Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Kolonisation (innere) 
  
maßgebend. Von diesem erhält dann vielfach der 
Anerbe einen bestimmten Anteil (meistens 1½) zu- 
nächst als sog. Voraus. Der Rest verteilt sich auf 
die Miterben und ist ihnen vor dem Anerben aus- 
zuzahlen. 
In die Höfe- und Landgüterrolle waren am 31. 12. 05 
eingetragen in Brandenburg 71, in Schlesien 56, in Lauen- 
burg 507, in Schleswig-Holstein 34, in Hannover 72 608, 
im Reg Bez. Kassel 237 Höse. 
g 9. Das Anerbenrecht bei Reuten- und Au- 
siedlungsgütern. Die die freie Teilbarkeit der 
RG einschränkenden Bestimmungen (§ 3 G v. 
27. 6. 90; § 4 Gv. 7. 7. 91) haben eine sehr wich- 
tige Ergänzung durch das G v. 8. 6. 96 (GS 124) 
(Ausf. Erl v. 10. 8. 96 und 24. 9. 96 Mli V 152) 
insofern erfahren, als für sämtliche R- und An- 
siedlungsgüter, welche durch Vermittlung der GK 
begründet oder vom Staate ausgegeben sind, von 
Amts wegen die Eintragung der Anerbenguts- 
eigenschaft im Grundbuch nachzusuchen ist. Nur 
Güter ohne wirtschaftliche Selbständigkeit und 
solche, bei denen gemeinwirtschaftliche Interessen 
der Aufrechterhaltung ihrer Selbständigkeit ent- 
gegenstehen, sind von der Eintragung ausgeschlos- 
sen. Die Anerbengutseigenschaft darf im Grund- 
buche, und zwar ausschließlich auf Ersuchen der 
GK, nur gelöscht werden, wenn das Gut die 
  
  
  
wirtschaftliche Selbständigkeit verloren hat oder 
wenn der Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen 
Selbständigkeit gemeinwirtschaftliche Interessen 
entgegenstehen. Der Eigentümer eines solchen 
Anerbengutes kann darüber unter Lebenden oder 
von Todes wegen verfügen, er kann aber durch 
derartige Verfügungen die Zerteilung oder Ab- 
veräußerung von Teilen nur mit Genehmigung 
der GK vornehmen; ebenso ist diese Genehmigung 
erforderlich, wenn durch Verfügung unter Leben- 
den das Gut im ganzen an einen andern als an 
einen seiner Nachkommen, Geschwister deren Nach- 
kommen oder die Ehefrau veräußert werden soll; 
sie darf aber nur in dem einen Falle versagt wer- 
den, wenn Tatsachen vorliegen, welche die An- 
nahme rechtfertigen, daß die wirtschaftliche Selb- 
ständigkeit des Anerbengutes durch Vereinigung 
mit einem größeren Gute aufgehoben wird. Tritt 
der Erbfall ein, so fällt, wenn nicht ein anderes 
letztwillig bestimmt ist, das Anerbengut nebst Zu- 
behör als Teil der Erbschaft kraft Gesetzes an den 
„Anerben.“ Die Feststellung des „Anrechnungs- 
wertes“ geschieht nach dem jährlichen nachhaltigen 
Reinertrag. Der Anerbe erhält ½ als Voraus. 
Die Miterben können die Auszahlung ihrer über 
30 Mk. betragenden Erbanteile nur in einer ihrer- 
seits unkündbaren ErbabfindungsR verlangen, 
deren Uebernahme auf die RBank zulässig ist. 
Wird ein Anerbengut innerhalb 20 Jahren nach 
dem Tode des Erblassers verkauft, so steht den 
anerbenberechtigten Miterben ein Vorkaufsrecht 
zu; der Anerbe hat den Betrag des Voraus dann 
nachträglich in die Erbschaftsmasse einzuwerfen. 
Ende 1906 war die Anerbengutseigenschaft bei 9778 der- 
artigen Ru und bei 11 957 Ans. Gütern eingetragen, die 
zusammen eine Fläche von 178 846 ha umfaßten. 
§ 10. Das Anerbenrecht in der Provinz West- 
salen und den landrechtlichen Kreisen Dinslaken, 
Duisburg, Essen (Stadt u. Land), Mülheim a. d. 
Ruhr, Oberhausen und Rees. Nach dem G v. 2.7. 
1895 (G. 139; Ausf. Erl v. 3. 8. 98; VM Bl205) 
wird jedes mit einem Wohnhause versehene 
  
„Landgut“ — der Regel nach Besitzungen mit 
mindestens 60 Mk. Reinertrag — Anerbengut 
durch Eintragung dieser Eigenscaft im Grund- 
buche. In einem Teile des Geltungsbereiches des 
Gesetzes erfolgt diese Eintragung von Amts wegen 
auf Ersuchen des zuständigen Spezialkommissars 
(unmittelbares Anerbenrecht), im übrigen Teile 
dagegen auf Antrag derjenigen, welche über das 
Landgut letztwillig verfügen können (mittelbares 
Anerbenrecht). Entsprechend der Eintragung er- 
folgt auch die Löschung auf Ersuchen des Spezial- 
kommissars oder auf Antrag des Verfügungsbe- 
rechtigten. Ueber etwaige Meinungsverschieden- 
heiten zwischen diesen und dem Spezialkommissar 
entscheidet eine aus ihm als Vorsitzenden und 
2 vom Kreistage gewählten Sachverständigen ge- 
bildete „Anerbenkommission“, in höherer und 
letzter Instanz eine bei der GK in Münster ge- 
bildete „Berufungskommission“. Für die Fest- 
stellung des Anrechnungswertes sind im allge- 
meinen die gleichen Grundsätze wie in dem G v. 
8. 6. 96 maßgebend, ebenso dürfen die Miterben 
ihre Abfindungen vom Anrechnungswerte nur in 
einer Geld R verlangen, soweit die Abfindung den 
Betrag von 100 Mk. übersteigt. Eine Vermittlung 
der staatlichen RBank zur Ablösung der Erbab- 
findungs R findet nicht statt; der RBerechtigte 
kann aber eine Ablösung dieser R nach 6 monatiger 
Kündigung verlangen. Die Landschaft der Pro- 
vinz Westfalen hat sich daher bereit erklärt, die 
Ablösung unter Ausgabe von Pfandbriefen zu 
bewirken. Bis zur Zahlung des Abfindungskapi- 
tals oder der AbfindungsR können die minder- 
jährigen Geschwister des Anerben standesmäßigen 
Unterhalt auf dem Anerbengute gegen standesge- 
mäße ihren Kräften entsprechende Mitarbeit ver- 
angen. 
Literatur: Meitzen, Der Boden und die land- 
wirtschaftlichen Berhältnisse des Preuß. Staates; Sering, 
Innere Kolonisation im östlichen Deutschland, 1893; Hu- 
genberg, Innere Kolonisation, 1891; Metz, Innere 
Kolonisation in den Provinzen Brandenburg und Pommern 
1891—1901, 1902; Stumpfe, Die Seßhaftmachung der 
Landarbeiter, 1906; Belgard, Parzellierung und innere 
Kolonisation in den 6 östl. Provinzen Preußens, 1907; 
Borchert, Innere Kolonisation in Pommern, 1007; 
Gerlach, Ansiedelungen von Landarbeitern in Nord- 
deutschland, 1909; Pagenkopfs, Die innere Kolonisa- 
tion, ihr Ziel und ihr gegenwärtiger Stand, 1909; Eggert, 
Zur Ansiedlung von Landarbeitern in Ostpreußen, 1910; 
Ehrenberg, Landarbeit und Kleinbesitz, Heft 1—9, 
1906—1910; Berhandlungen der Konferenz zur Be- 
ratung über die Organisation der inneren Kolonisation am 
14. und 15. 6. 09; Archiv für innere Kolonisation Bd. 
1 if, 1909 ff. v. Miaskowski, Das Erbrecht und die 
Grundeigentumsverteilung im Deutschen Reich, 1882—84; 
Frommhold, Deutsches Anerbenrecht, 1896; Peltzer, 
Das Gesetz betr. das Anerbenrecht bei Renten- und An- 
siedlungsgütern, 1896; Kiesekamp, Das westfälische 
Anerbengesetz, 1899; Brentano, Die Agrarreform in 
Preußen, 1897; Sering, Die Vererbung des ländlichen 
Grundbesitzes in Preußen, seit 1900. — Außerdem die 
Kommentare zu den Resetzen von Andresen, Mahraun, 
Meyn, Peltasohn und Waldhecker und die entsprechenden 
Art. im HW StaateW und im Wörterbuch der Bolks- 
wirtschaft. Veltzer.
	        
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