Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

Nahrungsmittelverkehr 
sonders häufiger verwendet werden und in nahe 
Berührung mit dem menschlichen Körper kommen, 
in einer die Gesundheit schädigenden Weise herge- 
stellt wurden. Es handelte sich hierbei insbeson- 
dere um Petroleum, Bekleidungsstoffe, Papier 
und Tapeten, Farben, Kinderspielwaren, glasierte 
Tonwaren, metallene und emaillierte Hausgeräte. 
Der Reichskanzler, gestützt auf RV a 4 Nr. 13 
und 15, beauftragte daher das damals soeben er- 
richtete Kaiserliche Gesundheitsamt mit den Vor- 
arbeiten zu einer gesetzlichen Regelung des Ver- 
kehrs mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegen- 
ständen. Eine aus Mitgliedern dieses Amtes so- 
wie medizinischen, technischen und landwirt- 
schaftlichen Sachverständigen bestehende Kom- 
mission trat gegen Ende des Jahres 1877 zusam- 
men und kam zu dem Ergebnis, daß die gegen- 
wärtigen Zustände auf dem Lebensmittelmarkte 
unerträglich geworden seien, und daß die Gesetz- 
gebung sowohl durch polizeiliche Vorbeugungs- 
maßregeln als auch durch Strafbestimmungen 
eingreifen müsse. Die Kommission erachtete auch 
die Errichtung von technischen Untersuchungsan- 
stalten für erforderlich, wenn der von ihr befür- 
wortete Weg zu einem wirksamen Erfolge führen 
solle. An dem auf Grund der Kommissionsvor- 
schläge im Reichsjustizamt ausgearbeiteten Ge- 
setzentwurse, dem eine eingehende Begründung 
beigegeben war, wurden seitens des RX einige 
erheblichere Aenderungen vorgenommen, die von 
dem Gedanken ausgingen, daß nicht allein den 
gesundheitlichen, sondern auch den volkswirtschaft- 
lichen Interessen in höherem Maße, als der Ent- 
wurf es getan habe, Rechnung getragen werden 
müsse. Das Gesetz wurde am 14. 5. 79 vollzogen. 
§# 2. Das Nahrungsmittelgesetz (G, betr. den 
Verkehr mit NM, Genußmitteln und Gebrauchs- 
gegenständen, v. 14. 5. 79 (RuGl 145|). Durch 
die 88 1 bis 4 des kurz als „Nahrungsmittelgesetz“ 
bezeichneten Gesetzes werden zur Ermöglichun 
einer Beaufsichtigung des Verkehrs mit NuGM 
sowie bestimmten Gebrauchsgegenständen (näm- 
lich Spielwaren, Tapeten, Farben, Eß-, Trink- 
und Kochgeschirr und Petroleum) den Beamten 
der Polizei weitgehende Befugnisse erteilt. Sie 
sind berechtigt, während der üblichen Geschäfts- 
stunden in Räumen, in denen die genannten Ge- 
enstände feilgehalten werden, einzutreten und 
Proben nach ihrer Wahl zum Zwecke der Unter- 
suchung gegen Empfangsbescheinigung unter Be- 
obachtung gewisser Vorschriften zu entnehmen. 
Das gleiche Recht haben sie gegenüber Waren, die 
auf Märkten, Straßen oder im Umherziehen feil- 
gehalten werden. Zum Betreten der Aufbewah- 
rungs= und Herstellungsräume und zur Vornahme 
einer Revision sind die Pol Beamten nur dann 
befugt, wenn die Inhaber auf Grund des NM e- 
setzes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden 
waren. Die Zuständigkeit der Behörden und 
Beamten richtet sich nach den landesrechtlichen 
Bestimmungen, die auch von dem NMesetz nicht 
berührt werden, soweit sie hinsichtlich der Lebens- 
mittelkontrolle der Polizei weitergehende Befug- 
nisse erteilen. Nach # 5 können zum Schutze der 
  
  
Gesundheit für das Reich durch kaiserliche Ver- 
ordnungen Vorschriften erlassen werden, die die 
in dem Paragraphen näher bezeichneten Hand- 
lungen bei der Herstellung, Aufbewahrung, Ver- 
packung und beim Feilhalten von Lebensmitteln 
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und Gebrauchsgegenständen verbieten. Hier- 
von ist bei der Vüber das Verkaufen und Feil- 
halten von Petroleumv. 24. 2. 82 (Röl 40) 
und der V betr. den Verkehr mit Essigsäure 
v. 14. 7. 08 (REBl 475) Gebrauch gemacht wor- 
den. Die Befugnis der Einzelstaaten zum Erlaß 
von Vorschriften über die im 3 5 bezeichneten Ma- 
terien ist durch das Reichsgesetz unberührt ge- 
blieben. § 6 sieht ebenfalls den Erlaß kaiserlicher 
Verordnungen vor, die sich nicht auf Nahrungs- 
oder Genußmittel selbst, sondern nur auf Gegen- 
stände beziehen, die zur Fälschung solcher bestimmt 
sind. Anwendung hat dieser Paragraph bei dem 
Verbot von Maschinen zur Herstellung künst- 
licher Kaffeebohnen, V v. 1. 2. 91 
(Rl 11), gefunden. 
Die Bestimmungen der 33 10 bis 14 sind als 
eine Ergänzung der bereits vor dem Erlaß des 
NMesetzes vorhanden gewesenen und als unzu- 
reichend erkannten Strafvorschriften anzusehen. 
Nach den ### 10 und 11 wird bestraft: a) wer zum 
Zwecke der Täuschung im Handel und Verkehr 
Nahrungs= oder Genußmittel nachmacht oder 
verfälscht und b) wer wissentlich (5§ 10 Nr. 2) oder 
fahrlässig (S 11) verdorbene, nachgemachte oder 
verfälschte Waren dieser Art unter Verschweigung 
dieses Umstandes oder unter einer zur Täuschung 
geeigneten Bezeichnung seilhält. Das NM- 
Gesetz berücksichtigt also ein in der Strafgesetzge- 
bung bis dahin nicht erwähntes Vergehen. Wie die 
Motive ausführen, hat der Gesetzgeber sein Augen- 
merk darauf gerichtet, „daß der Konsument für sein 
Geld nicht Lebensmittel erhalte, die, wenn sie 
auch seine Gesundheit nicht positiv zu schädigen 
geeignet sind, dennoch infolge einer mit ihnen 
vorgenommenen Veränderung den Nähr= oder 
Genußwert nicht haben und ihren Zweck aus die- 
sem Grunde nicht vollauf erfüllen können“. 
J) Durch die &#§ 12 bis 14 sind die Bestimmungen 
der §#§5 324 und 326 St GB verschärft worden, in- 
dem das Herstellen und Inverkehrbringen von Le- 
bensmitteln und Gebrauchsgegenständen, die dic 
menschliche Gesundheit zu beschädigen ge- 
eignet sind, unter Strafe gestellt worden ist. 
Ssl 15 und 16 regeln Nebenstrafen. Im §& 13 
ist vorgesehen, daß in den Fällen der §§ 10 und 
11 sowie 12 bis 14 neben der Strafe auf Ein- 
ziehunglder Gegenstände erkannt werden kann 
bzw. muß. Nach §# 16 kann zur Warnung des 
Publikums die Verurteilung des Schuldigen 
öffentlich bekanntgemacht werden; an- 
dererseits ist dem Freigesprochenen das Recht 
gegeben, die Bekanntmachung der Freisprechung 
zu verlangen. 
Die auf Grund des NMWWesetzes auferlegten 
Geldstrafen, soweit sie dem Staate zustehen, 
fließen derjenigen Kasse zu, die die Unterhaltung 
der für den Ort der Tat bestehenden öffentlichen 
Anstalt trägt (I 17). Diese Bestimmung verfolgt 
den Zweck, die Einrichtung von Untersuchungs- 
ämtern anzuregen und zu fördern. 
#s3. Nebengesetze zum Nahrungsmittelgesetze. 
Die Erwartungen, die an die Wirksamkeit des 
NMGesetzes geknüpft worden waren, haben sich 
nicht in dem erhofften Maße erfüllt. Es zeigte sich, 
daß die allgemeinen Bestimmungen dieses Ge- 
seres auch im Verein mit den nebenher noch 
gültigen Vorschriften des St G, die sich auf den 
Verkehr mit Lebensmitteln beziehen, nicht aus-
	        
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