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Polizei (IV.
Verfügungen)
VerwBefehlen nur mehr auf dem Gebiete der
im älteren Sinne sogenannten „Sicherheitspoli-
zei“ [/ Polizei §5 2 Nr. 4, Sicherheitspolizei §& 11
oder Pol im engeren Sinne anerkennt. Diesen
Gedanken bringen die sog. Generalklauseln zum
Ausdruck, welche hiernach im Sinne des Rechts-
staats zugleich Ermächtigung wie Schranke für
die Pol Behörden bedeuten, auf dem durch die
fortschreitende Spezialgesetzgebung nicht geregel-
ten Gebiete die Handlungsfreiheit der Unter-
tanen durch zwangsfähige Verfügungen zu be-
schränken. In diesem Sinne sind diese Klau-
seln allgemein, nicht auf ein einzelnes Lebens-
oder Verw Gebiet beschränkt, zugleich aber auch
subsidiär, sofern die Spezialgesetzgebung einerseits
die Ermächtigung der Pol Behörden (z. B. behufs
der Wohlfahrtsförderung) erweitern, andererseits
aber auch im Interesse der bürgerlichen Freiheit
(z. B. auf die Gefahrenabwehr unter Ausschaltung
der Ordnungsbewahrung i. e. S., oder auf die
Abwehr bestimmter Gefahren; vgl. 8 7 Abs 2
Satz 2 und § 1 Abs 2 RVereins G) einschränken
oder ganz aufheben kann.
Die bedeutungsvollste Generalklausel zu
pol. Vfg in diesem Sinne enthält in Preußen
der § 10 II 17 des AL R von 1794: „Die nötigen
Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe,
Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der
dem Publico und einzelnen Mitgliedern desselben
bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der
Polizei" [# Polizei § 2 Nr. 41. Die im 19. Jahr-
hundert zunächst in Vergessenheit geratene Bestim-
mung hat das OV zwecks richterlicher Durchfüh-
rung der modernen Rechtsstaatsidee wiederbelebt,
für Orts= und Landespolizeibehörden gleichmäßig
als geltend erklärt und nicht bloß im Rechtsgebiete
des preußischen Landrechts, sondern im ganzen
preußischen Staatsgebiete zur Anwendung ge-
bracht (zur Kritik des letzteren Rosin, Pol Begriff
Anm. 201, Friedrichs, Pol Gesetz 2 ff und Hatschek
im Jahrb OeffR 3, 26: „Konventionalregel kraft
Organisationsidentität“). Aehnlich hat das fran-
zösische, noch heut für Elsaß--Lothringen be-
deutsame Recht in der Revolutionsepoche mit ver-
schiedenen Wendungen als Aufgabe der Polizei
„d'’'assurer le bon ordre, la sürcté et la salubrite
Ppubliques“ (G v. 16./24. 8. 1790) oder „main-
tenir Tordre public, la liberté, la propriété, la
süreté individuelle (art. 16 code des delits et des
peines v. 25. 10. 1795) bezeichnet. In Baden
behält der § 30 Pol StGB den PolBehörden vor,
„rechts= und ordnungswidrige Zustände inner-
halb ihrer Zuständigkeit zu beseitigen und deren
Entstehung oder Fortsetzung zu hindern“, und der-
selben Formel bedienen sich auch die hessischen
Gesetze, indem sie nur noch „gefahrbringende Zu-
stände“ den rechts= und ordnungswidrigen hinzu-
fügen (a 129b Abs 2 Nr. 3 StO und a 66 Abs 1
Kreis= und ProvO v. 8. 7. 11). In anderen
deutschen Staaten fehlt es allerdings im geschrie-
benen Recht an einer solchen, wenigstens direkt
ausgesprochenen Generalklausel. In Württem-
berg wird sie jetzt indirekt aus a 194 Abs2 Satz 1
der GemO v. 28. 7. 06 entnommen werden kön-
nen, der das staatliche Aufsichtsrecht über die
Pol Verwaltung der Gemeindebehörden darauf er-
streckt, daß dieselben „innerhalb ihres polizeilichen
Wirkungskreises zur Ausführung der gesetzlich be-
stehenden Vorschriften und zur Erlassung der zur
Abwendung von Gefahren für das öffentliche
Wohl notwendigen Verfügungen aufgefordert
und angehalten werden können“ (vgl. auch Urt.
VGH v. 5. 10. 10, Jahrb. d. württ. Rechtspflege
23, 245). Im Kgr. Sachsen fehlt eine General-
ermächtigung im Gesetze ganz; doch hat die Praxis
des O unter Billigung der Missenschaft
(Schanze) eine solche konstant „aus dem Wesen
und Zweck der Polizeigewalt“ (z. B. Jahrb. 6,
S155, 158) abgeleitet und sich bei der Formulie-
rung derselben teils an das preußische Recht und
die preußische Judikatur, teils aber auch an die
Definition der Pol bei Otto Mayer (] Polizei
#1Nr. 4) angeschlossen, der letzteren gegenüber
allerdings neben der „Abwehr von Störungen für
die gute Ordnung" das Moment der Gefahren-
abwehr besonders betonend (z. B. Jahrb. 4, 68;
3, S 192, 303; 10, 331). Auch in Oldenburg z. B.
hat die höchstrichterliche Praxis Rleiche Wege ein-
geschlagen (vgl. Schücking, St R. d. Gr. O. 304
3 mit Bezug auf Entsch O G v. 21. 5. 08,
sowie Entsch v. 21. 3. 12 bei Reger 32, S 582/3).
So wird man hier gleiches oder doch annähernd
gleiches Recht für ganz Deutschland annehmen
dürfen (Anschütz 12, Fleiner 313, aber doch für
Bayern anders S 115 auf Grund von Thoma
253; neuestens die Anführungen bei W. Jellinek
S272 N. 18). "
5 3. Zwecke des Einschreitens. Trotz des ver-
schiedenen Wortlauts, wie er in den gesetzlichen
Klauseln und ihrer Formulierung in der Gerichts-
praxis zutage tritt, kann man doch in wesentlich
einheitlicher Zusammenfassung als Zweck des
Einschreitens auf Grund derselben die Ab-
wehr von Gefahren für den Güter-
bestand und das geordnete Zu-
sammenleben der Gesellschaft be-
zeichnen. Aber auch in dieser Fassung darf
man nicht die Worte pressen; vielmehr werden
überall die örtlich und zeitlich bestimmten An-
schauungen der Gesellschaft selbst über das, was
ihr nottut und dem Individuum erträglich ist,
Berücksichtigung zu finden haben. Nur in diesem
Sinne wollen auch die folgenden näheren Aus-
führungen verstanden werden, bei denen nament-
lich die preußische und die sächsische Judikatur be-
achtet worden ist.
1. Schutzobjekt der Pol ist in erster Reihe der
Staat selbst in seiner konkreten verfassungsmäßi-
en Organisation, daneben aber auch die im Staate
ebende, unorganisierte, aber nicht ungeordnete
bürgerliche Gesellschaft (das Publikum) und die
zu ihr gehörigen Einzelnen („Süreté individuclle“).
Immerhin ist für die Verfolgung der Privat-
rechte bestimmter Einzelner zunächst die
Justiz zuständig und die Pol nur dann zum Ein-
schreiten berufen, wenn entweder eine strafbare
Handlung und damit zugleich eine Verletzung
der öffentlichen Rechtsordnung in Frage steht oder
die Mittel des Zivilprozesses im besonderen Falle,
z. B. wegen dringender Gefahr eines unwider-
bringlichen Schadens im Verzuge, nicht ausrei-
chen (preuß. O##Entsch 32, 429; 38, 299;
Pr Verw BBl 31, 257). Denn auch daran besteht
ein allgemeines öffentliches Interesse, daß selbst
das Privatgut des Einzelnen in Fällen äußerster
Not nicht von der bereiteren Staatsmacht, der
Pol, unter Verweisung auf die weniger bereite
Justiz im Stiche gelassen werde (gegen Wolzen-