Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Gemeindegerichte 
  
tung gestattet ist). Der Verlauf des ordentlichen 
Entseiungsverfahren entspricht im allgemei- 
nen dem Normalzivilprozeß. Einleitung erfolgt 
durch Klagerhebung, im ferneren Verlauf kommt 
besonders das Sichvergleichen in Betracht (in 
Württemberg ist ein Sühneversuch obligatorisch), 
bei Ausbleiben einer Partei findet kein eigent- 
liches Kontumazialverfahren statt, sondern in 
Württemberg fakultativ ein sog. „Eremodizial“- 
Verfahren, in Baden ist hier freies Ermessen maß- 
gebend, bei kontradiktorischer Verhandlung kom- 
men als Beweismittel Zeugen, Sachverständige, 
Urkunden, Augenschein in Betracht, dagegen nicht 
Parteieid, auch die Zeugen und Sachverständigen 
sind unbeeidigt zu vernehmen. Das Verfahren 
endigt regelmäßig mit „Entscheidung“ des G., 
in der auch über die Kosten entschieden und (regel- 
mäßig) der Betrag der zu erstattenden Kosten) 
festgesetzt wird. Die „Entscheidung“ besitzt ipso 
jure vorläufige Vollstreckbarkeit, die aber entzogen 
oder an Bedingungen geknüpft werden kann, 
auch kann dem Schuldner Abwendung der Voll- 
streckung durch Sicherheitsleistung oder Hinter- 
legung gestattet werden. 
5. Die Bernfung auf den ordentlichen 
Rechtsweg (Hegler 5 11, Abh. in Bad. Rechtsprax. 
1910 S 251 ff [Jordan], S 263 ff [Heinsheimer), 
1911 S?28 ff (Heglerl). Der gemeindegerichtlichen 
„Entscheidung“ gegenüber ist als eigentümlicher 
Rechtsbehelf (nicht Rechtsmittel) die sogenannte 
„Berufung auf den ordentlichen Rechtsweg“ ge- 
geben?:). Dieselbe ist etwa dem Einspruch gegen- 
über dem Strafbefehl zu vergleichen, sie hat die 
negative Bedeutung, die gemeindegerichtliche 
„Entscheidung" abgesehen von deren vorläufiger 
Vollstreckbarkeit außer Kurs zu setzen; ob auch 
die positive, die Sache sofort beim ordentlichen 
Gericht anhängig zu machen, ist bestritten, aber 
wohl anzunehmen, eine andere Meinung ver- 
langt hiezu noch besondere Klage. Zu erheben 
ist diese „Berufung" binnen einer Notfrist von 10 
Tagen (Württemberg), bezw. 2 Wochen (Baden) 
durch Erklärung beim G. bezw. Bürgermeister, 
die Prüfung form= und fristgerechter Einlegung 
erfolgt durch das ordentliche Gericht. Ist dieselbe 
in Ordnung, so wird die Sache vor dem ordent- 
lichen Gericht völlig neu verhandelt, die Entschei- 
dung desselben ergeht auch über die Kosten des 
gemeindegerichtlichen Verfahrens. 
6. Besondere Verfahrensarten (Hegler § 13). 
Als solche sind vorgesehen Mahnverfahren (vgl. oben 
&2 Anm. 1) und Arrestverfahren (Verfahren betr. 
einstweilige Verfügungen). Bezüglich des ersteren 
gelten die Normen der 8PD, soweit nichts Ab- 
weichendes bestimmt ist, was insbesondere bezüglich 
des Rechtsbehelfs gegen den Vollstreckungsbefehl 
(in Baden Einspruch beim Amtsgericht, in Würt- 
–. 
  
1) Betr. die Kostenpflicht gegenüber dem Ge- 
richt, insbesondere die Gerichtsgebühren, finden sich be- 
sondere Bestimmungen s. badisches Kosten G v. 24. 9. 08 
(GBl 539) 1 134, bad. DW. 4# 79 ff; württ. Gebühren O 
für die G. v. 28. 6. 02 (KRegl 221). Bgl. über die Kosten 
des gemeindegerichtlichen Verfahrens näher Hegler 3# 14. 
2) Bei Nichterhebung (oder was dem gleichsteht) wird 
die gemeindegerichtliche „Entscheidung“ formell und ma- 
teriell rechtskräftig; für diesen Fall sieht Baden Wieder- 
aufnahmeklage vor, Württemberg gibt ein Surrogat der- 
selben (ausnahmsweise Verlängerung der „Berufungs"-Frist). 
  
temberg Berufung auf den ordentlichen Rechts- 
weg) der Fall ist. Bezüglich der anderen beson- 
deren Verfahrensart verweist Württemberg auf 
eine Reihe von Bestimmungen der 8 PO, während 
aden — das im Gegensatze zu Württemberg 
nur den dinglichen Arrest kennt — eine eigene 
Regelung gibt. Beide Gesetze weichen in zahl- 
reichen Punkten von der 8 PO ab, insbesondere 
bezüglich der zur Verfügung gestellten Rechts- 
behelfe gegen Erlaß von Arrestbefehlen, Zurück- 
weisung diesbezüglicher Anträge usw. (Württem- 
berg: Beschwerde, Baden: Widerspruch und gegen 
die solgende „Entscheidung“ Berufung auf den 
ordentlichen Rechtsweg, bezw. sofort letztere). 
# 7. Die Zwangsvollstreckung (Hegler # 12) 
erfolgt aus den gemeindegerichtlichen „Ent- 
scheidungen“ und Vergleichen prinzipiell nach den 
Bestimmungen der 8P, soweit nichts Abweichen- 
des bestimmt ist. Letzteres ist besonders insofern 
der Fall, als in Württemberg Zustellung des Voll- 
streckungstitels, der „Entscheidung“, nicht immer 
notwendig ist (Ersetzung durch Verkündigung). 
Das G. ist nicht „Vollstreckungsgericht“, es (bezw. 
wein Vorstand) ist bei der Zwangsvollstreckung 
elbst überhaupt nur ausnahmsweise tätig (Ueber- 
mittlung des Vollstreckungsauftrags an den Ge- 
richtsvollzieher auf Antrag, in Württemberg wei- 
ter betr. Erzwingung von Handlungen, Unter- 
lassungen entsp. J# 887, 888, 890 8PO, jedoch 
nur innerhalb der Strafgewalt der Gemeinderäte). 
6#8. Die Statistik zeigt im allgemeinen günstige 
Resultate. In Baden wurden in den Jahren 
1894—1909 jährlich bei den G. anhängig zwischen 
13 096 (1896) und 19 856 (1909) gewöhnliche 
Prozesse, erledigt zwischen 13 073 (1896) und 
19 829 (1909) solche Rechtsstreitigkeiten und zwar 
durch Vergleich, Verzicht usw. 4959 (1896) bis 
7654 (1904; 1900: 7278), durch „Entscheidung“ 
8114 (1896) bis 12 551 (1909), nur in etwa einem 
Uchtel der so erledigten Fälle, in 1103 (1894) bis. 
1516 (1909), wurde Berufung auf den ordentl. 
Rechtsweg erhoben, nur in ungefähr der Hälfte 
der erledigten Berufungen war die Sache bis zur 
Entscheidung des Amtsgerichts durchgeführt wor- 
den, diese letztere erging wiederum nur etwa zur 
Hälfte im Sinne einer Abänderung der gemeinde- 
gerichtlichen Entscheidung, in 222 (1895) bis 382 
(1908, 1909: 358) Fällen; die Zahl der auf diese 
Weise erledigten gewöhnlichen Prozesse betrug 
etwa 25 bis 300 der beim Amtsgericht jährlich 
anhängig gewordenen gewöhnlichen Rechtsstrei- 
tigkeiten, bedeutet also eine recht erhebliche Ent- 
lastung des Amtsgerichts. In Württemberg ficlen 
in den Jahren 1900—1909 an bürgerlichen Rechts- 
streitigkeiten bei den G. jährlich an 7093 (1900) 
bis 9652 (1909) Rechtsstreitigkeiten, beendet wur- 
den durch Entscheidung jährlich 2536 (1900) bis 
4122 (1909), auf andere Weise 4104 (1903) bis. 
4576 (1909), in derselben Zeit fielen bei den 
Amtsgerichten an gewöhnlichen Prozessen, Ur- 
kundenprozessen, Entmündigungssachen, Aufge- 
botssachen, Arresten und einstweiligen Verfü- 
— jährlich an 42 300 (1900) bis 54 603 (1909) 
Sachen. 
  
  
Lüteratur: Val. oben bei 1 1 III; Hermonn 
Seuffert, Art. „Gemeindegerichte“ in der 1. Aufl. 
dieses Werkes 2. Ergänzungsband 1893 S 66—73. Im 
übrigen s. Hegler, Das G. Verfahren in Baden und
	        
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