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Impfung — Innungswesen
der V v. 26. 1. 00 in einem Termin nicht mehr
als 60, an einem Tage nicht mehr als 130 Kinder
von einem Impfarzt geimpft werden. Aehnliche
Bestimmungen bestehen in den anderen Bundes-
Gaten.
Ueber die öffentlichen J. sind besondere Listen
zu führen, die von den Impfärzten auszufüllen
und am Jahresschluß der Ortspolizeibehörde ein-
zureichen sind. Ueber jede J. wird nach Fest-
stellung ihrer Wirkung von dem Arzt ein Impf-
schein ausgestellt, Namensunterschrift erforderlich
(Namensstempel unzulässig). Wissentlich unrich-
tige Ausstellung der Impfscheine ist Vergehen
gegen § 278 St GB. Ueber die öffentlichen J. hat
der Impfarzt einen Impfbericht nach einem Sche-
ma zu erstatten, wobei besonders alle etwaigen
Erkrankungen und Todesfälle, die der J. zur Last
zu legen sind, aufzunehmen sind. Die Impfärzte
erhalten für die öffentlichen J. ihren Gesamtbe-
darf an Tierlymphe unentgeltlich aus den staat-
lichen Impfanstalten und haben hierüber ein Buch
zu führen. Der Impfarzt ist verpflichtet, jede et-
waige Störung des Impfverlaufs und jede wirk-
liche oder angebliche Nachkrankheit, soweit sie ihm
bekannt wird, tunlichst genau festzustellen und der
Ortspolizeibehörde sofort anzuzeigen. Der be-
amtete Arzt hat nach weiteren Feststellungen über
jeden derartigen Fall zu berichten.
Eine Beaufsichtigung der Impfärzte findet in
allen Staaten durch die Kreis= (Bezirks-, Ober-
amts--)Aerzte und durch die höheren Medizinalbe-
amten statt. (X Gesundheitswesen.)
Die Entziehung der Impfpflichtigen durch die
Eltern wird bestraft§14 RJIG). Nach dem Urteil
der höchstinstanzlichen Gerichte kann diese Be-
strafung so oft wiederholt werden, als die behörd-
liche Aufforderung an säumige Eltern im Rahmen
des Gesetzes wiederholt wurde (&G v. 10. 11. 92,
OLG München v. 2. 3. und 27. 7. 86 u. a.). Bei
fortgesetzter Weigerung zwangsweise Vorführung
gines Impfpflichtigen (OVBG v. 2. 4. 92, 1. 3. 95,
II. Der Impfpflicht wird auch dadurch genügt,
daß nicht der Impfarzt, sondern ein Arzt überhaupt
die J. vornimmt. PrivatJ. kann jeder Arzt vor-
nehmen. Dagegen sind nicht approbierte Personen
nicht zur Vornahme von J. befugt. (Bestrafung
emäß § 16 RJG). Bei zweimaliger erfolgloser
.durch einen Arzt kann die zuständige Ortspoli-
zeibehörde anordnen, daß die dritte J. durch den
Impfarzt vorgenommen wird.
1 Zwangsimpfungen sind sonst
noch zulässig beim Auftreten von Pocken und zwar
in Preußen in den alten Provinzen auf Grund des
8 55 und 56 des „Regulativs über die sanitätspoli-
zeilichen Vorschriften bei den am häufigsten vor-
kommenden ansteckenden Krankheiten“ v. 8. 8. 35
(5T 18 Abs 3 des R##G v. 8. 4. 74), in den neuen
Provinzen mit Ausnahme von Hessen-Nassau auf
Grund besonderer Vorschriften, für die in dem von
Pocken befallenen Hause wohnenden noch an-
steckungsfähigen Personen und bei weiterer Ver-
breitung für alle noch impfpflichtigen Personen.
Aehnlich in Bayern auf Grund a 67 Abs 2 Pol St-L
Gfür alle impfpflichtigen Kinder und sämtliche
Personen, die gefährdet sind, sofern sie nicht in
den letzten 5 Jahren die Pocken überstanden haben
oder mit Erfolg geimpft sind; ferner in Baden und
präsident.
einigen kleineren Staaten. Andere Staaten, wie
Sachsen, Württemberg, Hessen haben derartige Be-
stimmungen über Zwangs F. Erwachsener nicht,
sondern empfehlen nur die Wieder J. in derartigen
bedrohlichen Fällen.
Literatur: Fränkel, „Impfung und Impf-
recht“ im OWtaats W"; „Impfung, Staatliche und staat-
lich anerkannte Lymph-Erzeugungsanstalten“ in Rapmunds
Kalender für Medizinalbeamte 1911; Kirchner, Schutz-
pocken J. und Impfgesetz 1911; Kapmünd und Diet-
rich, Aerztliche Rechts= und Gesetzeskunde; Schul,
Impfung, Impfgeschäft? 1891; Stülen, „Impsschädi-
gungen“, „Impfung" in Enzyklopädie der Hygiene 1005;
Erläuterung des Impfgesetzes von Galli in Stengleins
Kommentar zu den strafrechtl. Nebengesetzen d. d. Reiches "
Nr. 51. Eolbrig.
————ü—
Innungswesen
* 1. Geschichtliches. 4 2. Freie und Zwangsinnungen.
4 3. Innungsmitglieder. 1 4. Organe der Innung. 1# 5, 6.
Aufgaben. 1 7. Vermögensverwaltung. 1 8. Innungsaus-
schuß und Innungsverband. 1 09. Aufsichtführung. # 10.
Auflösung und Schließung.
IJ — Innung; FI#— Freie Innung; Zw— Zwangs.
innung; J#Bers — Innungsversammlung; Gew — Ge-
werbe; Hw — Handwerk; Hwr — Handwerker; Hwe —
Handwerkskammer (Zahlen in Klammern verweisen auf
| der Reichs- Gewerbeordnung) ] 1) .
# ll. Geschichtliches. Hinsichtlich der Zünfte
Gewerbepolizei § 1. In Preußen waren die
Zünfte durch das Ges v. 7. 9. 1811 nicht beseitigt,
sondern nur ihrer gewerblichen Vorrechte ent-
kleidet. Die alten Zunftmeister kämpften zäh um
deren Wiederherstellung. Die Allg. GewO v.
17. 1. 45 änderte an ihrer rechtlichen Stellung
nichts, wenn sie auch im Interesse des Hand-
werkerstandes die JBildung begünstigte. Auch der
Versuch der V v. 9. 2. 49, durch gewisse Zwangs-
mittel der J zu erhöhter Bedeutung zu verhelfen,
blieb ohne nachhaltige Wirkung, und die GewO
für das Deutsche Reich beseitigte wieder alle Vor-
rechte der J, die sie nur als gewerbliche Privat-
vereinigungen anerkannte. Der gegen diese Rege-
lung mit Nachdruck einsetzenden Bewegung suchte
das G v. 18. 7. 81 (Rl 233) gerecht zu werden,
indem es die J zu Organen der gewerblichen
Selbstverwaltung ausgestaltete mit wichtigen
öffentlich-rechtlichen Aufgaben, aber ohne Zwangs-
befugnisse. Nach dieser Richtung wirkten erst die
Nov. v. 8. 12. 84 (Aufgaben für das Lehrlings-
wesen) und die Nov. v. 6. 7. 87 (auch von Nicht-
mitgliedern Beiträge einfordern). Alle diese Ge-
setze waren aber nicht in der Lage gewesen, den
1) Besonderheiten für Zwangsinnungen sind, um
sie hervortreten zu lassen, in 1 eingeschlossen. (D. H.)
") Als höhere Berwaltungsbehörde gilt,
sofern nichts Abweichendes angegeben ist, für: Preußen
Reg Präsident, Berlin Cberpräsident, Bayern Kreis-
regierung, K. d. JInn., Württemberg Kreisregierung,
Sachsen Kreishauptmannschaft, Baden Bezirksamt,
Hessen Kreisamt, Elsaß-Lothringen Bezirks-