Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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tage bezw. jeder einzelnen Kammer das Recht zu, 
in bestimmten Fällen durch Anklage gegen 
einen Min eine gerichtliche Verurteilung des Min 
herbeizuführen. Diese auf dem Wege der Anklage 
von seiten der Volksvertretung geltend zu machende 
Verantwortlichkeit der Min pflegt vorzugsweise 
als „juristische“ oder „konstitutio- 
nelle“ Min Verantwortlichkeit (im folgenden 
Min Verantwortlichkeit schlechthin oder „Minister- 
verantwortlichkeit im engeren Sinne") 
bezeichnet zu werden, wogegen man die durch 
andere Mittel zu realisierende Verantwortlichkeit 
der Min gegenüber der Volksvertretung als 
politische oder parlamentarische 
Verantwortlichkeit zu bezeichnen pflegt. 
b) Die Ministerverantwortlichkeit 
im engeren Sinne. 
# 12. Rechtsquellen. I. Fast alle deutschen 
Landesverfassungen enthalten mehr 
oder weniger eingehende Bestimmungen über die 
Min Verantwortlichkeit im engeren Sinne (preuß 
Vu a 61; bayer. VUl Tit. X & 6 und VG v. 
4. 6. 48 à 9—12; sächs. VuU §§# 141—151; württ. 
Vu## 1195—205; bad. Vll #S 67a—67 g; hess. 
Vua109 usw.). In zahlreichen deutschen Staa- 
ten sind die erforderlichen näheren Festsetzungen 
durch besondere Ausführungsgesetze ge- 
troffen (bayer. G v. 30. 3. 50; sächs. G v. 3. 2. 38; 
bad. Gv. 11. 12. 69; hess. G v. 5. 7. 1812 und 
v. 8. 1. 1824). Dagegen fehlt in Preußen bisher 
das durch a 61 Abs 2 Vl in Aussicht gestellte und 
für die Verwirklichung der Min Verantwortlichkeit 
im engeren Sinne unentbehrliche Gesetz über die 
Fälle der Verantwortlichkeit, über das Verfahren 
und über die Strafen. 
Ebenso hat die RV. a 17 dem Prinzip der 
Verantwortlichkeit des Reichskanzlers I##lll 
rechtliche Geltung verliehen, ohne daß bisher die 
Reichsgesetzgebung diese Verantwortlichkeit näher 
bestimmt und deren praktische Handhabung er- 
möglicht hätte. 
II. Die Normen der deutschen Landesstaats- 
rechte über die Min Verantwortlichkeit haben im 
allgemeinen ihre Geltung auch innerhalb des 
neuen Reichs bewahrt. Jabesondere bezweckten 
die Reichsjustizgesetze von 1877, wenn- 
gleich sie keine besonderen Vorbehalte in dieser 
Hinsicht ausgenommen haben, keineswegs, das 
Institut der Min Verantwortlichkeit unter ihre 
Satzungen zu begreifen. Ausdrücklich erklären die 
Motive zum Entwurf des Gerichtsverfassungs- 
gesetzes (S 43), daß unter den in & 3 (setzt § 12) 
zugelassenen besonderen Gerichten die zur Ent- 
scheidung über Min Anklagen berufenen besonderen 
Gerichtshöfe deshalb nicht besonders erwähnt 
seien, weil bei der Gerichtsbarkeit der Gerichtshöfe, 
welche über Min Anklagen zu entscheiden haben, 
lediglich staatsrechtliche Verhältnisse in 
Frage seien, „auf deren Regelung die Bestim- 
mungen des Gerichtsverfassungsgesetzes sich selbst- 
verständlich nicht erstrecken"“. Aehnlich besagen 
die Motive zum Ec z. StPO (S 255), daß das 
besondere Verfahren, welches nach den Landes- 
verfassungen bei Anklagen der Min wegen Ver- 
fassungsverletzungen stattfinde, unberührt bleibe, 
weil die Entscheidung in solchen Fällen nicht durch 
die Gerichte als Organe der Rechtspflege, sondern 
  
  
Minister 
durch einen Staatsgerichtshof erfolge — eine aller- 
dings recht unklare Unterscheidung. Immerhin 
sind einzelne landesrechtliche Bestimmungen über 
die Min Verantwortlichkeit durch das GV bezw. 
durch die St PO hinfällig oder geändert worden. 
Vor allem wurde der in manchen Staaten zur 
Entscheidung über die Min Anklagen berufene 
oberste Landesgerichtshof (abgesehen von Bayern) 
durch das GVe# beseitigt. In der Mehrzahl dieser 
Staaten haben die AG z. GVG die so entstandene 
Lücke ausgefüllt, nicht aber in Preußen (vgl. unten 
#5# 16 I. Ueber andere Konsequenzen der neuen 
deutschen Gesamt O 5+ 14 II, 5 18 1). 
513. Juristische Natur. I Ueber die recht- 
liche Natur der Min Verantwortlichkeit stehen 
zwei Hauptansichten einander gegenüber. Die 
eine (vertreten durch R. v. Mohl, John, Hauke, 
Pistorius usw.) schreibt der Min Verantwortlichkeit 
einen strafrechtlichen Charakter zuz; 
die andere (insbesondere von Samuely begründete, 
von H. v. Schulze, v. Sarwey, Anschütz, Otto 
Mayer, für Bayern auch von Seydel angenom- 
men) erblickt in derselben ein Analogon der 
Beamtendisziplin. Die erstere Ansicht 
kann sich namentlich auf die Gestaltung des im- 
peachment in England berufen; die letztere da- 
gegen auf die Umbildung, welche dieses in den 
V. St. von Amerika erhalten hat. 
II. Die Bestimmungen der deutschen Landes- 
verfassungen und -Gesetze beruhen fast sämtlich 
auf einer wenig klaren Auffassung der rechtlichen 
Natur der Min Verantwortlichkeit und entbehren 
daher vielfach der Folgerichtigkeit. Insbesondere 
haben sie größtenteils den strafrechtlichen 
und den disziplinären Gesichtspunkt ne- 
beneinander zur Geltung gebracht. Der 
erstere tritt namentlich in der überwiegenden Be- 
schränkung der Fälle der Min Verantwortlich- 
keit auf Rechtsverletzungen hervor 
(F14 1); der letztere äußert sich vorzugsweise in der 
Beschränkung der bei Verurteilung des angeklagten 
Min zu erkennenden „Strafen“ auf solche 
rechtliche Nachteile, die nach der Natur der Sache 
in den Bereich des Disziplinarrechts 
gehören (§ 18). Eine konsequente Ausprägung hat 
die disziplinäre Auffassung nur in dem badi- 
schen VG v. 20. 2. 68 (Vu f§67a—9) erlangt. 
Dagegen hat die württembergische Ver- 
fassungsurkunde das Wesen der Min Verantwort- 
lichkeit durch die Erstreckung der Kompetenz des 
mit der Aburteilung der Min Anklagen betrauten 
Gerichtshofs auf Vergehungen auch der Landtags- 
mitglieder sowie durch das auch der Regierung 
gewährte Recht der Anklage gegen die letzteren 
besonders stark verdunkelt. 
5 14. Gegenstand. I Als ausschließlichen oder 
hauptsächlichen Zweck der Verantwortlichkeit der 
Min betrachtete die bis in die letzten Jahrzehnte 
in Deutschland herrschende Anschauung den 
Schut des Verfassungsrechts gegen 
Umsturz oder Nichtbeobachtung von seiten der 
Staatsregierung. Demgemäß haben die deutschen 
Landesverfassungen großenteils die Bestimmungen 
über die Min Verantwortlichkeit unter die Rubrik 
der Gewähr der Verfassung gestellt (so die bayer. 
Vu Tit. X; die sächs. Abschn. VIII; die württ. 
Kap. 10; die heff. Tit. X usw.), und nach allen 
hier in Betracht kommenden Landesverfassungen 
bezw.-Gesetzen wird die Min Anklage durch Ver-
	        
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