Die Entwicklung der Kriegsmarine [M vollzog sich
erst in der Neuzeit; es ist daher begreiflich, daß
die Staaten in den voraufgehenden Peribden ihre
oft durchaus unzulänglichen maritimen Streit-
kräfte insbesondere zum Zwecke der Bekämpfung
des feindlichen Seehandels und des unerlaubten
Seehandelsbetriebs der Neutralen durch ander-
weite maritime Machtmittel zu ergänzen suchten.
Dies geschah durch Ermächtigung von Privat-
schiffen, der sog. Kaper, zur Teilnahme an
der kriegerischen Aktion im Seekrieg zu den be-
zeichneten Zwecken.
#5*„2. Geschichtliche Eutwicklung. Der Ursprung der K.
fällt in jene Epoche, in welcher der Mangel einer kräftigen
Schutzgewalt des Staates dem Einzelnen das Recht der
Selbsthilfe in größtem Maße offen ließ und ihm gestattet
war, selbständig für die von einem auswärtigen Staat oder
fremden Untertanen verursachten Beschädigungen und Be-
leidigungen Schadenersatz und Genugtuung sich zu verschaf-
sen. So wurde es üblich, daß Private gegen Untertanen
anderer Staaten selbst im Frieden förmliche Beutezüge
(cursus) unternahmen. Der Mangel staatlicher Seepolizei
nötigte die Privaten, sich selbst gegen Seeraub zu schützen —
ein Umstand, der die Entwicklung der Privatstreitkräfte zur
See wesentlich förderte. Bei Ausbruch eines Krieges eröff-
neten die Kaper auch ohne Auftrag der Kriegführenden die
Aktion gegen das feindliche Privateigentum. Uebergrifse
aller Art, insbesondere das feindliche Borgehen auch gegen
Neutrale bewirkten in der Zeit, als die Staaten selbst die
Kaper zur Ergänzung der eigenen Streitkräfte benutzten,
daß die K. nur gegen gewisse Bürgschaften und auf Grund
einer Konzession (lettre de marque, licentia marchandl)
betrieben werden durfte. Bielfach wurde in Landesgesetzen
eine rechtliche Regelung dieser Einrichtung geschaffen, ins-
besondere sollte über jede Prise IN durch ein prisengericht-
liches Urteil entschieden werden. Allein, alle Versuche der
Verhütung von Mißbräuchen hatten nur geringen praktischen
Erfolg. Nicht wenig trug die Bekämpfung des Handels des
Gegners — dieser spezlfische Zweck des Seekriegs — dazu
bei, daß die Kriegführenden Ausschreitungen der Kaper dul-
deten, ja selbst positiv förderten; anderseits stellten sich dem
guten Willen der Staaten, eine wirksame Kontrolle des Ver-
haltens der Kaper zu üben, oft praktische Hindernisse ent-
gegen. Bessere Einsicht in die rechtlichen Grundlagen des
Kriegsrechts, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Unfreiheit
des Privatcigentums im Seekrieg, vornehmlich aber die
Schenu vor einer Reaktion der Neutralen gegen die rücksichts-
lose Anwendung des traditionellen Seekriegsrechts führten
in einzelnen Verträgen zum Verzicht auf die Er-
schen Schweden- Holland 1675, Rußland--Türkei 1667—1674;
in dem berühmten Vertrage Friedrich 1I. von Preußen
und der nordamerikanischen Union 1785 a 23) und zu Ver-
suchen, die Mächte für eine allgemeine Abolition der K. und
Anerkennung des Grundsatzes der Unverletzlichkeit des Pri-
vateigentums zu gewinnen. (Anträge des Deputierten
Kersaint in der französischen legislativen Versammlung von
1792). Allein, in den Kriegen am Ende des 18. Jahrhunderts
bis zum Jahre 1815 wurde von der K. ein ebenso intensiver
wie willkürlicher Gebrauch gemacht. Ein Fortschritt ist für
die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts lediglich in der Richtung
öu verzeichnen, daß sich eine Summe von Rechtsregeln auss
Kaperei
den Verhandlungen des Pariser Kongresses von
1856. Ihren formellen Ausdruck fand die Weiter-
bildung des Völkerrechts in der Seerechts-
deklaration vom 16. 4. 56. a I der Dekla-
ration erklärt die K. für abgeschafft. Der De-
klaration waren aber nicht beigetreten: die
nordamerikanische Union, Spanien, Mexiko, Vene-
zuela, Neu-Granada, Bolivia und Uruguay. Diese
Staaten hielten, von dem geschichtlichen Zusam-
menhang der K. mit der Behandlung des feind-
lichen Privateigentums als Angriffsobjekt im
Seekrieg ausgehend, den Verzicht auf die K. nur
als Folge der Anerkennung der Freiheit des
feindlichen Privateigentums für möglich. In-
dessen, gerade dieser Kardinalpunkt der Reform
des Seekriegsrechts wurde bei der Vereinbarung
der Seerechtsdeklaration gar nicht berührt; man
beschränkte sich auf Reformen, die durch die Rück-
sicht auf die Interessen der Neutralen geboten
waren. Behielt also das Seekriegsrecht seinen
vom Landkriegsrecht abweichenden Charakter, so
erklärt sich die ablehnende Haltung jener Staaten
bezüglich der Abschaffung der K., da man
diese Einrichtung immerhin als das Mittel ansah,
die unzulänglichen offiziellen Seestreitkräfte in
einem eventuellen Kampfe mit Staaten, die über
starke Kriegsflotten verfügen, zu verstärken. Aber
auch die Staaten, welche der Deklaration nicht
beigetreten waren, machten seither von der K.
keinen Gebrauch; so wurde der Kampf um
Cuba zwischen Spanien und der nordamerikani-
schen Union 1898 mit den beiderseitigen Flotten
ohne Zuziehung von Kaperschiffen ausgefochten.
In neuester Zeit sind Spanien und Mexiko (wäh-
rend der Verhandlungen der zweiten Haager
Konferenz 1907) der Seerechtsdeklaration auch
formell beigetreten.
Für diejenigen Staaten, die der Seerechtsdeklaration
noch nicht beigetreten sind, gelten die durch die neuere Praxis.
us. ausgebildeten Grundsätze (oben 1 2 am Ende). Hier-
nach kann der Kaper nur von einem Staate ermächtigt wer-
den; dagegen kann die Ermächtigung gegen zwei oder mehrere
Staaten erteilt werden. Die Ermächtigung begründet die
Verantwortlichkeit des Kapers gegenüber dem ermächtigen-
den Staat, dessen Kriegsgesetzen der Kaper unterliegt; der
ermächtigende Staat ist für das Verhalten bieser, einen Teil
seiner Kriegsmarine bildenden Streitkräfte verantwortlich.
Läßt sich ein Kaper von mehreren Staaten, insbesondere
von den beiden Kriegsteilen autorisieren, so kann er als See-
teilung von Kaperbriefen (so in den Verträgen zwi.
räuber behandelt werden. Die Erteilung von Kaperbriefen
erfolgt regelmäßig nur an die elgenen Staatsangehörigen.
Der von einer ihm fremden Regierung autorisierte Kaper
kann als Seeräuber behandelt werden.
4. Moderne Mittel der Verstärkung der offi-
Helllen Seestreitkräfte. Umwandlung von Han-
elsschiffen in Kriegsschiffe. Die Beseitigung der
K. legte seither den Gedanken nahe, eine Ver-
stärkung der offiziellen Streit-
kräfte in einer den Grundsatz der Abschaffung
gebildet hat und die Erteilung von Kaperbriesen bei den
europaischen Großmächten seit 1815 außer Uebung kam.
§. 3. Abschaffung der Kaperei. War die K.
großenteils außer Uebung gekommen, so lag es
für die Folgezeit nahe, die Abolition des Insti-
tuts durch einen kollektiven Akt der Mächte in
Betracht zu ziehen. Der Anlaß ergab sich in
der K. nicht umgehenden Weise herbeizuführen.
Keine Umgehung des Verbots der K. liegt in
der Einrichtung der „freiwilligen Flotten“, wenn
die Beteiligung solcher Privatschiffe außer der
staatlichen Autorisation auch auf militärischer Or-
ganisation beruht, derlei Schiffe also der offi-
ziellen Flotte eingereiht sind und sie ihre recht-
liche Stellung nicht wechseln.
Streitsall im russisch-japanischen Krieg: die Schiffe „Be-
tersburg“ und „Smolensk" der freiwilligen Flotte hatten