt worden waren (Westfalen, Hannover),
große Zersplitterung, Gemengelage, Flurzwang
und gemeinschaftliche Weide; das Obereigentum
der Gutsherren war aber mehr und mehr zurück-
getreten. Die Bauern hatten zwar zum Teil nicht
unerhebliche Abgaben vorzugsweise in Geld und
Naturalien zu leisten, ihre Besitzrechte an ihren
Stellen gehörten aber durchweg zu den „besseren“.
Die Gutsherren betrieben eine eigene Landwirt-
schaft nicht, waren vielmehr im wesentlichen Ren-
tenbezieher.
Daß die persönliche Unfreiheit sowie die man-
gelnde Freiheit in der Verfügung über den Boden
und seine Benutzung ein großes Hindernis für eine
gedeihliche Entwicklung der Bodenbearbeitung
sei, wurde von den preußischen Königen früh er-
kannt. Friedrich Wilhelm I hob alle Leibeigen-
schaft und Erbuntertänigkeit oder Gutspflichtigkeit
auf den Domänen in Ostpreußen und Litthauen
und durch Verbot vom Jahre 1763 — pdgl. Ge-
sinde O v. 15. 3. 1767 (NCC 4, 797 nr 23) — den
noch verbliebenen Dienstzwang gänzlich auf.
Friedrich der Große versuchte die Leibeigenschaft
zu beseitigen, die bäuerlichen Dienste auf ein festes,
erträgliches Maß herabzusetzen und den Bauern
ein erbliches Besitzrecht an ihren Höfen zu sichern.
Erfolg hatte er hiermit freilich fast nur auf den
Domänen; bei den Gutsherren stieß er dagegen
auf starken, fast unüberwindlichen Widerstand.
Auch seine Bemühungen, die aus der gemein-
schaftlichen Benutzung der Grundstücke, insbeson-
dere durch ihre Beweidung, sowie die aus ihrer
Gemengelage entstehenden Uebelstände zu be-
seitigen, hatten ebenfalls nur teilweisen Erfolg.
Eine durchgreifende Reform trat vielmehr erst
durch die Stein = Hardenbergische G-
gebung ein, als im Anfange des vorigen Jahr-
hunderts der preuß. Staat zusammengebrochen
war. Das Programm für die Neuordnung ist
in dem Edikt v. 9. 10. 1807 betr. den erleich-
terten Besitz und freien Gebrauch des Grund-
eigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der
Landbewohner (GS 171 NCC 12, 251) enthalten
(über dessen Geltungsbereich 1 Ablösung
der Reallasten in Preußen 3 3).
Dieses sprach aus, „daß es ebensowohl den For-
derungen der Gerechtigkeit, als den Grundsätzen
einer wohlgeordneten Staatswirtschaft gemäß sei,
Alles zu entfernen, was den Ein-
zelnen bisher hinderte, den Wohl-
stand zu erlangen, den er nach dem
Maße seiner Kräfte zu erreichen
fähig war'.
Es war wohl selbstverständlich, daß ein Pro-
grammvonso einschneidender und weittragender Be-
deutung nicht durch ein Gesetz herbeigeführt wer-
den konnte, daß hierzu vielmehr eine ganze Reihe
von Maßregeln der verschiedensten Art erforderlich
war, die sich zum Teil erst langsam entwickeln und
auch nur allmählich zur Ausführung gebracht wer-
den konnten. Die spätere Gesetzgebung hat auch
nicht immer konsequent auf der Grundlage des
Edikts v. 9. 10. 1807 fortgebaut, vielmehr wesent-
liche Beschränkungen einge führt; erst die VUI v.
31. 1. 50 (insbesondere a 40 und 42) und die zu
ihrer Ausführung erlassenen Gesetze haben die
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