Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
  
Polizei (IV. Verfügungen) 
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dorff im ArchOeffR 27, 244). Dagegen ist ein vermeidlich mit sich bringt und daher von Jedem 
polizeilicher Schutz des Einzelnen sich selbst gegen= ertragen werden muß. Ein gewisses Mittelmaß 
über, soweit nicht die öffentliche Ordnung be- 
teiligt ist, ausgeschlossen und ein Eingriff der Pol 
in das Privatleben auch zur Vermeidung von 
Selbstgefährdungen regelmäßig unzulässig. 
2. Schutzwürdige Güter sind mit kdieser 
Maßgabe Leben und Gesundheit, Freiheit und Ver- 
mögen der Einzelnen, die Existenz des Staates und 
der öffentlichen Verbände, sowie die ungehinderte 
Funktion ihrer Organe und Anstalten, unter Aus- 
schluß aller Uebergriffe auf das finanzielle Ge- 
biet z. B. durch Einsetzung der Pol Gewalt für 
steuerliche Zwecke oder behufs Verhinderung pri- 
vater Konkurrenz gegenüber werbenden öffent- 
lichen Anstalten. Aber auch die Güter der unorga- 
nisierten Gesamtheit, sowohl die materiellen, wie 
der Waldbestand und die Heilquellen (preuß. 
On#G Entsch 51, 308, jetzt G v. 14. 5. 08), die zu- 
gleich einen Teil des Nationalvermögens bilden, 
als auch die idealen, Sittlichkeit, öffentlicher An- 
stand, religiöses und vaterländisches Empfinden 
(preuß. OVG Entsch 52, 288, sowie neuestens 
Reger 32, 419), soweit sie überhaupt eines äuße- 
ren Schutzes bedürftig und ihm zugänglich sind, 
können in den Bereich polizeilichen Eingrei- 
fens fallen. Dagegen sind in Preußen die rein 
ästhetischen Interessen als der Wohlfahrtsförde- 
rung zufallend und daher nur kraft der Spezial- 
esetzgebung (jetzt G v. 2. 6. 02 und 15. 7. 07) 
chutzfähig erachtet worden. Von materiellem, 
wie von idealem Werte für die Gesamtheit ist aber 
endlich die öffentliche Ordnung, die, auch abge- 
sehen von ihrer Bedeutung als zwingende öffent- 
liche Rechts-, insbesondere Strafrechtsordnung 
(vgl. auch Nr. 1), schon als tatsächliche soziale Ord- 
nung dem Schutze der Pol vor Störungen an- 
heimgegeben ist. Kann diese „Ordnung" in weite- 
rem Sinne, wie z. B. in der badischen Klausel, 
auch den Zustand der Abwesenheit von Gefahren 
insich begreifen, so tritt sie in engerem Sinne 
neben die öffentliche Sicherheit als ein Gut, 
das schon um seiner selbst willen und ohne Rück- 
sicht auf die Gefährdung sonstiger Güter geschützt 
werden muß. Damit erhält sie zugleich ein über 
den Gedanken der bloßen Gefahrenabwehr hin- 
ausgehendes Maß. Nach ihm ist die soziale Ord- 
nung als der allgemeine Zustand geordneten ge- 
sellschaftlichen Zusammenlebens zu schützen, gleich- 
viel ob ihre Bewahrung vor Störungen nur der 
Erhaltung des bisher Erreichten oder durch Aus- 
schluß jeder „Beeinträchtigung der in der Gesell- 
schaft enthaltenen guten Kräfte“ (O. Mayer; 
HPolizei §5 1 Nr. 4) zugleich der Entfaltung 
der letzteren und damit dem materiellen und kul- 
turellen Fortschritt zu dienen imstande ist. Ueber 
dieses Maß hinaus ist dagegen die positive Ver- 
mehrung des gesellschaftlichen Güterbestandes 
kraft der Generalklausel nicht Sache der Pol; zur 
Förderung fremden oder gar eigenen Wohls 
soll ohne besonderes Staatsgesetz Niemand durch 
polizeilichen Verw Befehl gezwungen werden. 
3. Die Gefahren, welche die schutzwürdigen 
Güter bedrohen, und die Störungen der sozialen 
Ordnung müssen, um ein polizeiliches Einschreiten 
zu rechtfertigen, sowohl ihrer Größe, wie ihrer 
Dringlichkeit nach erheblich sein und über das 
Maß desjenigen bedeutsam hinausgehen was das 
gesellschaftliche Zusammenleben an Risiko un- 
  
ist zu beachten: weder unmittelbares Hereinbre- 
chen der Gefahr darf gefordert, noch jede ent- 
fernte Möglichkeit derselben berücksichtigt werden. 
In diesem Sinne hat auch das preuß. OVG bloße 
Nachteile oder gar Unbequemlichkeiten nicht als 
zureichenden Grund für Polefehle angesehen 
(vgl. aber darüber hinaus die Sonderbestimmun- 
gen in §& 6b des Pol G v. 11. 3. 50 und § 16 Abs 1 
Gewy, sowie prinzipiell Thoma 48). Aus welcher 
Quelle die Gefahr herstammt, ob aus dem ver- 
brecherischen Willen der Menschen oder ihrer 
sonstigen Interessenbetätigung, aus dem Zustande 
ihres Eigentums oder ihrer Unternehmungen, 
von Naturgewalten usw. ist im Sinne der älteren 
Sicherheitspolizei (#] für die Anwendung der 
Generalklausel gleichviel. Aufgabe der Pol aber 
ist es sowohl, wie namentlich die badische Klausel 
hervorhebt, die Entstehung gefahrbringender und 
ordnungswidriger Zustände zu verhüten, als auch 
für die Beseitigung der trotzdem entstandenen 
Sorge zu tragen. 
#s 4. Mittel. 1. Als solches dient der polizei- 
liche Verw Befehl im Sinne von + 1, Gebot oder 
Verbot mit dem Inhalt einer Einschränkung per- 
sönlicher Handlungsfreiheit. Zu dieser gehört auch 
der freie Genuß und Gebrauch der Privatrechte, 
der daher gleichfalls, ohne daß die verfassungs- 
mäßig garantierte Unverletzlichkeit des Eigentums 
entgegenstünde, dem polizeilichen Eingreifen un- 
tersteht (JI 903 BGB), während allerdings die 
Entziehung des Privateigentums im öffent- 
lichen Interesse über das Gebiet der Pol hinaus 
in das besonders geregelte der Enteignung [K#) fällt. 
Für das Verhältnis der Pol zum Eigentum 
ist namentlich der in der preuß. Praxis (vgl. auch 
sächs. OV G Jahrb. 14, 2 ff) entwickelte Satz von 
Bedeutung, daß der Eigentümer von Rechts wegen 
sein Eigentum in polizeimäßigem Zustande zu 
halten und bei seiner Nutzung alles Polizeiwidrige 
(Gefahrbringende oder Ordnungsstörende) zu ver- 
meiden habe. I(J Entschädigungspflicht!. 
2. Was die Pol an Handlung oder Unterlassung 
vom Untertan verlangt, muß ihm mit einer nach 
Lage des Falls ausreichenden Bestimmtheit in 
der Verfügung zum Ausdruck gebracht werden. 
Gefordert werden aber darf überhaupt nur das 
Unterlassen der Gefährdung oder Störung oder 
die Beseitigung der gefährdenden oder störenden 
Zustände; darüber hinausgehende Leistungen oder 
Dienste können nur auf Grund besonderer Er- 
mächtigung auferlegt werden. Und auch im zu- 
lässigen Rahmen ist, soweit nicht auch hier Spe- 
zialgesetze weitergehen (z. B. Entsch OVG 33, 
258), nur das nach Lage des Falles Nötige zu 
beanspruchen und damit dem Prinzip der „Ver- 
hältnismäßigkeit der Abwehr“ (O. Mayer 267) zu 
genügen (vgl. unten §5 9 Nr. 3 d). 
3. Verpflichtet ist der Pol derjenige, der 
die Gefahr gesetzt oder die Störung verursacht 
hat, nach dem Postulat der Polizeimäßigkeit des 
Eigentums, wie es namentlich in der preußischen 
Praxis verwendet wird, auch der Eigentümer der 
Sache, namentlich des Grundstücks oder des Be- 
triebs, in dessen Beschaffenheit die Gefahr oder 
Störung begründet ist. Mehrere Verpflichtete 
können von der Pol nach der preußischen Praxis 
wahlweise in Anspruch genommen werden. Dritte
	        
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