Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Gemeinde (III. 
Organisation) 
  
Die Disziplin über die Gemeinderatsmitglieder 
steht dem Gemeinderat zu. Der Ausschluß von 
Gemeinderatsmitgliedern kann auf zweierlei Weise 
erfolgen (s 62). Durch Beschluß des Gemeinde- 
rats, wenn das Mitglied drei aufeinander folgende 
Sitzungen ohne genügende Entschuldigung ver- 
säumt oder wiederholt der Zurechtweisung des 
Vorsitzenden ungeachtet die Ordnung stört. Die 
Ausschließung kann auf bestimmte Zeit oder auf 
die Dauer der Amtszeit erfolgen. Kraft Gesetzes 
hört ein Mitglied auf, dem Gemeinderat anzu- 
gehören, wenn es fünf aufeinanderfolgende 
Sitzungen ohne Entschuldigung versäumt. Gegen 
die Ausschließung ist das Verwaltungsstreitverfah- 
ren zulässig. 
In den kleinen Gem wird der Gemeinderat bei 
der Verhandlung und Beschlußfassung über be- 
sonders wichtige Angelegenheiten, wie die Auf- 
nahme von Anleihen, die Erhebung von Zu- 
schlägen zur Deckung einmaliger Ausgaben, die 
Errichtung ständiger Gem Aemter, die Ausstattung 
der Stellen des Bürgermeisters (Beigeordneten) 
mit einer Besoldung, die Abänderung der Gem Be- 
zirke u. a. m. durch die Höchstbesteuer- 
ten verstärkt. Die Hoöchstbesteuerten, das 
sind die dem Gemeinderat nicht angehörigen Per- 
sonen, die in der Gemeinde zu der Gesamtheit der 
direkten Staatssteuern mit den höchsten Beträ- 
gen veranlagt sind, treten dem Gemeinderat in 
der Zahl der im Amte befindlichen Mitglieder 
hinzu (§ 44). 
Der Gemeinderat erledigt seine Angelegenhei- 
ten in Plenarsitzungen, die der Bürgermeister 
leitet; zur Vorberatung seiner Beschlüsse dienen 
Kommissionen (§ 60). Er kann grundsätzlich nur 
beschließen, wenn mehr als die Hälfte der im Amte 
befindlichen Mitglieder anwesend ist. Die Be- 
schlüsse werden mit Stimmenmehrheit gefaßt; 
den Stichentscheid gibt die Stimme des Vor- 
sitzenden (§# 49, 50). 
Die Befugnisse des Gemeinde- 
rats sind sehr vielfältige. In erster Linie be- 
schließt er über die Verwaltung des Gem Ver- 
mögens (§53) — besitzen mehrere Gem in ungeteil- 
ter Gemeinschaft Güter und Rechte, so kann zu 
ihrer Verwaltung außerdem eine Syndikatskom- 
mission (Gov. 7. 7. 97, Gl 75) eingesetzt werden — 
ferner unbeschadet der auf besonderem Rechts- 
grunde beruhenden Privatrechte über die Art der 
Benutzung der öffentlichen Einrichtungen und 
Anstalten der Gem, über die Art der Nutzung 
der Gem Güter, sowie die Verwendung und Ver- 
teilung der Erträgnisse derselben einschließlich der- 
jenigen der Gem Waldungen, sowie über die dieser 
Nutzung und Verteilung zugrunde liegenden Be- 
dingungen (§5 54). Die Voraussetzungen für die 
Zulassung zur Benutzung der öffentlichen Einrich- 
tungen und Anstalten und zur Nutzung der Gem- 
Güter müssen für alle Einwohner die gleichen sein; 
eine Abgabe für den Erwerb der Berechtigung darf 
nicht erhoben werden. Von dem Mitgenusse an 
den Gem Nutzungen sind drei Gruppen von Gem- 
Einwohnern ausgeschlossen: die Militärpersonen 
des Friedensstandes, abgesehen die Militärbeamten, 
serner Gem Einwohner, die nicht im Besitz der 
Reichsangehörigkeit sind und endlich solche, welche 
zu Beginn des Kalenderjahres, in dem die Nutzun- 
gen zur Verteilung gelangen, in der Gem nicht 
bereits seit drei Jahren eine eigene Haushaltung 
  
  
  
mit eigener Feuerstelle geführt haben. Die Be- 
dingungen für die Mitbenutzung der Allmende 
sind mit der Maßgabe zu bestimmen, daß die 
Nutzungen in stets widerruflicher Weise gewährt 
werden, daß die Abgabe von Nutzholz aus den der 
Forstordnung unterworfenen Gem Waldungen nur 
gegen Zahlung des durch Sachverständige abzu- 
schätzenden Wertes desselben erfolgen kann und 
daß, falls Gem Güter dem Herkommen gemäß in 
bestimmte Teile geteilt werden und die Zahl der 
Berechtigten größer ist als die der Teile, das Ein- 
rücken erst stattfindet, wenn ein Teil erledigt ist. 
Sind mehrere Gleichberechtigte vorhanden, so 
entscheidet das Herkommen, welcher von densel- 
ben in den erledigten Teil einzurücken hat; besteht 
kein Herkommen, so entscheidet das Los. 
Der Gemeinderat beschließt ferner über die Ein- 
nahmen und Ausgaben der Gem (5 55). Die pri- 
vatrechtlichen Einnahmen, das sind solche, die die 
Gem ständig oder nur gelegentlich aus ihrem Ver- 
mögen zieht, bestehen vornehmlich in dem Ertrag 
des Gem Vermögens, der Renten und Zinsen aus 
Aktivkapitalien, der Nutzbarmachung des Gem- 
Eigentums, in dem der Gem überlassenen Anteil 
an dem Jagdpachterlös (Gv. 7. 2. 81 § 4 Absj, 3). 
Oeffentlich-rechtliche Einnahmen sind abgesehen 
von einer großen Reihe von Gebühren (Schul- 
geld, Straßengebühren, Gebühren für Grabstätten 
auf Kirchhöfen, Straßenbaukosten, Schlachtge- 
bühren, Standgelder u. a. m.) die Steuern, die 
wieder in Zuschläge zu den Staatssteuern und in 
selbständige Gem Steuern (wie Abgaben für 
Wanderlager, Hundesteuer, Fronen, Warenhaus- 
abgabe, Grundwertsabgabe, Verbrauchssteuern 
u. a. m.) zerfallen. Gegenüber den öffentlich- 
rechtlichen Einnahmen bedeutet die Beschluß- 
fassung des Gemeinderats nur die formelle Be- 
stätigung, daß sie erhoben sind; sie sind einer ma- 
teriellen Beschlußfassung entzogen. Die Ausga- 
ben gliedern sich in freiwillige und Pflichtausga- 
ben. Pflichtausgaben sind die Leistungen, die der 
Gem kraft einer gesetzlichen Bestimmung auferlegt 
sind, ferner materiell unbestreitbare auf vertrag- 
lichen Verpflichtungen beruhende Ausgaben. Ihr 
charakteristisches Merkmal besteht darin, daß der 
Staat sich das Recht vorbehalten hat, ihre Er- 
füllung zwangsweise herbeizuführen; in jedes 
Budget müssen die Pflichtausgaben ausgenommen 
und die zu ihrer Bestreitung notwendigen Be- 
träge müssen bewilligt werden. Unterläßt es der 
Gemeinderat trotz der an ihn ergangenen Auf- 
forderung seitens der Gem Aussichtsbehörde, so 
wird der Betrag durch die Gem Aufsichtsbehörde 
eingesetzt. Die Einsetzung erfolgt, falls es sich um 
eine jährliche nicht feststehende Ausgabe handelt, 
nach der durchschnittlichen Höhe der Ausgabe wäh- 
rend der drei letztverflossenen Rechnungsjahre. 
Die zur Bestreitung der Pflichtausgaben notwen- 
digen Mittel werden geschaffen, indem die Gem- 
Aufsichtsbehörde Zuschläge zu den direkten Staats- 
steuern in der notwendigen Höhe anordnet (88 65, 
73). Sämtliche Einnahmen und Ausgaben müssen 
in dem jährlich aufzustellenden Budget nachge- 
wiesen werden, das in kleinen Gem der Geneh- 
migung der Aufsichtsbehörde bedarf (§ 64). 
Der Gemeinderat hat ferner in zahlreichen 
Fällen Ernennungsbe fugnisse; so ernennt er die 
Mitglieder der Verwräte der öffentlichen Kran- 
  
ken= und Pflegehäuser, der Armenräte, der Verw-
	        
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