Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Gefängniswesen 
  
II. Mit Rücksicht auf die Art der De- 
tention, namentlich auf die Art des Straf- 
vollzugs unterscheidet man Hellen und Ge- 
meinschaftsanstalten. Manche Anstalten sind reine 
Zellen G. Andere enthalten Einrichtungen für 
die Gemeinschafts= und die Einzelhaft. Mit Rück- 
sicht auf den Einlieferungsbezirk werden Lan- 
des-, Provinzial-, Bezirks-, Kreis-, Orts G unter- 
schieden. Die Einlieferung findet aber keineswegs 
nur nach geographischen Gesichtspunkten statt, 
sondern auch z. B. nach Geschlecht, Alter, Kon- 
fession, Vorstrafen oder Strafdauer der Sträf- 
linge. In dem französisch-rechtlichen Teile der 
preußischen Rheinprovinz bestehen „Kantonge- 
fängnisse“, welche früher von den Gemeinden zu 
bauen und zu unterhalten waren. Auf Grund 
des G v. 30. 6.87 (GS 287) ist die Verpflichtung 
dazu auf den Staat übergegangen. 
. Militärische Gefängnisse. Vgl. 
die Militär-Strafvollstreckungs-Vorschrift I. Teil 
v. 19. 3. 08, gültig mit den durch die Verhältnisse 
gebotenen Abweichungen auch in Bayern, Würt- 
temberg und Sachsen, sowie für die Marine. Man 
unterscheidet: 1. Festungs G. 2. Festungs-Ge- 
fangenanstalten (beide zur Vollstreckung von G- 
Strafen je nach der Dauer). 3. Festungsstuben- 
Gefangenanstalten zur Vollstreckung von Festungs- 
haft an Militär= und Zivilpersonen. 4. Militär- 
Arrestanstalten (Garnison G, Arrestlokale der ein- 
zelnen Garnisonen) für Arrest und kurze Haft und 
GStrafen. Ueberall scharfe Scheidung nach der 
Charge der Bestraften. An Bord in Dienst ge- 
stellter Schiffe und Fahrzeuge werden vollstreckt 
Arrest und Haft, sowie gegen Unteroffiziere und 
Gemeine G. Bei längeren GStrafen erfolgt 
Ueberweisung an ein G mit Ablösungstransport. 
Untersuchungshaft wird nach 88 124 ff MStV 
als geschärfter Stubenarrest (Offiziere) oder ge- 
linder Arrest (Unteroffiziere und Gemeine) voll- 
zogen. Arrest an Personen des Beurlaubten- 
standes wird in bürgerlichen G nach den militäri- 
schen Vorschriften vollstreckt (s5 105 GO). Keine 
Strafanstalten sind die disziplinaren Arbeiter- 
abteilungen (Arbeitssoldaten) zur Ausscheidung 
moralisch haltloser, widersetzlicher oder verbreche- 
risch veranlagter Personen aus der Truppe. 
# 4. Formen des Strafvollzugs. 1) Die ältere 
Klassenhaft, die in sehr äußerlicher Weise 
Klassen der mehr und der weniger Verderbten 
trennt. Ein richtiger Kern liegt dieser Einrichtung 
wohl zu Grunde, die Ausführung muß aber eine 
andere sein, als sie früher gedacht war (s. unten 
Nr. 6). — 2) Gänzliche Vereinsamung der Ge- 
fangenen bei Tag und Nacht, grundsätzlich ohne 
Arbeit, das ältere penusylvanische Sy- 
stem, das notwendig zu schlimmen Ergebnissen 
führen mußte. — 3) Das Auburnsche oder 
Schweigsystem vereinigt die Sträflinge 
tagsüber bei der Arbeit unter Auflage strengen 
Schweigens zur Vermeidung harter Strafen. 
Uebrigens ist das Schweigen nicht durchführbar 
(Krohne S 161, 246). Das System findet sich nur 
noch vereinzelt in G Deutschlands, namentlich 
unter Benutzung eigenartig konstruierter Isolier-= 
schlafkoien. — 4) Das modifizierte penn- 
sylvanische Einzelhaftsystem, das nach Mög- 
lichkeit die Sträflinge in Zellen verwahrt, auch sie 
mehr oder weniger in der Kirche, in der Schule 
  
  
  
Einzel-Spazierhöfe — aber die Sträflinge zu 
2*3 Arbeit anhält und regelmäßige 
Besuche durch die Anstaltsbeamten vorschreibt. 
Dem pennsylvanischen Systeme folgte man in 
England bei Herstellung und Einrichtung des 
Mustergefängnisses von Pentonville, in dem frei- 
lich zunächst nur das erste Stadium der Strafe 
vollzogen wurde, während die Sträflinge nach 
1½ Jahren in eine australische Kolonie verbracht 
wurden. In Deutschland nahm man das penn- 
sylvanische Einzelhaftsystem zuerst in den Straf- 
anstalten zu Bruchsal und zu Moabit an. Dieses 
System ist mehr und mehr in den Vordergrund 
getreten. — 5) In neuerer Zeit ist mehrfach wieder 
empfohlen worden das Progressiv'= loder mit 
Unrecht als irisches bezeichnete) System 
(Walter Crofton). Es verbindet im Interesse 
erziehlicher Wirkung Einzelhaft mit Gemein- 
schaftshaft, Zwischenanstalten und Beurlaubung. 
Die Gemeinschaftshaft wird in 4 Abteilungen 
vollzogen, wobei immer die folgende mit einer 
größeren Anzahl von Vergünstigungen und Er- 
leichterungen verbunden ist. Der Eintritt in die 
höhere Abteilung muß durch Marken über Wohl- 
verhalten verdient werden. Während der Sträf- 
ling in der Zwischenanstalt sich befindet, darf er 
zu Arbeiten außer dem Hause auf Tage und 
Wochen entsendet werden. Die Zeit der Beur- 
laubung entspricht der in Deutschland schon be- 
stehenden vorläufigen Entlassung (§ 23 ff StGB). 
Das Progressivsystem ist theoretisch gut ausge- 
dacht, aber zu kompliziert und erfordert einen zu 
umständlichen Apparat an Baulichkeiten und ein 
zu großes Beamtenpersonal (A. M. Goldschmidt 
S 362 ff, 375 ff, sowie Langer, Der progressive 
Strafvollzug in Ungarn, 1904). Die Mehrzahl der 
im GWesen erfahrenen Praktiker hält das modi- 
fizierte Einzelhaftsystem für das verhältnismäßig 
beste, indem es die nötige Individualisierung der 
Strafe ermögliche, vor Verbreitung der verbreche- 
rischen Ansteckung schütze und geeignet sei, die 
Gefangenen auf bessere Wege zu bringen. Der 
Geldpunkt ist trotz stetiger Herabminderung der 
Baukosten (vgl. Statistik der inneren Verwaltung 
in Preußen 1906 S Xl u. XII) vielfach noch der 
praktische Gegner für die konsequente Durchfüh- 
rung der Einzelhaft; auch sachliche Gegner dieser 
Form des Strafvollzugs sind noch vorhanden. 
Jedenfalls muß für langzcitige Frciheitsstrafen 
und für Personen, die aus leiblichen oder psychi- 
schen Gründen die Einzelhaft nicht vertragen, 
die Einrichtung der Gemeinschaftshaft vorgesehen 
sein (Grundsätze I5 11—13). — 6) Einer der wich- 
tigsten Punkte, auf welchen der Strafvollzug mehr 
als bisher zu achten haben wird, ist die völlige 
Trennung der Gelegenheits- und 
Gewohnheitsverbrecher. Die letzte- 
ren müßten im Interesse der Gesellschaft und in 
ihrem eigenen Interesse einer länger andauern- 
den Behandlung unterworfen werden. Man 
kann der Gesellschaft das Recht nicht absprechen, 
Individuen, die sich durch wiederholte Verletzun- 
gen der Gesellschaftsordnung als dauernde Ge- 
fahren erweisen, auf unbestimmte Zeit der GBe- 
handlung zu unterziehen. Es wird überhaupt die 
Frage aufgeworfen, ob nicht auf die Dauer der 
Strafen, mehr noch als es bis jetzt der Fall, das 
Verhalten des Gefangenen von Einfluß sein sollte. 
und bei den Spaziergängen trennt — Masken, Gesetz und Richterspruch würden dann im In-
	        
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