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Mecklenburg
klärte sowie den Großherzog verurteilte, nach
Anleitung des Landesgrundgesetzlichen Erbver-
gleichs für den Herbst des Jahres 1850 einen
Landtag auszuschreiben. Damit war die kurze
konstitutionelle Episode beendet (vgl. aber & 2 III).
4. Wiederholt (in den Jahren 1872, 1874 und
neuerdings seit dem Jahre 1908) vorgenommene
Versuche, die Verfassung durch Vereinbarung mit
den Ständen in zeitgemäßer Weise zu refor-
mieren, verliefen bis jetzt stets resultatlos.
§ 2. Gegenwärtige Verfassungsorganisation.
Beide Großherzogtümer sind ständische Mo-
narchien mit dem Großherzog als dem Landes-
herrn anlder Spitze. Die patrimoniale Herrschafts-
gewalt des Landesherrn hat sich hier noch nicht zu
einer einheitlichen Staatsgewalt im modernen
Sinne entwickelt. Die Grundlage des auf einer
früheren Entwicklungsstufe stehen gebliebenen
ständischen Staats bildet hier auch heute noch
das „echte“, d. h. mit grundherrlichen Befugnissen
verbundene Grundeigentum, welches den berech-
tigten Besitzern als solchen die obrigkeitliche
Stellung und das Recht zur Ausübung der aus
dieser sich ergebenden öffentlichen Gewalt ver-
leiht. Als Inhaber des vollen Grundeigentums
in dieser Bedeutung kommen nur der Landesherr
als Eigentümer des — / des ganzen Landes um-
fassenden — Domaniums, die Besitzer der Ritter-
güter und die Städte in Betracht und hierauf be-
ruht die Dreiteilung in Domanium,
Ritterschaft und Landschaft als die
Grundlage der gesamten Verwaltung des Landes.
I. Der Landesherr. Gemäß seiner historisch
überkommenen rechtlichen Machtstellung übt jeder
der Landesherren volle Souveränitätsrechte aus
(soweit diese nicht auf das Reich übergegangen
sind), auf welche auch die Rechte und Privilegien
der Stände als ihre Quelle, und zwar als ver-
tragsmäßig erworbene zurückgeführt werden. Auf
Grund seiner souveränen Stellung ist der Lan-
desherr der alleinige Träger der gesetzgebenden
wie der vollziehenden Gewalt, in deren Ausübung
er nur vertragsmäßig durch ständische Rechte be-
schränkt ist. Seine Gesetzgebungsakte
haben daher auf Grund seines in dem Erbvergleich
auch ausdrücklich anerkannten sog. „Manutenenz-
rechts“ allemal formelle rechtliche Gültigkeit bis zu
ihrer Wiederaufhebung durch ihn selbst, gemäß
der in der schon erwähnten Patent V vom Jahre
1817 von ihm übernommenen Verpflichtung, sich
einem Schiedsgericht zu unterwerfen, falls die
Stände sich durch Akte der landesherrlichen Ge-
walt für beschwert erachten sollten (vgl. II 3).
Neben der landesherrlichen Gesetzgebungsge-
walt steht den Seestädten Rostock und Wis-
mar auf Grund besonderer Privilegien das
jus statuendi, d. h. das Recht zum Erlaß autono-
mischer Rechtsnormen innerhalb ihres Stadtgebie-
tes und für alle der städtischen Gerichtsbarkeit
unterworfenen Personen zu, welches sich sowohl
auf das öffentliche als auf das Privatrecht er-
streckt, wenn auch neuerdings durch die Reichs-
gesetzgebung erheblich eingeschränkt. Im Falle
eines Mißbrauchs dieses Rechts ist der Landes-
herr zum Einschreiten berechtigt. [7 Begna-
digung I1 378, 3791.
II. Die Stände. 1. Nach dem Wegfall des
Prälatenstandes bestehen die beiden Großherzog-
tümern gemeinsamen Stände aus der
Ritterschaft, den Eigentümern und Lehns-
besitzern der ungefähr 1200 landtagsfähigen.
(allodialen oder lehnbaren) Rittergüter des meck-
lenburgischen, wendischen und stargardischen Krei-
ses (also mit Ausnahme der Allodialgüter des
Rostocker Distrikts und der Herrschaft Wismar)
und der Landschaft, den Seestädten Rostock
und Wismar und 47 Landstädten der drei Kreise,
welche regelmäßig durch ihre Bürgermeister ver-
treten werden. Ritter- und Landschaft bilden auf
Grund der Union von 1523 eine einheitliche poli-
tische Korporation und ebenso auch jeder Stand
für sich. Ihre Union bedeutet zunächst eine Ver-
bindung der „Provinzen", d. h. der gesamten
Stände aller drei Kreise zur Wahrung der Ein-
heitlichkeit der ständischen Verfassung und der
Gleichheit der Gesetzgebung gegenüber der seit
1621 und 1701 bestehenden Landesteilung, sowie
ferner eine Verbindung beider Stände der drei
Kreise untereinander, auf Grund deren jedem
Stande gegenüber dem anderen gleiche Rechte
zustehen und kein Stand ohne Einwilligung des
anderen über gemeinsame Rechte verfügen darf.
Auf dieser Verbindung beruht insbesondere das
Recht der sog. itio in partes, wonach jeder Stand
die Abstimmung nach Ständen statt der sonst statt-
findenden Abstimmung nach Köpfen verlangen
ann.
Die Landstandschaft der einzelnen Ständemit-
glieder beruht nicht wie nach allen modernen
Verfassungen auf einem politischen Repräsen-
tationsverhältnisse, sondern steht ihnen kraft
eigenen unveräußerlichen Rechts zu als Ausfluß
ihrer mit ihrem Grundbesitze verbundenen obrig-
keitlichen Rechtsstellung.
2. Die ordentlichen Landtage werden
von beiden Landesherren alljährlich im Herbst ab-
wechselnd nach einer der beiden Landtagsstädte
Sternberg oder Malchin einberufen. Die Stände
sind außerdem befugt, auch ohne landesherrliche
Berufung zu „Konventen" zur Beratung und Be-
schlußfassung zusammenzutreten. Die Leitung der
Verhandlungen steht dem Landtagsdirek-
torium zu, das durch die acht Landräte, die
drei Erblandmarschälle und einen Deputierten
der Stadt Rostock gebildet wird, unter dem
Vorsitz des ältesten anwesenden Landrats. Die
Landräte, von denen sieben von dem Groß-
herzog von M.-Schwerin, einer von dem Groß-
herzog von M.-Strelitz aus je drei von den
Ständen vorgeschlagenen Mitgliedern der Ritter-
schaft, die dem eingeborenen oder rezipierten
Adel 1) angehören müssen, gewählt werden, sind
Vertrauens= und Mittelspersonen zwischen den
Landesherren und den Ständen. Die Erbland-
1) Zum „eingeborenen"“ Adel gehören diejenigen adeligen
Familien, welche im Jahre 1572 (dem Jahre der Ueberwei-
sung der drei Landesklöster an die Stände) mit einem Ritter-
gut im Lande angesessen waren oder auf Grund hundert-
jähriger ununterbrochener Ansässigkeit mit einem Rittergut
von dem eingeborenen Adel als zu ihm gehörig aa.nosziert
werden. Dem eingeborenen Adel ist der „rezipierte“ gleich-
gestellt, der diese Stellung durch eine gegen bestimmte gah-
lungen an die Landesklöster (vql. III 4) erfolgende Rezeption
durch den eingeborenen Adel erlangt. Regelmäßig wird für
doch ist auch eine Rezeption „propter bene merita“ ohne
dieses Erfordemis und ohne Gegenleistungen möglich.