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Privilegium
letzung öffentlich-rechtlicher P. dienen also je nach
der Natur des subjektiven Rechts und nach Maß-
abe der positivrechtlichen Bestimmungen in den
Huständigkeitsgeseyen die Mittel der Verwe-
schwerde oder der VerwrKlage. Auch für das
Kirchenrecht gilt uneingeschränkt der Grundsatz,
daß bei Nichtbeachtung oder Verletzung eines P.
der Schutz des zuständigen Kirchenoberen ange-
rufen werden kann (vgl. c. 4 X5, 33), ja auch, daß
von Amts wegen kraft des Oberausfsichtsrechts
die Beachtung eines P. angeordnet, nötigenfalls
durch Exekutiv= oder Disziplinarstrase erzwungen
werden kann (Hinschius 3, 824).
3. Rechtliche Natur und Begründung.
Beide ineinander überführende Fragen decken sich
im praktischen Resultat mit der Frage nach dem
zur Verleihung eines P. berechtigten Sub-
jekt. Dieses ist entweder der Gesetzgeber
oder ein anderes publizistisches Or-
gan. Die Möglichkeit der Entstehung durch Ge-
wohnheitsrecht oder Verjährung kann hier auf
sich beruhen.
Die ältere, teilweise auch neuere und neueste
Literatur zum römischen, wie zum gemeinen und
geltenden bürgerlichen Recht und ausnahmslos
die streng kanonistische Doktrin charakterisiert das
P. als Ausfluß der gesetzgebenden Ge-
walt in Staat oder Kirche. Dies war auch nahe-
zu unbestrittene Lehre und Praxis im Staatsrecht
des älteren deutschen Reichs und des deutschen
Bundes.
Das ältere beutsche Staatsrecht legte sowohl dem Kaiser
wie auch dem Landesherrn das Recht bei P. zu erteilen.
Des Näheren lehrte man, daß der Kaiser die Befugnis be-
sitze, gewisse P., wie den AdelUl in seinen verschiedenen Ab-
stufungen und die akademischen Würden (s. g. Universitäts-
privileglen) allein zu verleihen, was freilich beides keine
absolute Anerkennung gefunden hat, sowie daß er anderer-
seits (Wahlkapitulation a 8 13 1, 2, àa 9 5 9) Zoll- und Steuer-
privilegien nur mit Zustimmung der Kurfürsten zu erteilen
berechtigt sei. Als Rechte, welche sowohl der Kaiser wie
auch die Landesherren, also der erstere neben letzteren in
den Territorien konkurrierend, ausüben konnten, wurden
das Recht der Gewährung der Volljährigkeit (venia aetatis),
der Legitimation unehelicher Kinder durch Reskript oder der
Befreiung von dem Makel der unehelichen Geburt und end-
lich der Erteilung der Lehnsfähigkeit betrachtet. Im übrigen
legte man den Landesherren das Privilegienrecht innerhalb
ihrer Territorien bei und bestritt mit Rücksicht auf die Be-
schränkung des kaiserlichen Rechts auf hergebrachte P.
(Wahlkapitulation a 7 1 4), daß der Kaiser solche P., welche
der Landesherr seinerseits zu verleihen befugt wäre, an die
Landesuntertanen erteilen dürfe. Die Frage, ob die Land-
stände bei der Erteilung der P. mit zu konkurrieren hätten,
wurde im allgemeinen verneint, aber andererseits angenom-
men, daß der Landesherr keine P. wider die Verfassung
des Landes, unter Verletzung wohl erworbener Rechte
Dritter noch in betreff solcher Gegenstände, bei welchen die
Landstände mitzuwirken hätten, zu gewähren berechtigt sei.
Nach Auflösung des Reichs wurde das Recht
der Privilegienerteilung als eine unzweifelhafte
Befugnis der Territorialstaatsgewalt betrachtet.
Die Vl erwähnen dasselbe in ihrer Mehrzahl
nicht oder sie gedenken nur einzelner P. (s. u.
Quellen). So findet sich mehrfach die Vorschrift,
daß „ausschließliche Handels-= und Gewerbsprivi-
legien nur infolge eines Gesetzes oder mit beson-
derer, für den einzelnen Fall gültiger Zustim-
mung der Stände“ erteilt werden dürfen, an-
dererseits die Bestimmung, daß die Regierung be-
fugt ist, auf bestimmte Zeiten für eine Anzahl
von Jahren (gewöhnlich 10) Erfindungspatente
zu gewähren oder daß Monopole und aus-
schließende Gewerbs= und Handelsprivilegien —
mit Ausnahme von Erfindungspatenten — nicht
erteilt werden sollen.
Erst die staatsrechtliche Doktrin seit Gerber hat die Richtig-
keit der damals herrschenden Auffassung bestritten. Nament-
lich hat dieser unter Hinweis auf die Tatsache, daß die
Regierungen noch heute ohne Mitwirkung der Volksver-
tretung unbeanstandet gewisse P. erteilen, die Ansicht auf-
gestellt, daß die BU staatliche Berfügungen, welche subjek-
tive Rechtszuständigkeiten für einzelne Individuen begrün-
den, nicht zu den unter Mitwirkung der Kammern zu er-
lassenden Gesetzen rechnen, und daß die Frage, inwieweit
die Regierungen noch zur selbständigen Erteilung von P.
befugt seien, in Ermangelung einer bestehenden Verfassungs-
bestimmung und eines Gewohnheitsrechts, danach entschie-
den werden mühsse, ob nicht die Rechtsordnung, in deren Ge-
biet das fragliche P. fallen soll, nach ihrem Sinne und Geiste
ein unmittelbares Eingreifen der Regierung ausschließe. An-
dere hinwiederum (H. Schulze, Laband, G. Moyer, Fried-
berg) haben, je nach dem im Einzelfall mit dem P. ver-
bundenen engeren oder weiteren Begriff, die P. Erteilung
bald als Ausfluß der gesetzgebenden Gewalt, bald als Aus-
fluß der Verw Tätigkeit bezeichnet. Eine eingehende Aus-
einandersetzung von Hinschius namentlich mit v. Gerber
s. in der 1. Auflage d. W., II, 311. Unter den Neueren hat
Anschütz die Lehre von G. Meyer ausdrücklich übernommen
(S648, 652). Ganz besonders betont wird der Gesetzgebungs-
charakter von v. Gierke S 304 f. „Die staatliche P. Gewalt
ist Bestandteil der Gesetzge bungsgewalt.“ „Im
heutigen Verfassungsstaat können grundsätzlich P. nur durch
die Gesetzgebungsorgane in Gesetzesform erteilt werden.“
Auch wo „Krone oder Verwßehörden ausdrücklich zur Ver-
leihung gewisser P. ermächtigt sind, erfolgt die Berleihung
kraft delegierter Gesetzgebungsgewalt, bleibt also Norm-
setbung (constitutio personalis) und schafft eine lex spe-
cilis“. Wieder anderer Ansicht Stammler, S 14 l, welcher
annimmt, daß die Verleihung durch den sog. Gesetzgebungs-
akt keine eigentliche Gesetzgebung ist.
Ueber den Streit der Theorien hinweg darf
positivrechtlich hinsichtlich der Begründung
der P. folgendes als feststehend angenommen
werden. Zunächst für das kirchliche Recht,
daß, wer Gesetze geben kann, in eben demselben
Umfang auch zur Erteilung von Privilegien be-
rechtigt ist. Von allgemeiner Bedeutung für das
Rechtsleben waren von jeher nur die pänpfst-
lichen Privilegien (Scherer 166). Für das
Gebiet des staatlichen Rechts müssen auch
hier die allgemeinen Normen über das Verhält-
nis von Gesetzgebung und Verwaltung maß-
gebend bleiben. Die Verwaltung kann überall
nur eine „gesetzmäßige“ sein. Der Landesherr ist
nicht weniger als jede Behörde an das Gesetz
gebunden und kann daher nur berechtigt sein, auf
Grund ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung
oder innerhalb der vom Gesetz gelassenen Freiheit
des Ermessens und Handelns P. zu erteilen.
Solche Berechtigung wird immer nur die Aus-
nahme darstellen. Regel wird die Begründung
des P. durch einen Akt der Gesetzgebung sein.
Im konstitutionellen Staate kann sie also nur unter
Mitwirkung der Volksvertretung geschehen. Diese
Grundsätze haben auch auf den Fall Anwendung
zu finden, daß vor Einführung der konstitutio-
nellen Verfassungen dem Landesherrn oder einer