Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Kirche (Kirchenvermögen) 
525 
  
Bei den Eigenkirchen, die in Deutschland aller- 
dings lange die Regel bildeten, lagen besondere 
Rechtsverhältnisse vor, doch sind hier die Unter- 
suchungen von Stutz, der 1895 diese Rechtser- 
scheinung zum ersten Mal beschrieb und durch 
weitere grundlegende Forschungen das Eigen- 
kirchentum als das wichtigste Element des ger- 
manischen Kirchenrechts erschloß, noch im Gang. 
Eine erschöpfende Literaturübersicht über die Eigenkir- 
chentheorie und eine Zusammenfassung seiner bisherigen 
Forschungsergebnisse über Herkunft, Verbreitung, Ausbau, 
Begleiterscheinungen, Auflösung und Nachwirkungen des 
Eigenkirchenwesens gibt Stutz in seiner neuesten Abhand- 
lung „Eigenkirche, Eigenkloster“ (Sonderabdruck aus Erg. Bd. 
zur 3. Aufl. der Hauckschen Realenzyklopädie für protest. 
Theologle und Kirche, 1912). 
Auch in korporativer Form trat das KV aufs, ins- 
besondere als Klostergut und Vermögen der Dom- 
und Kollegiatkapitel!I. Die Kapitel haben sich aus 
den altkirchlichen Presbyterien und des weiteren 
aus den durch die vita communis verbundenen 
Kongregationen des Kathedralklerus entwickelt. 
Die Priester der Zentralkirche, welche naturgemäß 
den beratenden und mitverwaltenden Rat des 
Bischofs (Presbyterium) bildeten, hatten sich vor 
allem nach dem Beispiel des heiligen Augustinus 
und Gregor des Großen zu einem gemeinsamen 
Leben verbunden. Durch Umbildung der vita 
communis sive canonica zur klosterähnlichen Ver- 
einigung wurden diese Ratskollegien festorgani- 
sierte Kongregationen. Die Domkapitel wurden 
dadurch Korporationen mit dem Recht der Selbst- 
verwaltung; aber jedes Mitglied des Domkapitels 
erhielt später seine Pfründe. 
Ds katholische K erscheint heute als 
Diözesan= und Ortskirchenvermögen. Zu ersterem 
gehört das Vermögen des Bistums, insbesondere 
der Kathedrale, der bischöflichen Mensa als des 
bischöflichen Benefiziums, der Kapitel, der diö- 
zesankirchlichen Anstalten (Seminarien usw.) 
und Diözesan-Stiftungen (Zentral-, Bau-, Eme- 
riten-, Demeriten-, Interkalarfonds usw.). Zum 
örtlichen K V gehört a) das Vermögen der Kirchen- 
fabrik (— Kirche, Kirchenstiftung, Kirchenärar) 
  
oder das K V schlechthin; bö) das Vermögen des 
Pfarrbenefiziums oder das Pfarrgut, sowie die 
Vermögenskomplexe der übrigen Benefiziaten; 
ID) die besonderen kirchlichen Anstalten der Kirchen- 
gemeinde, welch letztere gleichfalls ijuristische Per- 
son ist und eigenes Vermögen besitzen kann. Dazu 
kommt dann noch als besondere Kategorie das Klo- 
stergut (X Orden). Für die protestantische 
Kirche gelten dieselben Spezialisierungsgrundsätze. 
Das mit der bischöflichen und Klosterverfassung 
zusammenhängende Kathedral-, Mensal-, Kapitels- 
und Klostergut scheidet natürlich aus. 
#3. Der Eigentümer des Kirchenvermögens. 
Nur insoweit eine kirchliche Anstalt durch das 
staatliche Recht als Eigentumssubjekt anerkannt 
ist, kommt sie für das Eigentumsrecht wirklich 
in Betracht. Deshalb ist die Frage eine zivi- 
listische. Nun hat aber der Staat in complexu 
die Eigentumsfähigkeit der Kirche und ihrer In- 
stitute anerkannt, ohne die einzelnen Anstaltsarten 
des besonderen namhaft zu machen. Hier liefert 
dann das die kirchliche Substratsfrage ordnende 
Kirchenrecht einen unentbehrlichen Beitrag, indem 
es mitteilt, welche Institutsgattungen durch die 
  
Kirche entwickelt und demgemäß als Eigentums- 
  
– 
träger bereit gehalten sind resv. waren. Insofern 
ist die Frage auch eine kanonistische. 
Da weder das kirchliche noch das weltliche Recht 
den Eigentümer des KV im schöpferischen Akt be- 
stimmt hat und auch nicht bestimmen konnte, so 
hat sich die Doktrin der Frage bemächtigt und ein 
Eigentum Gottes und der Heiligen, des Papstes, 
der Kleriker, des Staates, der politischen und 
Kirchengemeinden, der Gesamt= und Landeskirche 
oder der einzelnen kirchlichen Institute angenom- 
men. Diese Theorien sind verkehrt. teils prinzi- 
piell, teils wegen ihrer Exklusivität; es gibt nicht 
einen, sondern viele und dabei verschiedenartige 
Eigentümer des K V. So ist also der Grundgedanke 
der Institutentheorie richtig, welche sich nur gegen 
die Kirchengemeinde und Landeskirche nicht so 
ablehnend verhalten sollte. Im Verlauf einer 
längeren Entwicklung haben sich vom kirchlichen 
Gesamtkörper eine Menge von Teilwesen abgelöst, 
die dann durch die staatliche Anerkennung auch 
privatrechtliche Selbständigkeit erlangt haben. Wir 
haben somit soviel Arten von möglichen Eigen- 
tumssubiekten des Kirchenguts als Arten von 
kirchlich-juristischen Personen. Die Kontroverse 
vom Eigentümer des KVlöst sich somit in die Frage 
auf: Welche kirchlichen Anstalten sind in den ein- 
zelnen Staaten als Personen anerkannt? Hier 
scheidet nun vor allem die Gesamtkirche aus. Die 
Gesamtkirchentheorie hat nicht einmal im kanoni- 
schen Recht einen Anhaltspunkt, welches überall 
die Tat der Spezialisierung verkündet und bei der 
Anordnung, daß das Vermögen der eigentums- 
unfähigen Bettelorden in exzeptioneller Weise 
durch die ecclesia Romana getragen werden soll, 
genügend zu erkennen gibt, daß die übrigen Ge- 
meinschaftsbildungen Herr ihres Vermögens 
bleiben. Aus dem päpstlichen Recht der Aussicht 
und Kontrolle aber kann selbstverstandlich ein 
Schluß auf das Eigentum nicht gezogen werden. 
(Ausführliche Kritik bei Meurer Begr. u. Eig. 2, 
73 ff, insbes. 81 ff.) 
Was die Landeskirche anlangt, so ist 
deren Persönlichkeit, auch in der katholischen Kirche, 
juristisch wohl möglich, aber diese Möglichkeit ist 
mangels staatlicher Anerkennung nicht zur Wirk- 
lichkeit geworden. Für Bayern nahm man aller- 
dings auf Grund der 2. Beil. z. V U 5# 24, 28, 44 
und für Baden mit Berufung auf das G v. 9. 
10. 60 §1 eine Ausnahme an. Das ließ sich 
indes nicht halten. Diese Frage ist übrigens 
nur wich ig für den künftigen Erwerb; ein wirk- 
liches landeskirchliches Vermögen besteh’' in Bayern 
und Baden zur Stunde für die katholische Kirche 
nicht. Die Privatrechtsfähigkeit der evangelischen 
Landeskirche ist dagegen in den deutschen Staaten 
allgemein anerkannt und dem landeskirchlichen 
Verband sind die als Selbstverwaltungskörper mit 
den Rechten einer juristischen Person konstituier- 
ten Kreis= und Provinzialsynodalverbände beigesellt 
worden. Die Rechtspersönlichkeit der beiden 
protestantischen Landeskirchen in Bayern (rechts 
und links des Rheins) ist allerdings erst die Folge 
des Kirchensteuergesetzes v. 15. 8. 1908. 
Weitere Rechtssubiekte sind für die ka- 
tholische Kirche: die Lokalkirchen (Kirchenfabri- 
ken, Kirchenstiftungen, Kirchenärare), die Kirchenge- 
meinden, die Benefizien, die Bistümer und Diöze- 
saninstitute, die Domkapitel (nicht dagegen die Ordi- 
nariate), die Orden (1| und Klöster und die einzel-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.