Preußen (A. Verfassungsgeschichte) 173
um diese neuen Machtmittel zu bezahlen. Be-
günstigt durch die große Preisrevolution des
16. Jahrhunderts infolge der Entdeckung Ameri-
kas haben es aber die Stände noch einmal ver-
standen, die landesherrliche Machtentwicklung zu
unterbinden. Ja eine ständische Reaktion führt
sogar zu einer künstlichen höchsten Machtentfaltung
der Stände in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts. Sozial schließen sich die herrschenden
Stände ab und begründen die ständische Gliede-
rung der Gesellschaft, die somit drei Jahrhunderte
jünger ist als die Bildung der Landstände, unter
persönlicher Unfreiheit des Bauernstandes. Po-
litisch lassen sie sich verbriefen, daß der Landesherr
in allen Dingen, „daran des Landes Gedeih und
Verderb gelegen“, die Einwilligung der Stände
einholen muß (durch Rezeß von 1540), und be-
gründen, um den Landesherren die Verfügung
über die Finanzmittel zu entziehen, eigene stän-
dische Kassen, um aus den notwendig bewilligten
Steuern die Schulden abzutragen.
§s# 2. Die absolute Monarchie. Der 30jährige
Krieg nötigt zunächst die Stände, in Brandenburg
seit 1620, für den Unterhalt einer bewaffneten
Macht dem Landesherren wieder Steuern zur
eigenen Verfügung zu bewilligen und damit den
gefürchteten Miles perpetuus einziehen zu lassen.
Die Hoffnung der Stände, daß dies nur eine vor-
übergehende Maßregel sei, und man nach dem
Kriege zur vollen ständischen Libertät zurück-
kehren werde, verwirklichte sich nicht.
Das Ende des Krieges fand den großen Kur-
fürsten im Besitze einer ganzen Reihe norddeut-
scher Gebiete von der Memel bis zur Maas, die
untereinander zusammenhanglos, nur unter
demselben Landesherren in Personalunion ver-
bunden waren. In allen Gebieten war die landes-
herrliche Macht zu einem Schattenbilde herab-
gedrückt durch die Stände, die sich überdies in P.
aauf den polnischen Lehnsherren, in Kleve-Mark
auf die Niederlande und staatische Garnisonen
stützten.
In heißem Kampfe mit den territorialen Stän-
den hat der große Kurfürst, gestützt auf Heer und
berufsmäßiges Beamtentum aus diesen zusam-
menhangslosen Gebieten den brandenburg-preu-
bhischen Gesamtstaat geschaffen. Die Erlangung
der Souveränität über Preußen seit 1660 entzog
den preußischen Ständen den polnischen, der
Krieg Ludwigs XIV. gegen die Niederlande den
kleve-märkischen den niederländischen Rückhalt.
Das erste verbindende Glied unter den einzel-
nen Gebieten war das nur an die Person des
Landesherren gebundene Heer. Auf das Heer
stützt sich eine einheitliche auswärtige Politik der
Gesamtmacht. Seit 1651 werden Domänen und
Regalien nach denselben Grundsätzen unter einem
Behördenorganismus verwaltet. Endlich reißen
die Militärintendanturen, die Kommissariate, die
Verwaltung der Steuern, einen Zweig der inne-
Tren Verwaltung nach dem anderen und die dazu
gehörige Attributivjustiz an sich.
In den fünfziger und sechziger Jahren wurden
mit den Ständen einzelner Gebiete noch förmliche
Verfassungsurkunden vereinbart. Aber schließlich
bewilligen sie die für den Unterhalt des stehenden.
Heeres notwendigen Steuern dauernd, so die
brandenburgischen seit 1662. Da außer der
Steuerbewilligung die ständischen Befugnisse im
wesentlichen Machtfragen gewesen waren, hatten
die Stände damit abgedankt. Einige ständische
Ausschüsse und Kassen erhalten sich fort, aber die
Landstände werden, ohne daß sie förmlich ausge-
hoben wären, nicht mehr berufen.
Die Bildung des brandenburgisch-preußischen
Gesamtstaates hat sich daher im wesentlichen
vollzogen auf dem Boden der Verwaltung im
Gegensatze zur ständischen Verfassung.
Mit Beendigung des Kampfes sind Absolutis-
mus und Ständetum zu einem wechselseitigen
Kompromisse gelangt. Staatsform ist die abso-
lute Monarchie. Die ständische Ortsverwaltung
durch Gutsherren und Städte bleibt erhalten, aber
eingefügt in den Organismus des absoluten Be-
amtenstaates. Völlig unberührt bleibt die stän-
dische Gliederung der Gesellschaft, durch die sich
die absolute Monarchie nicht nur nicht behindert
fühlt, auf der sie vielmehr ihre eigenen Einrich-
tungen in Heer und Steuerwesen aufbaut.
Seit der Königskrönung von 1701 findet sich
für den neuen Gesamtstaat auch der neue Gesamt-
titel, der der „königlich preußischen Staaten“.
Wenn der Königstitel auch nur auf das bisherige
Herzogtum Preußen gegründet war, so wurde er
doch für den ganzen Gesamtstaat gebraucht. In
dessen neuer Bezeichnung lag ausgesprochen, daß
es sich nicht mehr um zusen#nenchehlofr einzelne
Staatswesen, sondern um einen Gesamtorganis-
mus handle. Aber auf der anderen Seite war noch
kein Einheitsstaat vorhanden. Denn soweit der
Einfluß des Reiches und der territorialen Stände
noch ging, galten die einzelnen Gebiete als Staa-
ten. Das machte sich namentlich auf dem Ge-
biete der Justiz geltend.
Gegenüber der bisherigen, immerhin gegen-
über den Ständen noch vermittelnden Pärttir
beginnt mit König Friedrich Wilhelm I. unter
Aufrechterhaltung des Kompromisses mitt dem
Ständetume ein grundsätzlicher Absolutismus in
der Verfassung. Mit der Erklärung gegenüber
den preußischen Ständen, er stabilisiere seine
Souveraineté wie einen rocher von Bronce,
verneint der König jedes ständische Recht in bezug
auf die Steuern. Und der Grundsatz Friedrichs
des Großen: „Alles für das Volk, nichts durch das
Volk“ läßt für landständische Rechte keinen Raum.
In Schlesien und Westpreußen werden sogar die
Landstände förmlich aufgehoben.
Das Allgemeine Landrecht von 1794 faßt na-
mentlich in seinem zweiten Teile, dem Staats-
und Ständerechte, die Ergebnisse der bisherigen
Entwicklung zusammen. Das Verfassungsrecht
der absoluten Monarchie ist insbesondere enthal-
ten in II, 13 mit dem grundlegenden §s 1: „Alle
Rechte und Pflichten des Staates gegen seine Bür-
ger und Schutzverwandten vereinigen sich in dem
Oberhaupte desselben“. Darauf folgt die Auf-
dählung der Kgl Majestätsrechte, insbesondere das
er Gesetzgebung und der Auferlegung von
Steuern. Des Reiches und der Landstände ge-
schieht kaum nebensächliche Erwähnung. Das
Staatswesen wird im wesentlichen schon als Ein-
heitsstaat, als Staat schlechthin aufgefaßt, wenn
das Reichsrecht dem auch noch widersprach. Die
landrechtlichen Bestimmungen sind auch jetzt noch
von Bedeutung, soweit sie durch spätere Gesetze,
namentlich die Verfassungsurkunde nicht abge-
ändert sind. Als verfassungsrechtlich hat das