856
Militärwesen (C. Militärrechtspflege)
spiele, Belehrung, Ermahnung, Rüge, Verwar-
nung sind die reinen Erziehungsmittel; daß Er-
weckung und Bildung des Ehrgefühls mit an erster
Stelle seeht, hat man vor 100 Jahren zur Zeit der
Wiedergeburt des preußischen Heeres mit aller
Deutlichkeit erkannt. Wo diese reinen Erziehungs-
mittel nicht ausreichen, müssen Strafen eintreten.
In erster Linie die Disziplinarstrafe
als Ausfluß der militärischen Kommandogewalt,
als Verwtrafe, in zweiter Linie die gerichtliche
Strafe, die Rechtsstrafe des Staates,
deren Herbeiführung aber aus staatlicher und mili-
tärischer Rücksicht der Kommandogewalt überlassen
ist. D Strafrecht und Militärstrafrecht sind wesens-
verwandt, sie dienen beide dem gleichen Zwecke
der D. An theoretischer Verschiedenheit fehlt es
nicht; in dem Ziele, die militärische Rechts-
ordnung und D aufrecht zu erhalten und in den
praktischen Ergebnissen stimmen sie aber zusam-
men, und zutreffend hat Laband die DOrdnung
ein zweites Militärstrafgesetzbuch genannt, für
leichtere Fälle als Ergänzung.
Wegen der Kolonien 7 Schutztruppen.
§##2. Grenzlinien des militärischen Kriminal-
und Disziplinar-Strafrechts. Die Pflichtver-
letzungen des Soldaten sind entweder strafbare
Handlungen im Sinne der Strafgesetze, vor allem
militärische Verbrechen und Vergehen nach dem
MSt GB, oder Duebertretungen, früher meist
reine DVergehen genannt, d. h. Verstöße gegen
die militärische Zucht und Ordnung und gegen
die Dienstvorschriften, die nicht von den Gesetzen
mit Strafe bedroht sind (DStO und MarDStO
§5 1 Ziff. 1). Die Handhabung der Strafgewalt
liegt allein bei den D Vorgesetzten. Das ganze
DöStrafrecht — abgesehen von einigen grund-
legenden Bestimmungen über die Destrafung
des Beurlaubtenstandes unter § 3 — ist im Ver-
ordnungswege geregelt. Zur Zeit gilt die D Straf-
O für das preußische Heer v. 31. 10. 72 (AVBl
330), und zwar auch in Sachsen und Württemberg;
sie ist ohne sachliche Aenderungen als Kgl Baye-
rische DStraf O am 12. 12. 72 in Bayern (MVBl.
508) eingeführt; für die Kais. Marine gilt daneben
die D Straf O v. 1. 11. 02 (MVBl 116).
1. Die Dis ziplinarübertretungen
sind den Uebertretungen des gemeinen Rechts ver-
leichbar. Das MSt#B kennt keine Uebertre-
tungen, sondern nur militärische Verbrechen und
Vergehen; was an geringfügigen Verfehlungen
übrig bleibt, hat eine den militärischen Bedürfnissen
Rechnung tragende Gesetzgebungspolitik aus dem
Rahmen der Strafgesetze ausgeschieden und der
Beurteilung der für die D verantwortlichen Be-
fehlshaber (D Vorgesetzten, unten § 5) überlassen.
Ob eine den Gesetzen nicht unterfallende Hand-
lung oder Unterlassung als Verstoß gegen die
militärische Zucht und Ordnung usw., als ein un-
militärisches Verhalten, d. h. als Diszipli-
narübertretung anzusehen ist, hat der
DVorgesetzte nach eigenem pflichtmäßigen Er-
messen zu entscheiden. Die reine D Strafe ist
sonach (von den §§ 202 Abs 1, 290 Abs 2 Mt GB
abgesehen) an besondere Tatbestände nicht ge-
knüpft.
2. Daneben erwies es sich als militärisch wertvoll,
zu gestatten, daß eine ganze Reihe leichterer
militärischer Vergehen des MSte B
auf dem Disziplinarwege geahndet
werden dürfen; der D Vorgesetzte vertritt in diesen
Fällen die Stelle des Richters. Dem Wegfalle
des gerichtlichen Verfahrens steht die Beschränkung
der Strafmittel und des Strafmaßes gegenüber.
Das anwendbare materielle Strafrecht muß an-
gewendet werden.
Durch die ordnungsmäßige diszipli-
näre Ahndung eines militärischen Vergehens wird
der staatliche Strafanspruch getilgt. 157 MStGO,
s. Beitrag „Disziplinarvergehen“ im Handwörter-
buch des Militärrechts, 9 3 EG MStGB; §5 1
Ziff. 2 (Mar.) DStO; § 18 EG MStEO. Es
gehören hierher die einfache unerlaubte Entfer-
nung, Achtungsverletzung, Belügen des Vorge-
setzten, Beleidigung des Vorgesetzten und im
Dienstrange Höheren, einfacher Ungehorsam, ge-
wisse Fälle des Mißbrauchs der Dienstgewalt,
vorschriftswidrige Behandlung und Beleidigung
Untergebener, Beschädigung usw. von Dienst-
gegenständen, Verletzung der Dienstpflichten auf
Wache und ähnliche, Trunkenheit im Dienst, Ber-
letzung von Geheimhaltungspflichten usw. im mili-
tärischen Strafverfahren.
3. Die Strafmittel der reinigen-.
den Disziplin (Versetzung in die II. Klasse
des Soldatenstandes, Degradation, Dienstentlas-
sung und Entfernung aus dem Heere) sind dem
M Dtrafrecht fremd geblieben und auch im
Kriege nicht zulässig. Es überwiegt mehr der Ge-
danke der Erziehung und der Besserung.
4. Das PDötrafrecht hat für die ernsteren
Verfehlungen gegen die militärische Kacht und
Ordnung usw. die Arreststrafen des
MSt WG bereit (Stuben-[Kammer-Mrrest, ge-
linden, mittleren und strengen Arrest; die mili-
tärische Gefängnisstrafe des MStGB beginnt erst
mit 43 Tagen; Freiheitsstrafe bis zu 6 Wochen ist
stets Arrest). Der strenge Arrest als gerichtliche
Strafe darf 4 Wochen nicht übersteigen. Im
DWege kann Stubenarrest nur bis zur Dauer von
14 Tagen, gelinder Arrest bis zu 4 Wochen, mitt-
lerer Arrest bis zu 3 Wochen und strenger Arrest
bis zu 14 Tagen (durch die höheren D Vorgesetzten)
verhängt werden. Auch bei disziplinärer Aynduenn
der zu 2 genannten militärischen Vergehen —
sog. DVergehen — können diese Strafgrenzen
nicht überschritten werden.
5. Eine eigentümlich vermittelnde Rolle zwi-
schen Kriminal- und DöStrafrecht nimmt § 92
MStGB ein, wonach der Ungehorsam
gegen einen Befehl in Dienstsachen mit Arrest be-
straft wird (§ 93 schärfere Strafen, wenn der Un-
gehorsam einen erheblichen Nachteil oder die Ge-
fahr eines solchen mit sich bringt).
Die Häufung von Disziplinarübertretungen
(Rückfall) rechtfertigt es an sich nicht, über die
Strafmittel der DStO hinauszugehen.
Der Gesetzgeber hat es unterlassen, trotz Vorbildern in
früheren Militärstrafgesetzbüchern, den Rückfall bei Dueber-
tretungen zu einem militärischen Vorgehen zu stempeln.
Nur unvollkommen vermag 1 92, also der Weg des Gebots
oder Verbots bestimmter Handlungen, die sonst einfache
Duebertretungen sind, diese Lücke auszufüllen. (Beispiel: Der
Trunkenheit außer Dienst begegnet der DVorgesetzte durch
das Verbot des Wirtschaftsbesuchs; die Uebertretung des Ge.
bots sichert gerichtliche Verfolgung; vgl. auch §& 38 MStGB).
Die Unvollkommenheit dieses Mittels wird noch besonders
durch die Gegensätze in der Auslegung des 3 92 gefördert: