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Gerichtsverfassung
hochverräterischen gegen den Bund gerichteten
Unternehmungen durch à 75 das gemeinschaftliche
Oberappellationsgericht der drei freien und Hanse-
städte in Lübeck als die zuständige Spruchbehörde
in erster und letzter Instanz bestellt wurde. Im
übrigen überließ die Verfassung die Gerichtsbarkeit
den Einzelstaaten. In dreifacher Richtung legte
jedoch die Verfassung dem Bunde das Recht einer
Einwirkung auf die von den Einzelstaaten auszu-
übende Gerichtsbarkeit bei. 1) Durch a 77 erhielt
der Bundesrat das Recht, Beschwerden über ver-
weigerte und gehemmte Rechtspflege anzuneh-
men, diese nach der Verfassung und den be-
stehenden Gesetzen des betreffenden Bundesstaa-
tes zu beurteilen und falls die Beschwerde für be-
gründet befunden wird, die gerichtliche Hilfe bei
der Bundesregierung, die zu der Beschwerde An-
laß gegeben hat, zu bewirken. Damit war dem
Bunde das Recht der Aufsicht darüber beigelegt,
daß die Einzelstaaten die Rechtspflege ordnungs-
mäßig handhaben. 2) Nach a 4 Nr. 11 BV fiel
in die Zuständigkeit des Bundes der Erlaß von
Bestimmungen über die wechselseitige Vollstreckung
von Erkenntnissen in Zivilsachen und die Erledi-
gung von Requisitionen überhaupt. Auf Grund
dieser Versassungsbestimmung erging dann das G
v. 21. 6. 69, betr. die Gewährung der Rechts-
hilfe (1|] (BEBl 305). Es beschränkte sich jedoch
nicht darauf, die Rechtshilfe unter den Gerichten
verschiedener Einzelstaaten in Zivilsachen zu re-
geln. Auch in Strafsachen erkannte es die Ver-
pflichtung zur Rechtshilfe unter allen Gerichten
der Einzelstaaten grundsätzlich an, sprach die
Pflicht zur Auslieferung selbst der eigenen An-
gehörigen des ersuchten Staates aus und ver-
pflichtete die Gerichte in gewissem Umfange zur
Vollstrreckung der in einem anderen Bundesstaate
erlassenen Strafurteile. 3) Nach a 4 Nr. 13 BV
gehörte zur Zuständigkeit des Bundes die Gesetz-
gebung „über das gerichtliche Verfahren“". Die
Einzelstaaten sollten zwar grundsätzlich die Ge-
richtsbarkeit behalten, sie aber nach den vom
Bunde gegebenen Prozeßordnungen ausüben.
Da aber das einheilliche Prozeßverfahren eine
bestimmte Verfassung der Gerichte voraussetzt,
war damit auch die Zuständigkeit zur Ordnung
der Gerichtsverfassung wenigstens in den Grund-
zügen auch für den Bund gegeben.
Der norddeutsche Bund ging aber noch weiter.
Durch Erlaß des G v. 12. 6. 69, betr. die Errich-
tung des Oberhandelsgerichts in Leipzig (Bl
201) wurde eine eigene Gerichtsbarkeit des
Bundes anerkannt und damit der Grundsatz zur
Geltung gebracht, daß den Einzelstaaten die Ge-
richtsbarkeit nur in dem Umfange zusteht, als der
Bund die Gerichtsbarkeit nicht durch eigene Ge-
richte ausübt. Bei Errichtung des Deutschen Reichs
wurde das G v. 12. G. 69 als Reichsgesetz anerkannt.
Mit den Reichsjustizgesetzen von 1877 machte das
Reich von seiner Zuständigkeit Gebrauch, das ge-
richtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitig-
keiten (Z3PPO) und in Strafsachen (St tO) zu
regeln. Gleichzeitig ordnete es die Verfas-
sung der Landesgerichte und des
Reichsgerichts, damit aber auch dic eige-
ne Gerichtsbarkeit des Reichs durch
das GVG nebst dem dazu gehörigen E#v.
27. 1. 77 (REl 41 ff), das gleichzeitig mit der
ZP, der St PO und der Konk O am I. 10. 79
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in Kraft trat. Die Neuordnung des bürgerlichen
Rechtes durch das BGB führte zu umfassenden
Aenderungen der ZPO und zur Aenderung ein-
zelner Vorschriften des GVG und des EG GVG;
das GVG wurde daher durch Bek des RK v.
20. 5. 98 in neuer Fassung veröffentlicht.
Weitere Aenderungen erfuhren: 8 113 GVG
(Ernennung zum Handelsrichter) durch Ro#v.
20. 3. 05; die ##§ 27, 28, 75 (Zuständigkeit der
Schöffengerichte und Strafkammern) durch das
RG v. 5. 6. 05 (die sog. lex Hagemann). Die
Prozeßnovelle v. 1. 6. 09 erhöhte die Zu-
ständigkeit der Amtsgerichte auf 600 Mk., erwei-
terte den Kreis der Feriensachen, machte die Kam-
mern für Handelssachen auch zu Berufungs= und
Beschwerdegerichten und gestattete, Amtsrichter
zugleich zu Landrichtern an demselben Orte zu
ernennen. Die nächste Aenderung brachte das
R v. 22. 5. 10; es beseitigte die Zuständigkeit
des Reichsgerichts für Prozeßbeschwerden und
gestattete, Hilfsrichter bei ihm bis zum 31. 12.1913
zu beschäftigen. Neue Aenderungen stehen bevor
durch die (gegenwärtig, 1911, den Reichstag be-
schäftigende, im Ergebnis noch nicht zu über-
sehende) Neuordnung der St PO und die geplante
Errichtung eines Kolonialgerichtshofs (unten II).
I. Nach §2 E G finden die Vorschriften
des GVG (zunächst) nur auf die ordentliche
streitige Gerichtsbarkeit Anwendung. Was
unter dieser zu verstehen ist, sagt das GVG nicht;
wohl aber sind im 5 12 GVc diejenigen Gerichte
aufgezählt, die die ordentliche streitige Gerichts-
barkeit auszuüben haben und im § 13 ist ihre Zu-
ständigkeit dahin bestimmt, daß ihnen alle bürger-
lichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen zuge-
wiesen sind, sofern sie ihnen nicht durch Versagung
des Rechtswegs IN oder durch Errichtung beson-
derer Gerichte entzogen sind. Die ordentliche strei-
tige Gerichtsbarkeit umfaßt daher dicjenigen bür-
gerliche Rechtsstreitigkeiten und diejenigen Straf-
sachen, die vor die im § 12 G aufgezählten
ordentlichen Gerichte gehören.
Den Begriff der bürgerlichen Rechts-
streitigkeiten hat die Reichsgesetzgebung
nicht festgestellt, ihn vielmehr im § 13 GW0 als
gegeben vorausgesetzt. Nach § 4 EG ZPO darf
jedoch für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, für
welche nach dem Gegenstande und der Art des
Anspruchs der Rechtsweg zulässig ist, dieser aus
dem Grunde, weil als Partei der Fiskus, eine Ge-
meinde oder eine andere öffentliche Korporation
beteiligt ist, durch die Landesgesetzgebung nicht
ausgeschlossen werden. Daraus ergibt sich we-
nigstens soviel, daß nach der Absicht der Reichsge-
setzgebung der Begriff der bürgerlichen Rechts-
streitigkeiten nach der inneren Natur des Rechts-
verhältnisses bestimmt werden muß. Die Stellung
der Personen, die an dem Rechtsverhältnisse be-
teiligt sind und daher als Parteien auftreten kön-
nen, ist dagegen gleichgültig. Außerdem hat die
Reichsgesetzgebung in verschiedenen Sonderge-
setzen für eine große Anzahl von Angelegenheiten
ausdrücklich die Zulässigkeit des Rechtswegs aus-
gesprochen, so daß sie als bürgerliche Rechts-
streitigkeiten zu betrachten sind, z. B. die vermö-
gensrechtlichen Ansprüche der Richter aus ihrem
Dienstverhältnisse (GVG 5 9), die Ansprüche
gegen Reichsbeamte wegen der in Ausübung ihres
Amtes vorgenommenen schädigenden Handlungen