38
Geleit
nicht als Alt richterlicher Gewalt, sondern landes-
herrlicher Gnade angesehen (bayerisches StGB
Teil II a 417) oder doch der Ministerialinstanz
übertragen (preuß. Kriminal O v. 1805 K5 248d,
für gewisse Straftaten, wie Raub und Diebstahl
(Krim.O # 247), auch ganz versagt. Mit dem zwei-
ten Drittel des 19. Jahrhunderts hatte sich die
praktische Bedeutung des sicheren G. verloren
(Abegg 1833, 1 155). (Vereinzelt wird übrigens
„sicheres G.“ auch gleichbedeutend mit Zwangs-
transport gebraucht, so pr. Gendarmerie-Edikt v.
1812 7 81.07
Die Vereinheitlichung der Rechtspflege sowie
der Ausbau der nationalen und internationalen
Rechtshilfe (X] im neuen Reiche waren der Be-
lebung des sicheren G. wenig günstig.
Die St PO kennt das sichere G. — 4 337 —
als Mittel, einen „abwesenden Beschuldigten“,
gegen den ein Strafverfahren nur in beschränktem
Maße geführt werden kann (5§8 319, 327 St PO),
zur Gestellung für die Durchführung des Verfah-
rens zu vermögen. Als „abwesend“ gilt der Be-
schuldigte immer dann, wenn sein Aufenthalt
unbekannt ist (also auch, wenn er sich im Inlande
aufhalten sollte) oder, wenn er sich im Auslande
aufhält und seine Gestellung vor das zuständige
Gericht nicht ausführbar oder nicht angemessen
erscheint. Die Gewährung des G. ist jetzt ein Akt
richterlicher Gewalt, nicht der Justizverwaltung
oder der Gnadeninstanz, unabhängig von einem
Antrage des Beschuldigten (aM Kries): für die
Anfechtung steht den Prozeßbeteiligten die Be-
schwerde offen.
Die Erteilung des G. erfolgt wegen einer be-
stimmt zu bezeichnenden Handlung. Die Wir-
kung ist Befreiung von der Untersuchungshaft
schlechthin, nicht bloß wegen Fluchtverdachts
(aM Bennecke), jedoch nur bezüglich derjenigen
Handlung, für die es erteilt ist, wobei eine Aen-
derung der rechtlichen Qualifikation nicht in Be-
tracht kommt.
Zuständig für die Erteilung des G. ist das
„Gericht“, also nicht der Untersuchungsrichter (M
Kries), mit dessen Stellung sich eine so ein-
schncidende Bindung des erkennenden Gerichtes
auch nicht vereinen ließe. Das Gericht wird zweck-
mäßig die Erteilung des G. an Bedingungen
knüpfen, z. B. Aufenthalt an bestimmtem Orte,
Meidung bestimmter Orte (so früher Bayern)
oder gewissen Verkehrs (Kollusion!), namentlich
Erscheinen auf Ladung, weil das Ausbleiben nicht
als Verwirkung des G. vom Gesetze (anders § 120
St PO) aufgeführt ist und sonst höchstens Vor-
führung nach sich ziehen kann; viclleicht auch
Meldung bei Gericht oder Polizei in gewissen
Zeiträumen oder Sicherheitsleistung, wobei aber
die Verfallsbedingungen einzeln zu setzen sind.
Einc Entziehung des sicheren G. oder einseitige
Aenderung der Bedingungen ist im Gesetze nicht
vorgesehen, was bei Auftreten neuer Verdachts-
gründe als Mangel erscheint. Das G. erlischt
schon mit dem Erlaß, nicht erst mit der Rechts-
kraft eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils;
wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft;
wenn er die bei Erteilung des G. gestellten Be-
dingungen nicht erfüllt. In den beiden letzten
Fällen wird es eines besonderen Gerichtsbeschlus-
ses bedürfen.
Die Militär Stö v. 1. 12. 98 (vgl. § 359)
—..
hat mit Fug das sichere G. nicht ausgenommen.
2) Von einem freien G. spricht man, jedoch nicht
gesetzestechnisch, auch in dem Falle, daß für einen
wegen bestimmter Straftat Ausgelieferten eine
Frist vom Freispruche oder von der sonstigen Er-
ledigung des Verfahrens an besteht, innerhalb
deren er wegen einer gewissen vor der Ausliefe-
rung begangenen Straftat nicht verfolgt werden
darf. Diese Frist ist entweder in den Ausliefe-
rungsverträgen bestimmt (Italien, Schweiz,
Schweden, Norwegen, Uruguay 3 Monate;
Niederlande, Kongostaat 1 Monat) oder sie wird
herkömmlich durch das Gericht bestimmt, wobei
die Verträge eine Anlehnung für die zeitliche Gren-
ze abgeben können. All dies findet auch bei
Militärstrafsachen Anwendung [J] Ausliefe-
rung oben Band 1266, Ausweisung I 283rl.
8 3. Im Bölkerrecht kommt der Ausdruck
„Geleit“ außerdem noch in mehrfacher Ver-
wendung vor:
a) Ueber das G. (convoi) don Handels-
schiffen durch Kriegsschiffe # Durchsuchungs-
recht Band 1 S 622.
b) Als Erlaubnis zum Verkehr in einer aus
militärischen Rücksichten sonst nicht allgemein zu-
gänglichen Oertlichkeit des Kriegsschau-
platzes. Der G. Brief (sauf conduit; beim
Güterverkehr spricht man von Lizenzen) wird
vom militärischen Befehlshaber nach Ermessen er-
teilt und widerrufen. Einen Anspruch darauf
haben für die Regel nur exterritoriale Personen.
c) Im friedlichen Verkehre kommt den Ge-
sandten innerhalb derjenigen Länder, die sie in
offizieller Eigenschaft auf dem Wege zum Emp-
fangs= oder Absendestaat durchreisen, der unge-
hinderte Durchzug zu (Vattel, droit des gens IV
#84; Martens-Gefscken, guide diplomatiques
1866 1 §& 37), in dem Ursprunge offenbar an-
knüpfend an das Wegegeleit des Mittelalters
(oben § 1). 6%
4) Aus Anlaß des sog. Falles Schnäbcele ist in
einer Note des Reichskanzlers v. 28. 4. 87 als
völkerrechtliche Auffassung anerkannt worden, daß
in Anbetracht der völkerrechtlichen Motive, die
für unbedingte Sicherstellung internationaler Ver-
handlungen sprechen, „Grenzüberschreitungen,
die auf Grund dienstlicher Verabredungen zwi-
schen Beamten benachbarter Staaten erfolgen,
jederzeit als unter der stillschweigenden Zusiche-
rung freien G. anzusehen seien“ (Fleischmann,
Völkerrechtsquellen 216). Die Grenzbeamten
sind also gegen Zwangsgewalt des Aufenthalts-
staats geschützt.
Literatur (außer im Texte und bei dem Artikel
„Durchsuchungsrecht“): E. Mayer, Zoll, Kaufmannschaft
und Markt (Festgabe für Maurer 1893) S 377; P. Uhl-
mann, König Sigmunds Geleit für Hus und das Geleit im
Mittelalter 1894; Kalisch, Gcleitsregal und Zollregal,
Diss. Berlin 1901; Joh. Müller, G.wesen und Güter-
verkehr zwischen Nürnberg und Frankfurt a. M. im 15.
Jahrh. (Vierteliahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsge-
schichte 1907 S 173, 361; auch Sommerlad, HW##W'"
8, 202. — Kleinschrod, Abhandlungen aus dem Pein-
lichen Rechte 1797, Teil II Nr. 9 S 135—270; Abego,
bistorisch-praktische Erörterungen 1833 1 152; Herm. Ru-
dorff,. Zur Rechtsstellung der Gäste im mittelalterlichen
städtischen Prozeß 1907 S 135 f; Zachariae, HB des
deutschen Strasprozesses 1868 II 1 89; Hugo Meyer in