Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Hebammen 
  
regeln (Desinfektion) zu treffen hat. In muster- 
gültiger Weise ist dies in Preußen geregelt. Nach 
dem Gv. 28. 8. 05 (5 8) ist der H. während der 
Dauer der Beschäftigung bei der an Kindbett- 
fieber erkrankten Wöchnerin und noch 8 Tage da- 
nach jede anderweitige Tätigkeit als H. untersagt 
und vor Wiederaufnahme derselben eine gründ- 
liche Reinigung und Desinfektion nach Anweisung 
des Kreisarztes vorgeschrieben; eine Befreiung 
von der achttägigen Karenzzeit ist nur durch den 
beamteten Arzt zulässig. Ferner ist eine besondere 
Anw v. 22. 11. 88 über die Verhütung des Kind- 
bettfiebers (MBli B 208) und ein Min E v. 7. S. 08 
betr. H.Tätigkeit bei Kindbettfieber ergangen. 
Nach ihrer Dienstanweisung ist die preußische H. 
ferner verpflichtet, jeden Fall von Fieber im 
Wochenbett (über 38°% C), also gleichgültig ob 
bereits Kindbettfieber festgestellt ist oder nicht, 
dem Kreisarzt anzuzeigen und sich bis zu dessen 
Anordnungen jeder weiteren Berufstätigkeit zu 
enthalten. In andern Staaten (Bayern, Sachsen 
u. a.) ist nur das wirklich ärztlich festgestellte Kind- 
bettfieber für die H. anzeigepflichtig. 
Für ihre Tätigkeit haben die H. Anspruch auf 
Bezahlung, die in streitigen Fällen nach 
einer für den betreffenden Staat gültigen Tare 
mit Mindest= und Hoöchstsätzen bemessen wird. 
Die Sätze weichen schon in einzelnen Provinzen 
vielfach von einander ab. Für eine normale Ge- 
burt bis zur Dauer von 12 Stunden schwanken die 
Sätze von 2,50 bis 10 Mk. als Mindest= und von 
7,50 bis 50 Mk. als Höchstsatz. Die Entlohnung 
der H. für ihre oft mühevolle und durch weite 
Wege erschwerte Arbeit ist meist eine unzulängliche 
und der Jahresverdienst häufig geringer als der 
einer Arbeiterin. Im Jahre 1902 hatten in Preu- 
ßeen von 19 665 H. 729 ein Gesamteinkommen 
bis zu 600 Mk. und nur 8% ein solches über 
1000 Mk. 
#ä4. Beaussichtigung, Entziehung des Prü- 
f#ungszengnisses, Auszeichnungen. Die H. unter- 
stehen der Aufsicht des Kreis-(Bezirks-, Ober- 
amts-)Arztes, bei dem sie sich bei Antritt ihrer 
Tätigkeit und beim Wohnungswechsel zu melden 
haben, dem sie die in § 3 erwähnten Erkrankungen 
und Todesfälle in ihrer Praxis zu melden ver- 
pflichtet sind, dem sie ihre Tagebücher vorzulegen 
haben, und der sie in ihrer Amtstätigkeit revidiert 
und in gewissen Zeiträumen nachprüft. 
Die Zurücknahme der Approbation kann auf 
Grund des # 53 der Gewd erfolgen. Nach der 
Rechtsprechung des OV gehören zu wirksamen 
Gründen für die Entziehung des Prüfungszeug- 
nisses der H. 1. körperliche und geistige eingetre- 
tene Untauglichkeit, 2. Mangel der erforderlichen 
Kenntnisse und technischen Fähigkeiten, 3. schwere 
Zuwiderhandlungen gegen die besonderen Vor- 
schriften des Lehrbuchs, 4. sittliche Verstöße. 
Das Verfahren der Entziehung des Zeugnisses 
(5 54 Gewo) richtet sich nach den Landesgesetzen. 
In Preußen erfolgt die Zurücknahme durch Klage 
der Ortspolizeibehörde im Verwtreitverfahren, 
die in erster Instanz an den Bezirks-Ausschuß zu 
richten ist. Gegen die Entscheidung findet die Be- 
rufung an das O statt. In Bayern ist die 
Distrikteverwaltungsbehörde die erste Instanz, 
Beschwerde ist zulässig bei der Kreisregierung und 
weiter beim Verwaltungegerichtshof. 
  
Rapmund und Dietrich, 
Als Auszeichnung wird in Preußen den 
H. nach 40jähriger tadelloser Führung von der 
Königin eine Brosche verliehen. Die Anträge 
werden von den Landräten an die Reg Präsidenten 
eingereicht. 
m5. Berufsorganisationen, Versicherung ge- 
gen Krankheit, Alter und Invalidität. Eine 
staatliche Regelung der Versorgung der H. bei 
Krankheit, Alter und Invalidität fehlt noch fast 
ganz in Deutschland; von einigen kleineren Staa- 
ten abgesehen hat nur Sachsen eine Pensionierung 
der H. bei einem Alter von 60—65 Jahren mit 
einem Durchschnittssatz von 250—300 Mk. In 
Preußen ist seit 1908 in den Etat eine Summe 
(ietzt 100 000 Mk.) eingestellt, die für Unterstützung 
der Bezirks H. dienen soll; es werden solchen Krei- 
sen Beihilfen gegeben, die das H.Wesen durch 
Kreisstatut in ausreichender Weise geordnet haben. 
Im übrigen beschränkt sich die öffentliche Für- 
sorge bisher darauf, daß Kreise und Gemeinden 
für die Bezirks. durch Zuschüsse, Gewährung von 
Ruhegehältern und Bezahlung der Beiträge für 
die Landesversicherungsanstalt sorgen. Die H. 
haben sich zur Verbesserung ihrer sozialen Lage 
selbst zusammengeschlossen; zahlreich sind die 
H. Vereine (in Deutschland im Jahre 1911 645); 
sie werden von H. geleitet und von dem beam- 
teten Arzte und den Direktoren der Lehranstalten 
gefördert. Die Aufgabe der Vereine ist Verbesse- 
rung der sozialen Stellung, wissenschaftliche Fort- 
bildung, Unterstützung bedürftiger Mitglieder. 
Die Vereine haben sich vielfach zu Landesgruppen 
zusammengeschlossen und 1890 wurde die Ver- 
einigung deutscher H. mit dem Sitz in Berlin ge- 
gründet. Dieser Verein begründete eine Alters- 
zuschußkasse für H., die 1906 in den Unterstützungs- 
verein „Alterstrost" umgewandelt wurde. Außer- 
dem besteht eine deutsche H. Kranken-, Unter- 
stützungs-- und Sterbekasse. 
36. Anhang: Wochenbettpflegerinnen. Neuer- 
dings werden zur besonderen Pflege von Wöch- 
nerinnen in Preußen und Hessen weibliche Per- 
sonen als „Wochenbettpflegerinnen“ ausgebildet. 
Die Ausbildung geschieht in den H. Lehranstalten; 
die Kurse dauern meist 2—3 Monate und werden 
durch eine Prüfung vor einer Kommission, die 
gleich der H. Prüfungskommission zusammen- 
gesetzt ist, beendigt. Die Ausbildung kostet 100 
bis 120 Mk. Die bisherigen Erfahrungen sind 
gute. Das preußische G betr. die Bekämpfung 
übertragbarer Krankheiten v. 25. 8. 05 stellt die 
Wochenbettpflegerinnen in bezug der Verhütung 
der Verchleppung des Kindbettfiebers den H. 
gleich. 
Liüterat#ur: Das Deutsche Reich in gesundheitlicher 
und demographischer Beziehung, Festschrift des Kaiser- 
lichen Gesundheitsamts zum 14. Internationalen Kongreß 
für Hygiene und Demographie: Deutscher H. Kalender 1911; 
Hoche, Aerztliche Rechtskunde, 1906; Joachim und 
Korn, Deutsches Aerzterecht; Keidel, Handhabung der 
Medizinalpolizei in Bayern, 1905; Köstlin, Hebammen- 
wesen im preußischen Med.= und Gesundheitswesen, 1883 
bis 1908, Festschrift des Preußischen Medizinalbeamten- 
Bereins, 1909; Kroemer, Die Pensionierung der H. 
in den nördlichen Bundesstaaten, Vorbericht für die 4. 
Versammlung der Vereinigung zur Förderung der deutschen 
H., 1900; G. Meyer, Die H. Gesetze in Preußen, 1905; 
Aerztliche Rechts- und
	        
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