Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Geleit 
  
nicht als Alt richterlicher Gewalt, sondern landes- 
herrlicher Gnade angesehen (bayerisches StGB 
Teil II a 417) oder doch der Ministerialinstanz 
übertragen (preuß. Kriminal O v. 1805 K5 248d, 
für gewisse Straftaten, wie Raub und Diebstahl 
(Krim.O # 247), auch ganz versagt. Mit dem zwei- 
ten Drittel des 19. Jahrhunderts hatte sich die 
praktische Bedeutung des sicheren G. verloren 
(Abegg 1833, 1 155). (Vereinzelt wird übrigens 
„sicheres G.“ auch gleichbedeutend mit Zwangs- 
transport gebraucht, so pr. Gendarmerie-Edikt v. 
1812 7 81.07 
Die Vereinheitlichung der Rechtspflege sowie 
der Ausbau der nationalen und internationalen 
Rechtshilfe (X] im neuen Reiche waren der Be- 
lebung des sicheren G. wenig günstig. 
Die St PO kennt das sichere G. — 4 337 — 
als Mittel, einen „abwesenden Beschuldigten“, 
gegen den ein Strafverfahren nur in beschränktem 
Maße geführt werden kann (5§8 319, 327 St PO), 
zur Gestellung für die Durchführung des Verfah- 
rens zu vermögen. Als „abwesend“ gilt der Be- 
schuldigte immer dann, wenn sein Aufenthalt 
unbekannt ist (also auch, wenn er sich im Inlande 
aufhalten sollte) oder, wenn er sich im Auslande 
aufhält und seine Gestellung vor das zuständige 
Gericht nicht ausführbar oder nicht angemessen 
erscheint. Die Gewährung des G. ist jetzt ein Akt 
richterlicher Gewalt, nicht der Justizverwaltung 
oder der Gnadeninstanz, unabhängig von einem 
Antrage des Beschuldigten (aM Kries): für die 
Anfechtung steht den Prozeßbeteiligten die Be- 
schwerde offen. 
Die Erteilung des G. erfolgt wegen einer be- 
stimmt zu bezeichnenden Handlung. Die Wir- 
kung ist Befreiung von der Untersuchungshaft 
schlechthin, nicht bloß wegen Fluchtverdachts 
(aM Bennecke), jedoch nur bezüglich derjenigen 
Handlung, für die es erteilt ist, wobei eine Aen- 
derung der rechtlichen Qualifikation nicht in Be- 
tracht kommt. 
Zuständig für die Erteilung des G. ist das 
„Gericht“, also nicht der Untersuchungsrichter (M 
Kries), mit dessen Stellung sich eine so ein- 
schncidende Bindung des erkennenden Gerichtes 
auch nicht vereinen ließe. Das Gericht wird zweck- 
mäßig die Erteilung des G. an Bedingungen 
knüpfen, z. B. Aufenthalt an bestimmtem Orte, 
Meidung bestimmter Orte (so früher Bayern) 
oder gewissen Verkehrs (Kollusion!), namentlich 
Erscheinen auf Ladung, weil das Ausbleiben nicht 
als Verwirkung des G. vom Gesetze (anders § 120 
St PO) aufgeführt ist und sonst höchstens Vor- 
führung nach sich ziehen kann; viclleicht auch 
Meldung bei Gericht oder Polizei in gewissen 
Zeiträumen oder Sicherheitsleistung, wobei aber 
die Verfallsbedingungen einzeln zu setzen sind. 
Einc Entziehung des sicheren G. oder einseitige 
Aenderung der Bedingungen ist im Gesetze nicht 
vorgesehen, was bei Auftreten neuer Verdachts- 
gründe als Mangel erscheint. Das G. erlischt 
schon mit dem Erlaß, nicht erst mit der Rechts- 
kraft eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils; 
wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft; 
wenn er die bei Erteilung des G. gestellten Be- 
dingungen nicht erfüllt. In den beiden letzten 
Fällen wird es eines besonderen Gerichtsbeschlus- 
ses bedürfen. 
Die Militär Stö v. 1. 12. 98 (vgl. § 359) 
  
—.. 
  
hat mit Fug das sichere G. nicht ausgenommen. 
2) Von einem freien G. spricht man, jedoch nicht 
gesetzestechnisch, auch in dem Falle, daß für einen 
wegen bestimmter Straftat Ausgelieferten eine 
Frist vom Freispruche oder von der sonstigen Er- 
ledigung des Verfahrens an besteht, innerhalb 
deren er wegen einer gewissen vor der Ausliefe- 
rung begangenen Straftat nicht verfolgt werden 
darf. Diese Frist ist entweder in den Ausliefe- 
rungsverträgen bestimmt (Italien, Schweiz, 
Schweden, Norwegen, Uruguay 3 Monate; 
Niederlande, Kongostaat 1 Monat) oder sie wird 
herkömmlich durch das Gericht bestimmt, wobei 
die Verträge eine Anlehnung für die zeitliche Gren- 
ze abgeben können. All dies findet auch bei 
Militärstrafsachen Anwendung [J] Ausliefe- 
rung oben Band 1266, Ausweisung I 283rl. 
8 3. Im Bölkerrecht kommt der Ausdruck 
„Geleit“ außerdem noch in mehrfacher Ver- 
wendung vor: 
a) Ueber das G. (convoi) don Handels- 
schiffen durch Kriegsschiffe # Durchsuchungs- 
recht Band 1 S 622. 
b) Als Erlaubnis zum Verkehr in einer aus 
militärischen Rücksichten sonst nicht allgemein zu- 
gänglichen Oertlichkeit des Kriegsschau- 
platzes. Der G. Brief (sauf conduit; beim 
Güterverkehr spricht man von Lizenzen) wird 
vom militärischen Befehlshaber nach Ermessen er- 
teilt und widerrufen. Einen Anspruch darauf 
haben für die Regel nur exterritoriale Personen. 
c) Im friedlichen Verkehre kommt den Ge- 
sandten innerhalb derjenigen Länder, die sie in 
offizieller Eigenschaft auf dem Wege zum Emp- 
fangs= oder Absendestaat durchreisen, der unge- 
hinderte Durchzug zu (Vattel, droit des gens IV 
#84; Martens-Gefscken, guide diplomatiques 
1866 1 §& 37), in dem Ursprunge offenbar an- 
knüpfend an das Wegegeleit des Mittelalters 
(oben § 1). 6% 
4) Aus Anlaß des sog. Falles Schnäbcele ist in 
einer Note des Reichskanzlers v. 28. 4. 87 als 
völkerrechtliche Auffassung anerkannt worden, daß 
in Anbetracht der völkerrechtlichen Motive, die 
für unbedingte Sicherstellung internationaler Ver- 
handlungen sprechen, „Grenzüberschreitungen, 
die auf Grund dienstlicher Verabredungen zwi- 
schen Beamten benachbarter Staaten erfolgen, 
jederzeit als unter der stillschweigenden Zusiche- 
rung freien G. anzusehen seien“ (Fleischmann, 
Völkerrechtsquellen 216). Die Grenzbeamten 
sind also gegen Zwangsgewalt des Aufenthalts- 
staats geschützt. 
Literatur (außer im Texte und bei dem Artikel 
„Durchsuchungsrecht“): E. Mayer, Zoll, Kaufmannschaft 
und Markt (Festgabe für Maurer 1893) S 377; P. Uhl- 
mann, König Sigmunds Geleit für Hus und das Geleit im 
Mittelalter 1894; Kalisch, Gcleitsregal und Zollregal, 
Diss. Berlin 1901; Joh. Müller, G.wesen und Güter- 
verkehr zwischen Nürnberg und Frankfurt a. M. im 15. 
Jahrh. (Vierteliahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsge- 
schichte 1907 S 173, 361; auch Sommerlad, HW##W'" 
8, 202. — Kleinschrod, Abhandlungen aus dem Pein- 
lichen Rechte 1797, Teil II Nr. 9 S 135—270; Abego, 
bistorisch-praktische Erörterungen 1833 1 152; Herm. Ru- 
dorff,. Zur Rechtsstellung der Gäste im mittelalterlichen 
städtischen Prozeß 1907 S 135 f; Zachariae, HB des 
deutschen Strasprozesses 1868 II 1 89; Hugo Meyer in
	        
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