Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
und gestalteten sich zu freien Vereinigungen aus, die den 
Zweck der Förderung der gemeinsamen gewerblichen und 
auch polinschen Interessen ihrer Mitglieder verfolgten. Hat- 
ten diese Bereinigungen ursprünglich einen privalen Cha- 
rakter, so entwickelten sie sich mit der stets wachsenden poli- 
tischen und wirtschaftlichen Hebung des H. zu öffentlich- 
rechtlichen Organen der Selbstverwaltung, die mit einer 
Reihe obrigkeitlicher Besugnisse ausgestattet sind. Diese 
Entwickelung zur Zunftverfassung begann in der Hauptsache 
acgen Ende des 12. Jahrhunderts und führte während der 
beiden folgenden Jahrhunderte zu einer hohen Blüte des 
Städtewesens und Handwerks. 
Die Zünfte waren genossenschaftliche Berbindungen von 
Gewerbetreibenden desselben oder verwandter H. zur För- 
derung ihrer gewerblichen Interessen. Auf dem Gebiete des 
Gewerbewesens stand ihnen nicht nur eine gewisse Exe- 
kutive, sondern auch die Besugnis zum Erlasse von Rechts- 
vorschristen zu. Sie übten den Zunftzwang aus in dem 
Einn, daß jeder, der das Gewerbe betreiben wollte, der Zunft 
beitreten mußte, in sie aber nur dann ausgenommen wurde, 
wenn er seinen Fähbigkeiten und auch seiner moralischen 
Qualisikation nach für geeignet erachtet wurde. Durch 
Preisfestsetzungen und Regelung des Maßes der Produktion 
wurde einerseits jedem Zunftgenossen ein gewisser Teil an 
dem Absatze der Arbeiteprodukte gesichert, andererseits das 
Entstehen von Großbetrieben gehindert. 
Diese Regeln reichten solange aus, als die Technik keine 
wesentlichen Fortschritte machte, sie wurden aber zweck- 
widrig, als mit der Entwicklung des Weltverkehrs die bis- 
herigen Gewerbsformen unzulänglich wurden und das 
Absatzgebiet sich über weitere Grenzen erstrecken mußte. 
Den modernen Verhältnissen waren die Zunfteinrichtun- 
gen nicht mehr gewachsen. Um diese aber durchzusetzen und 
insbesondere auch die Geschlossenheit der Zunft zu erhalten, 
wurde zu den chikanösesten Mitteln gegrissen, und über das 
Gesellenwesen, die Gesellen. und Meisterprüfung, die früher 
die Solidität des Handwerks garantieren sollten, die engher- 
zigsten Bestimmungen getroffen, welche unter Mißachtung 
des allgemeinen Interesses selbstsüchtigen Zwecken dienten. 
Gegen diese sog. H. Mißbräuche begann die inzwischen er- 
starkte Landesstaatsgewalt gegen Ende des 17. Jahrhunderts 
die Idee zu vertreten, daß sie und nicht die Zunft es sei, 
welche für eine gute Produktion sorgen und die Konkurrenz 
regulieren müsse. Dieser Gedanke gelangte im Reichs- 
schlusse v. 28. 6. 1731 zum Durchbruche. Die Zünfte wurden 
hierdurch ihrer bisherigen Selbständigkeit entkleidet, die 
ihnen auf dem Gedbiet des öffentlichen Rechts zustehenden 
Privilegien wurden ihnen in der Hauptsache genommen, die 
sog. Zunfstrechte wurden nur noch als privatrechtliche Pri- 
vilegien staatlicherseits geduldet, was für den Staat ohne 
weiteres das Recht in sich schloß, sog. Freimeister, die dem 
Zunftzwange nicht unterlagen, zuzulassen. Immerhin blie- 
den noch eine Reihe engherziger Bestimmungen, wie z. B., 
daß Bauernkinder ohne Erlaubnis der Obrigkeit nicht zunft- 
lähig waren, daß Landmeister nicht für die Städter arbeiten 
dürfen, daß Personen, die ohne Freimeister oder zunfstange- 
hörig zu sein das H. betreiben, als Pfuscher verfolgt werden, 
bestehen, die sich gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. 
Jahrhunderts als immer undurchführbarer erwiesen. Sie 
konnten umso weniger aufrecht erhalten werden, als die Ge- 
setzgebung der französischen Revolution alle gewerblichen 
Beschränkungen beseitigte, so daß in demienigen Teile 
Deutschlands, der zum französischen Staate gehört hatte, die 
unbeschränkteste Gewerbefreiheit galt (u Gewerbepo- 
lizeil. Auf diesem Wege folgte dann Preußen für die ihm 
nach 1806 gebliebenen Gebietsteile in der Stein-Harden- 
bergischen Gesetzgebung, und die Edikte v. 2. 11. 1810 und 
7. 11. 1811 räumten mit allen Beschränkungen, welche ge- 
genüber dem freien Betrieb eines H. bestanden, auf. Freilich 
Handwerk (Geschichte, Forderungen) 
  
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blieben diese Bestimmungen auf diejenigen Gebietsteile be- 
schränkt, in denen sie bis zu den Freiheitskriegen einge führt 
waren. 
Namentlich in Preußen kam dann aber gegen 
Mitte des 19. Jahrhunderts eine Bewegung unter 
den Handwerkern zum Durchbruche, die darauf 
zielte, die Innungen, die als privatrechtliche Ver- 
eine fortbestanden und als solche in der Hauptsache 
auch von der inzwischen erlassenen Allg. GewO 
v. 17. 1. 45 anerkannt worden waren, zu kräftigeren 
korporativen Verbänden auszugestalten. In dem 
sog. Handwerkerparlamente, welches vom 15. 7. 
bis 18. 8. 48 in Frankfurt a. M. tagte, wurde der 
Erlaß von Vorschriften gefordert, welche das alte 
Zunftwesen neu beleben sollten. Diesen Bestre- 
bungen suchte die preuß. V v. 9. 2. 49 gerecht zu 
werden, welche in der Tat weitgehende Ein- 
schränkungen der Gewerbefreiheit hinsichtlich des 
H. enthielt. Tatsächlich vermochten diese Be- 
stimmungen sich aber nicht recht durchzusetzen, und 
es wurden im Gegenteile die Zunftbeschränkungen, 
die in den neuen im Jahre 1866 zu Preußen ge- 
tretenen Landesteilen noch bestanden, alsbald 
beseitigt. 
Die dann am 21. 6. 69 publizierte GewO 
regelte zwar die Innungen von Gewerbetreiben- 
den, doch räumte sie mit allen Zwangs= und Aus- 
schlußrechten der Innungen auf und gewährte für 
das H. die weitestgehende Gewerbefreiheit (das 
Verlangen nach Errichtung von Gewerbekammern 
blieb 1869 wie 1881 erfolglos); doch machte sich 
bald gegen diese ungemessene Freiheit eine gesunde 
Reaktion bemerkbar. Es erwies sich als notwendig 
dem Handwerke, welches durch die natürliche 
Uebermacht der Großbetriebe und unsolide Ele- 
mente in hohem Grade gefährdet erschien, durch 
Gewährung einer kräftigeren Organisation zu 
einer gesunderen Grundlage zu verhelfen, wo- 
neben dann noch Stimmen laut wurden, welche 
in nachdrücklicher Weise die Einführung des Be- 
sfähigungsnachweises forderten. In ersterer Be- 
ziehung setzte die Gesetzgebung kräftig ein; die Ge- 
setze v. 18. 7. 81, 8. 12. 84 und 6. 7. 87 strebten 
eine Belebung und Kräftigung des Innungs- 
wesens an, erwiesen sich aber als unzulänglich 
und wurden sodann durch die sog. Handwerker- 
novelle v. 26. 7. 97 (RGl 125) ersetzt, die eine 
bedeutsame Entfaltung des Innungswesens IUI 
zur Folge hatte und eine weitere offizielle Ver- 
tretung des Handwerkertums in der Handwerks- 
kammer [Jl schuf. Ferner hat sie sowohl wie die 
weitere Nov. v. 30. 5. 08 (Rch#l 356) dafür Sorge 
getragen, daß den lebhaften Klagen des Hand- 
werkerstandes über unzulängliche Ausbildung des 
Nachwuchses durch sorgfältige Regelung des Lehr- 
lingswesens im allgemeinen und spceziell für das 
H. abgeholfen wurde Lehrlingswesenl, 
sowie daß das äußere Ansehen des H. und des 
handwerksmäßig vollkommen ausgebildeten Mei- 
sters durch die Regelung der Vorbedingungen, 
unter welchen der Meistertitel geführt werden darf, 
gehoben wurde. 
Freilich gehen die Forderungen der 
Handwerker noch erheblich weiter. Sie ver- 
langen nicht nur die Verpflichtung der Gesellen 
zur Führung eines Arbeitsbuchs, was mit der gan- 
zen Auffassung über die Stellung der gewerblichen 
Arbeiter im öffentlichen Leben unvereinbar er- 
scheint, die einheitliche Abfassung von Lehrverträ-
	        
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