86
—— Ô — — — — — — — — — — ——
Agrargesetzgebung (Baden — Hessen)
8 7. Berwaltung des landwirtschaftlichen
Unterrichts= und Versuchswesens. Die erste An-
regung zur Einführung eines landwirtschaftlichen
Fachunterrichts wurde durch die landesherrliche
V v. 22. 4. 46, die Errichtung von Ackerbau-
schulen betr., gegeben. Die daraufhin gemach-
ten Versuche des Ausbaues einer landwirtschaft-
lichen Mittelschule sind wieder aufgegeben wor-
den. Die beiden noch jetzt bestehenden jener An-
regung entsprechenden, auf Staatskosten unter-
haltenen Anstalten, die eine als Ackerbauschule,
die andre als Landwirtschaftsschule bezeichnet,
vermitteln im wesentlichen dic theoretischen Kennt-
nisse in Natur= und Landwirtschaftskunde, wie
sie für einen bäuerlichen Klein= und Mittelbesitzer
nützlich sind, und geben außerdem eine praktische
Ausbildung in dem mit der Anstalt verbundenen
Gutsbetriebe; daneben werden dort kürzere Fach-
kurse (in Obst-, Wein-, Gemüsezucht und -ver-
wertung, Bienenwirtschaft, Molkerei u. s. f.) ab-
gehalten. — Seit 1864 sind auf gemeinschaftliche
Kosten von Staat, Kreis und Gemeinde auf der
Grundlage eines im Verordnungswege festge-
stellten Lehrplans die nur in einer Jahreshälfte
geöffneten landwirtschaftlichen Win-
terschulen errichtet worden, zur Zeit 14
L[#landwirtschaftliches Unterrichts-
wesenl. Die als Vorstände dieser Winterschulen
angestellten Landwirtschaftslehrer, deren Vor-
bildung durch V v. 14. 6. 07 geregelt ist, sind außer-
dem damit betraut, die landwirtschaftlichen Zu-
stände ihres Dienstbezirks zu bcobachten und
praktische Anregungen zu Verbesserungen zu
geben. — Zur Ausbildung der mittleren Beam-
ten des Landeskulturdienstes (Kulturaufseher,
Kulturmeister) besteht seit 1860 eine Wiesen-
bauschule, zur Ausbildung der Hufbeschlag-
schmiede dienen mehrere seit 1884 errichtete
Hufbeschlagschulen. — Um den Land-
wirten zu ermöglichen, sich über die reine, un-
verfälschte und preiswürdige Beschaffenheit der
für ihren Betrieb zu verwendenden Sämereien,
Düngemittel und sonstigen Stoffe zu vergewis-
sern, ist 1859 eine agrikulturchemische und 1872
eine botanische Prüfungsanstalt vom Staat ins
Leben gerufen werden; sie wurden im Jahr 1901
zu einer einheitlichen landwirtschaftli-
chen Versuchsanstalt vereinigt, deren
Beamte namentlich auch bei der Weinkontrolle
tätig sind.
8. Landwirtschaftliches Bereinswesen und
Berufsvertretung. Zur Förderung der Land-
wirtschaft im allgemeinen und der einzelnen Wirt-
schaftszweige haben sich teils nach dem Vereins-
gesetz, teils nach dem Rö über die Wirt-
schaftsgenossenschaften eine große Anzahl land-
wirtschaftlicher Vereinigungen gebildet. Die äl-
teste ist der 1819 gegründete, auf die Hebung der
landwirtschaftlichen Technik und Bildung gerich-
tete, in Bezirks= und zum Teil in Ortsvereine
gegliederte landwirtschaftliche Verein,
der vom Staate als öffentliche Körperschaft an-
erkannt und mit Zuschüssen bedacht ist und dessen
Zentralstelle nach V v. 21. 10. 52 als eine Staats-
behörde mit der Oberleitung der landwirtschaft-
—.
lichen Verwaltungsaufgaben betraut war, bis
diese Geschäfte nach der die staatliche Zentralstelle
aufhebenden V v. 29. 7. 64 wieder auf das Mini-
sterium übergingen.
Als im Jahre 1891 der
Landwirtschaftsrat als eine neue landwirtschaft-
liche Interessenvertretung im Verordnungswege
geschaffen wurde, ist dieselbe mit dem landwirt-
schaftlichen Verein in engere Verbindung gebracht
worden; der nach der V v. 26. 12. 91 errichtete
Landwirtschaftsrat besteht nämlich zum großen
Teil aus Mitgliedern, die von den Gauverbänden
des landwirtschaftlichen Vereins gewählt werden,
und der landesherrlich ernannte Präsident des
Landwirtschaftsrats ist gleichzeitig mit der Leitung
der Angelegenheiten des landwirtschaftlichen Ge-
samtvereins betraut. An Stelle dieses Landwirt-
schaftsrats ist neuerdings auf Grund des Gv.
28. 9. 06 eine zur Vertretung der Interessen der
Landwirtschaft und der Forstwirtschaft berufene
Landwirtschaftskammer mit der Ei-
genschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts
errichtet worden (45 Mitglieder). Ueber Zu-
sammensetzung im einzelnen und Aufgaben
1u Landwirtschaftskammern.
Auellen: Die im Text erwähnten Gesetze und Ver-
ordnungen sind größtenteils in dem Handbuch für
badische Juristen, 1858, in Buchenberger,
Berwzecht der Landw. und in Wielandt, Neues bad.
Bürgerbuch ", 2, 1907 abgedruckt.
KLiteratur: S. die unter Ablösung der Grundlasten
aufgeführte Literatur, außerdem: Buchenberger,
Das Verwfecht der Landw. u. Fischerei im Gr. Bad., Er-
gänzungsband, 1891; G. Koch, D. geschlossenen Hofgüter
des Schwarzw., 1900: Schenkel, Bad. Wasserrecht?,
1902; M. Hecht, Die bad. Landw. im Anfang des 20.
Jahrh., 1903: Hafner, Das Veterinärwesen im Gr. Ba-
den, 2 Bde., 1903/01. Schenkel (Lewald).
VI. hessen
*f 1. Aufhebung der Leibeigenschaft. 1 2. Aufhebung und
Ablösung der bäuerlichen Lasten: a) Fronden; b) Zehnten:
c) Grundrenten; d) Weideberechtigungen. 1 3. Schaffung
freien Eigentums. 4 4. Ergänzende Bestimmungen.
# 1. Aufhebung der Leibeigenschaft. Die
rechtliche Lage der bäuerlichen Bevölkerung und
der bäuerlichen Güter war in den zahlreichen
Einzelterritorien, aus denen im Beginn des 19.
Jahrhunderts das heutige Großherzogtum Hessen
zusammenwuchs, eine ziemlich mannigfaltige.
Wie in anderen deutschen Staaten, so setzte auch
in Hessen, nachdem dic ersten Schwierigkeiten der
politischen Neugestaltung überwunden waren,
eine von liberalen Gedanken getragene Reform-
bewegung im Gebiete des Agrarrechts ein. Sie
begann mit der Aufhebung der persönlichen Ab-
hängigkeit (Leibeigenschaft). Diese persönliche
Abhängigkeit, die im Mittelalter eine beträchtliche
Beschränkung der Vermögens= und Handlungs-
fähigkeit im Gefolge gehabt hatte, war schon im
18. Jahrhundert stark abgeschwächt. Die alten
persönlichen Freiheitsbeschränkungen waren im
wesentlichen verschwunden. Immerhin bestand
noch die Rechtsinstitution der „Leibeigenschaft"
(mit Leibesbede und Besthaupt, bisweilen auch
mit persönlichen Frondiensten, vgl. u. § 2). Für
die 1803 aus kurkölnischem Besitz an Hessen-
Darmstadt gefallene (1815 an Preußen abgetre-
tene) Provinz Westfalen hatte bereits ein Gv.
16. 11. 1809 (Arch. d. Großh. hess. Gesetze und