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Militärwesen (E. Militärbildungswesen)
E. Militärbildungswesen
51. Allgemeines. 1 2. Akademien. 4 3. Kriegsschulen.
54. Kadettenanstalten. # 5. Obermilitärprüfungskommission.
## 6. Unteroffiziersschulen, Militärwaisenhaus.
1. Allgemeines. Die Errichtung von Mil-
Schulen in deutschen Landen kann bis in das
16. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Die
Armeer bedurften für den Nachwuchs ihrer Führer
der Berufsschulen, in denen jedoch auch allgemein
wissenschaftliche Fächer nicht unberücksichtigt blie-
ben. Bis zu dem Reg ntritt Friedrichs des
Großen bestand in Preußen nur das 1717 ge-
gründete Kadettenkorps. Der große König suchte
die Berufsbildung seiner Offiziere zu heben. So
entstanden die académie des nobles und die Ka-
dettenhäuser zu Stolp und Kalisch, auch die wei-
tere Ausbildung der Artilleristen und Ingenieure
in Akademien, die schon vor 1740 errichtet waren,
sowie die wissenschaftliche Fortbildung der Offi-
ziere und Offizieranwärter ließ sich der große
König angelegen sein. Zu diesen Bildungsstätten
traten 1801—1806 noch die Scharnhorstschen An-
stalten. Aber es kann nicht geleugnet werden, daß
den Anforderungen, die man in Preußen wie auch
in den anderen deutschen Landen an die mili-
tärischen Bildungsanstalten gestellt hatte, nur zum
Teil entsprochen wurde. Eine Reform tat überall
not, die Ueberzeugung, daß gediegene fachwissen-
schaftliche Bildung unter Berücksichtigung der all-
gemeinen Wissenschaften nötig sei, gewann mehr
und mehr an Boden. Es ist hier nicht der Raum,
die Anstalten, welche in den verschiedenen Staaten
entstanden, aufzuzählen. Nach den Einigungs-
kriegen ließen alle deutschen Staaten ihre Mil-
Schulen eingehen — mit Ausnahme von Bayern,
das alle militärischen Bildungsanstalten, und
Sachsen, das ein Kadettenkorps beibehielt (unten
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§s 2. Die Akademien. I. Die vornehmste Bil-
dungsstätte ist die Kriegsakademie, die
am 15. 10. 1810 von Scharnhorst begründet wurde.
Diese Hochschule, die 1bis 1859 die Bezeichnung
„Allgemeine Kriegsschule“ führte, hatte von jeher
die Aufgabe, den gut vorgebildeten Offizieren,
welche die Befähigung durch eine Prüfung dar-
legen mußten, die Gelegenheit zu geben, während
eines dreijährigen Besuches neben einer guten
Fachausbildung auch eine weitere wissenschaftliche
Bildung zu gewinnen. Durch den Reichshaus-
haltsetat von 1908/1909 werden jährlich 160 Ober-
leutnants und Leutnants aller Waffengattungen
kommandiert, nachdem sie, wie schon erwähnt,
eine Prüfung abgelegt haben. Es können nur
solche Offiziere zur Prüfung zugelassen werden,
die mindestens 3 Jahre im Offizierrange Dienst
getan haben und vor Ablauf der nächsten 5 Jahre
voraussichtlich nicht zum Hauptmann (Nittmeister)
heranstehen. Die Aufnahmeprüfung, welche den
Zweck hat, zu ermitteln, ob der Bewerber den-
jenigen Grad allgemeiner Bildung und einen
Grad der Urteilskraft besitzt, die einer weiteren
Entwicklung fähig ist, erstreckt sich außer den Kriegs-
wissenschaften auf Geschichte, Erdkunde, Mathe-
matik und Fremdsprachen. Eine Prüfung in
Mathematik haben nur diejenigen abzulegen,
welche auf der Akademie mathematische Wissen-
—
schaften treiben wollen. Offiziere, die eine Prü-
fung in einer Fremdsprache ablegen, haben nach
Wahl eine Uebersetzung aus dem Deutschen in die
Fremdsprache anzufertigen. Nach bestandener
Prüfung hat der Offizier eine Erklärung abzu-
geben, ob er eine Sprache oder Mathematik hören
wolle. Die getroffene Wahl verpflichtet ihn,
3 Jahre den betreffenden Vorträgen beizuwohnen.
Der Besuch der militärischen Fächer ist obligato-
risch. Der vollständige Lehrgang dauert 3 auf-
einanderfolgende Jahre mit Unterbrechung vom
1. Juli bis 30. September. Während dieser Zeit
werden die Akademiker zur Dienstleistung zu an-
deren Waffen kommandiert. Am Schlusse des
zweiten Jahres finden Uebungen im Aufnehmen
statt, die 3 Wochen dauern. Den Abschluß des
dritten Jahres bildet eine Schlußübungsreise, bei
der die Offiziere die Gelegenheit haben, ihre be-
sondere Befähigung zum Generalstabsoffizier nach-
zuweisen. Nach den in den 3 Jahren erreichten
Resultaten wird in dem Abgangszeugnis die Be-
fähigung zum Generalstab, zur höheren Adjutan-
tur oder zum Lehrfach ausgesprochen. Der Lehr-
plan der Kriegsakademie umfaßt außer den pflicht-
mäßigen Lehrfächern (Taktik, Kriegsgeschichte,
Befestigungslehre, Waffenlehre, Mil Gesundheits-
pflege, Mil Recht) noch Geschichte, Mathematik und
Sbrachen. Seit 1907 wird auch Reitunterricht
erteilt.
Die Kriegsakademie ist seit 1872 dem General-
stab unterstellt.
Für die Kriegsakademie in Bayern (München)
sind die Einrichtungen der Berliner Akademie
mehr und mehr maßgebend geworden. Das
Kommando zur Akademie, die unter einem Stabs-
offizier steht, dauert 3 Jahre.
II. Die Militärtechnische Akademie
hat den Zweck, die Kenntnis der MilTechnik in
der Armee mehr zu verbreiten, vor allem aber den
Offizieren bei den technischen Truppen eine um-
fassendere Vorbildung für ihren Beruf zu geben.
Durch eine Prüfung, die naturgemäß sich auf die
technischen Wissenschaften, Mathematik und Physik
erstreckt, hat der Offizier, der mindestens 3 Jahre
Dienst getan hat, seine Befähigung zu erweisen.
Die Akademie ist in 3 Abteilungen eingeteilt:
Waffenwesen (W), Ingenieurwesen (J), Verkehrs-
wesen (V) mit je 4 Lehrstufen zu einem Jahrgang.
Nebentdiesen Abteilungen besteht bei Wnoch ein
Lehrgang für Fußartillerie, der für die Offiziere
dieser Waffe obligatorisch ist. Zu W I können
bis 63 Offiziere kommandiert werden, darunter
bis je 25 Feldartilleristen und Fußartilleristen, von
der Infanterie und den übrigen Waffen bis zu 13.
Plätze, die die Artillerie nicht beansprucht, sind
den übrigen Waffen zugewiesen. Zur W II
dürfen alle Offiziere versetzt werden, zur W III
und IV etwa je 12 Offiziere. W III und IV be-
suchen je 25 Offiziere. Die Ausbildung für die
meisten Offiziere schließt mit 2 Jahren ab; die
3. und 4. Lehrstufe erhält eine kleinere Zahl,
welche in W, in Waffenkonstruktion oder Ballistik,
Jund V iim Bau und MaschinenJ, in Elektrotech--
nik oder Brückenbau eine weitere hochschulmäßige
Ausbildung erhält. Die Vorträge in JlI und II
muß jeder Ingenieur und Pionieroffizier besuchen.
Zu J.I können auch Offiziere anderer Waffen
zugelassen werden, unter der Annahme jedoch,
daß sie zum Ingenieurkorps übertreten wollen