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Agrargesetzgebung (Preußen)
manchen noch übrig gebliebenen, der freien Ent-
wicklung aller Kraͤfte der ländlichen Industrie
schädlichen Ueberreste der früheren Agrarverfassung
beseitigt.
2. Aufhebung der Gnutsuntertänigkeit;
gutsherrlich-bäuerliche Reguliernugen. Das Ed
v. 9. 10. 1807 beschränkte sich darauf, solche An-
ordnungen zu treffen, die von selbst und ohne daß
es in jedem einzelnen Falle des Eingreifens einer
Behörde bedurfte, in Wirksamkeit treten konnten.
Vor allem schaffte es die persönliche Abhängigkeit
der Untertanen ab; das Untertänigkcitsverhältnis
wurde gänzlich ausgehoben: nach dem Martini-
Tage 1810 gab es nur noch freie Leute [Ablö-
sung der Reallasten s 31. Die Stellung
des Gutsherrn als des Verwalters staatlicher,
obrigkeitlicher Befugnisse wurde aber hierdurch so-
wenig berührt, als die Verpflichtung der Unter-
tanen, alle Verbindlichkeiten, die ihnen als freien
Leuten vermöge des Besitzes eines Grundstückes
oder vermöge eines besonderen Vertrages ob-
lagen, nach wie vor zu erfüllen. Jene obrigkeit-
liche, öffentlich-rechtliche Stellung der Gutsherr-
schaft ist ersft weit später und zwar, wenn auch in
den meisten, dann doch immerhin nur in bestimm-
ten Beziehungen, niemals aber durch eine gene-
relle Bestimmung aufgehoben worden; so ist die
gutsherrliche Gerichtsbarkeit durch die V v. 2L. 1.
49 (GS 5), die gutsherrliche Pol durch die Kreis O
v. 13. 12. 72 beseitigt worden (vgl. auch Gv. 14. 4.
56, GS 353). Darüber, daß jenes Verhältnis
noch bis in die neueste Zeit, z. B. auf dem Gebiete
der Schulunterhaltung Wirkungen ausgeübt hat
vgl. O#G v. 21. 5. 83 (Bd. 10 S 126).
Hatten die Untertanen durch die Aufhebung der
Untertänigkeit ihre persönliche Freiheit erlangt, so
galt es ferner, ihnen ein gesichertes Besitzrecht an
ihren Stellen zu verleihen, soweit ihnen das noch
nicht zustand. Es wurde daher durch das sogen.
Regulierungsedikt v. 14. 9. 1811 (GS 281) den
in lassitischem Verhältnis stehenden Besitzern die
„Regulierungsfähigkeit“ beigelegt, d. h. das Recht
auf den Erwerb des Eigentums an ihren Stellen
und zwar gegen Abtretung von einem Drittel bei
vererblichen, oder von der Hälfte ihrer seitherigen
Stelle bei nichterblichem Besitzrechte. Das Ober-
eigentum des Guts= oder Grundherrn und des
Erbzinsherrn, desgleichen das Eigentumsrecht des
Erbverpächters blieb einstweilen noch bestehen und
wurde erst durch das Abl G v. 2. 3. 50 +D ausge-
hoben. Näheres über diese gutsherrlich-bäuerlichen
Regulierungen JAblösung der Real-
lasten §§ 4—6 u. 12.
Als eine Folge der Gutsuntertänigkeit hatten die
Rittergutsbesitzer vielfach auch das Jagdrecht
auf den Ländercien der gutsuntertänigen Bauern
und zwar selbst dann, wenn diese Eigentümer ihrer
Stellen waren. Dieses Recht blieb auch bestehen,
als das Ed v. 9. 10. 1807 die Gutsuntertänigkeit
beseitigte und das Ed v. 14. 9. 1811 die Regu-
lierungsfähigkeit einführte. Neben der Verpflich-
tung, dic Ausübung der Jagd zu dulden, bestan-
den für die Gutsuntertanen vielfach auch noch
Verpflichtungen zu Diensten: Treiberdienste, Ge-
stellung von Wildfuhren, Unterhaltung der Jagd-
hunde usw. Wo ceine Stelle reguliert wurde, wur-
den auch diese Dienste beseitigt: für Stellen mit
besserem Besitzrecht führte die Ablösungs O v.
durch die G v. 17. 4. 30 (G65) (für das linke
Rheinufer) und v. 31. 10. 48 (GS 343) für den
ganzen Staat) wurde jedes Jaddrecht auf
fremdem Grund und Boden und ebenso die Jagd-
folge (d. h. das Recht angeschossenes oder ange-
hetztes Wild auf fremdes Jagdrevier zu verfolgen)
und zwar ohne jede Entschädigung unter gleich-
zeitigem Wegfall der bisherigen Abgaben und
Gegenleistungen des Berechtigten aufgehoben.
Die letzten Reste des alten Jagdrechtes beseitigte
der § 3 Nré des Ablösungs G v. 2. 3. 50 (GS 77),
indem er alle in Beziehung auf die Jagd oblicgen-
den Dienste und Leistungen ohne Entschädigung
aufhob.
# 3. Freiheit des Gütererwerbs. Nächst der
Freiheit der Person galt es die Freiheit des Güter-
verkehrs herzustellen. Auch das geschah bereits
durch das Edikt v. 9. 10. 1807 insofern, als es be-
stimmte, daß jeder Einwohner des Staates zum
eigentümlichen und Pfandbesitz unbeweglicher
Güter aller Art berechtigt sei, der Edelmann also
zum Besitze nicht bloß adeliger, sondern auch un-
adeliger, bürgerlicher und bäuerlicher Güter aller
Art, und der Bürger und Bauer zum Besitze nicht
bloß bürgerlicher, bäuerlicher und anderer unade-
liger, sondern auch adeliger Grundstücke. Die VU
hat das bestätigt, indem sie ausspricht (a 42), daß
das Recht der freien Verfügung über das Grund-
eigentum keinen andern Beschränkungen, als denen
der allgemeinen Ggebung unterliegt, und nur für
die tote Hand Beschränkungen des Rechts, Liegen-
schaften zu erwerben und über sie zu verfügen,
zuläßt. Dem entspricht es auch, daß nach § 1 Abs 3
des Freizügigkeits G v. 1. 11. 67 (Rl 55) keinem
Reichsangehörigen um des Glaubensbekenntnisses
willen oder wegen fehlender Landes- und Ge-
meindeangehörigkeit der Aufenthalt, die Nieder-
lassung oder der Erwerb von Grundeigentum ver-
weigert werden darf (vgl. a 3 RV). Für den
Grunderwerb durch juristische Personen sind jetzt die
einschränkenden Vorschriften im a 7 des AGz. BGB
maßgebend l Amortisationsrechtdü.
Im übrigen sind Ausländer (physische Personen)
im Erwerb von Grundeigentum nicht beschränkt
(G v. 28. 5. 74, GS 195). Für einzelne Beamte
ist in Preußen der Erwerb von Grundeigentum
innerhalb ihres Verw Bereiches von einer Geneh-
migung ihrer Vorgesetzten abhängig gemacht,
nämlich für die Mitglieder der Provinzial-Do-
mänen Verw (KabO v. 29. 2. 1812, GS 10),
für die Staatsforstbeamten (Kab-O v. 5. 9. 21,
Gd#158) und für die Bergbeamten und deren
Angehörige (BergG# NJ 195).
# 4. Freie Berfügung über das Grundeigen-
tum. Eine weitere Aufgabe war es, die Vor-
schriften zu beseitigen, die darauf abzielten, die
Grundbesitzungen der verschiedenen Volksklassen
— die Ritter= und Vasallengüter, die Bürger= und
vorzugeweise die Bauerngüter — in ihrer Selb-
ständigkeit einesteils als getrennte, für sich be-
stehende, andernteils als geschlossene und unteil-
bare Ganze zu erhalten. Im Anschluß an die vor-
läufigen Bestimmungen des Edikts v. 9. 10. 1807
geschah das durch §1 des Landeskultur-Edikts v. 14.
9. 1811, der alle Beschränkungen des Grundeigen-
tums, dic aus der bisherigen Verfassung entspran-
gen, aufbob und festsetzte, daß jeder Grundbesitzer
ohne Ausnahmo befugt sein solle, über seine Grund-
7. 6. 1821 die Möglichkeit ein, sie abzulösen. Erst stücke insofern frei zu verfügen, als nicht Rechte,