Regentschaft und Regierungsstellvertretung
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unmittelbares Staatsorgan sei; er übt nicht die
Gewalt des Monarchen in abstracto, sondern
die des derzeitigen verhinderten Monarchen aus
(so ausdrücklich die bayer. VU Tit. II § 15). Eine
Folge dieses Verhältnisses ist, daß, wenn der
regierungsunfähige Herrscher stirbt und für seinen
Nachfolger eine R notwendig ist, diese R als eine
neue zu gelten hat. Mit der Natur dieses Ver-
hältnisses wäre auch unvereinbar ein Recht des
Regenten (auch auf dem Wege der Gesetzgebung),
den regierungsunfähigen Monarchen abzusetzen
Landesherr 5 11, 21.
b) Da der Regent nicht selbst Monarch ist, so
hat er auch nicht die Sonderrechte des
Monarchen I(/ Landesherr § 51. Allerdings
wird ihm neben der dauernden Unverantwortlich-
keit für seine Reg Akte (oben 2) auch während der
NR wegen der Würde seiner Stellung Unverletz-
lichkeit in dem Sinne zukommen, daß er keiner
Bestrafung unterliegt (wohl nur in diesem Sinne
erklären das sachs.-kob.-goth. StG#G und das hess.
Gesetz den Regenten auch für unverletzlich). Da-
gegen liegt kein Grund vor, von ihm während der
Rbegangene Privatdelikte nachheriger Bestrafung
zu entziehen. Keinesfalls steht ihm gegen Angriffe
auf seine Person der erhöhte strafrechtliche Schutz
des Monarchen zu (das RStGB erwähnt in seinen
Bestimmungen über Hochverrat den Regenten
nicht und gibt ihm gegen Beleidigung und Tätlich-
keit im wesentlichen nur denselben Schutz, wie
den Mitgliedern der landesherrlichen Familien).
Auch die Ehrenrechte des Landesherrn und die
pekuniären Rechte desselben gegenüber dem
Staate kommen dem Regenten nicht zu.
#8. Reichsregentschaft. Ueber eine Vertretung
des deutschen Kaisers [JI im Falle dauernder
Reg Unfähigkeit enthält die Reichsverfassung keine
ausdrückliche Bestimmung und auch die Reichs-
gesetzgebung hat sich bisher mit diesem Falle nicht
befaßt. Dennoch besteht in dieser Beziehung keine
Lücke des Reichsstaatsrechts. Es muß vielmehr
mit der herrschenden Ansicht angenommen werden,
daß die Bestimmungen der preußischen
Vu über die R auch für das Reich masß-
gebend sind, derart, daß der preußische Regent
von selbst auch zur selbständigen Vertretung des
Kaisers in Ausübung der kaiserlichen Gewalt be-
rufen ist. Diese Annahme wird gefordert durch
den Geist der Reichsverfassung, welche nicht nur
die Stellung des Deutschen Kaisers untrennbar
mit der Trägerschaft der preußischen Krone ver-
bunden hat, sondern auch durchaus voraussetzt,
daß die preußischen Kronrechte und die kaiserlichen
Rechte von derselben Person ausgeübt werden
(s. bes. J. Freund 102 über die unerträglichen
Konsequenzen der gegenteiligen Annahme). Da-
gegen spricht auch nicht die in a 11 Abs 1 der RV
erfolgte Aenderung des Wortlauts der Nord-
deutschen Bundesverfassung („Das Bundespräsi-
dium steht dem Könige von Preußen zu“ statt
„der Krone Preußen“); diese Aenderung war
rein sormell. Auch auf die Rechtestellung des
preußischen Regenten in der Vertretung des
Kaisers wird man, mangels besonderer Bestim-
mung, die Vorschriften der preußischen VuUl (oben
& 7) zur Anwendung bringen müssen. Im Hin-
blick auf diese Analogie wird man auch von einer
Reichsregentschaft sprechen können,
wenngleich der Kaiser nicht Monarch des Reiches ist.
II. Regierungsstellvertretung
1. In zahlreichen Fällen einer Verhinderung
des Monarchen an der eigenen Ausübung seiner
Herrscherbefugnisse wird die Einsetzung einer R
durch das Staatsinteresse nicht geboten sein und
auch durch das geltende Recht weder verlangt noch
zugelassen. Bei einer nur kurze Zeit dauernden
Verhinderung des Monarchen (etwa durch Ab-
wesenheit) wird es zuweilen genügen, wenn er
Reg Befugnisse, die er persönlich auszuüben pflegt,
bestehenden Behörden, insbesondere Ministerien,
delegiert. Aber auch wenn für solche Befugnisse,
die nach rechtlicher Vorschrift vom
Monarchen persönlich auszuüben sind [J Landes-
herr § 4, 11, das Bedürfnis einer Vertretung in
der Ausübung sich geltend macht, braucht diese
Vertretung an sich nicht den eingreifenden Charak=
ter einer R zu haben, und auch die geltenden Be-
stimmungen machen den Eintritt einer R, abge-
sehen vom Fall der Minderjährigkeit, von einer
dauernden Verhinderung des Herrschers an
der Selbstregierung abhängig (oben §# 4 und &6 6,
lc). Für solche Fälle einer vorübergehen-
den Verhinderung wird der Monarch naturge-
mäß selbst Vorkehrung treffen, soweit er dazu im-
stande ist. Erwähnt ist das Recht des Landesherrn,
eine derartige Vertretung anzuordnen, nur in we-
nigen Verfassungen (Bayern Tit. II 99, Sachsen
5 90,. Hessen G a 10, Oldenburg SteoG a 16;
von besonderer Art ist der durch das sachs.-lob.=
goth. StG#G# §9§P 8, 9 für gewisse Spezialfälle vor-
gesehene „Statthalter"). Man wird aber anneh-
men müssen, daß dem Landesherrn dieses Recht
auch ohne ausdrückliche verfassungsmäßige Be-
stimmung zusteht (auf ein Gewohnheitsrecht wollen
es insbesondere G. Meyer und Anschütz gründen).
Dies gilt namentlich auch für Preußen, wo die
Zulässigkeit einer solchen Vertretung zeitweise
theoretisch lebhaft bestritten war (so von Lasker,
v. Roenne, Fricker, Georg Mcyer), während das
letzte halbe Jahrhundert mehrere praktische An-
wendungsfälle gebracht hat (so 1857 und 1858,
1878, 1887 und 1888). Ebenso ist der Kaiser zur
Anordnung einer RegSt für befugt zu erachten;
jedoch wird dies naturgemäß nur in Verbindung
mit einer solchen für Preußen geschehen (so auch
in den drei letztangeführten Fällen).
2. Die Reg St im technischen Sinn (oben & 1)
wird durchaus durch den Willen des ver-
hinderten Monarchen begründet und
bestimmt. Hieraus ergeben sich als wesentliche
Folgen im Gegensatz zu der Regentschaft:
a) Die Einsetzung einer RegSt hängt
von dem Ermessen des Monarchen ab. Immerhin
soll der Monarch nur im Fall einer Verhinderung
in der Selbstregierung von diesem Recht Gebrauch
machen und darf es nicht, wenn eine rechtliche
Notwendigkeit für den Eintritt einer Regent-
schaft besteht.
b) In Bestimmung der Person des RegSt
ist der Monarch völlig frei. Er kann auch ein
Kollegium mitd der Stellvertretung betrauen,
was in Bayern, Sachsen und Württemberg mehr-
fach vorgekommen ist. Die Reg St des Kaisers ist
nach dem Geist der Reichsverfassung dem preußi-
schen Reg St zu übertragen (oben 1 a E. und 8).
Jc) Ebenso steht der Umfang der zu über-
tragenden Reg Geschäfte im Ermessen des Monar-