Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Reichsfinanzwesen (IV. Reichshaushaltsetat) 
  
289 
  
örterungen dargelegt worden ist, so ergibt sich als 
oberstes Prinzip der Satz, daß soweit die Regierung 
nur durch den Etat zur Erhebung von 
Einnahmen und zur Leistung von Ausgaben er- 
mächtigt ist, ihr diese Befugnis beim Mangel eines 
ordnungsmäßig zustande gekommenen Etats fehlt; 
daß dagegen diejenigen Befugnisse, welche die Re- 
gierung auf Grund dauernd wirksamer 
Gesetze hat, ihr durch das bloße Nichtzustande- 
kommen des Etats nicht entzogen werden, da es 
einer alljährlichen Prolongation dieser Befugnisse 
nicht bedarf. 
Hieraus ergibt sich: 
1. Hinsichtlich der Ausgaben ist zu unter- 
scheiden zwischen denjenigen, zu deren Leistung 
die Regierung gesetzlich verpflichtet ist und solche, 
zu deren Leistungen sie nicht verpflichtet ist, die im 
staatsrechtlichen Sinne willkürliche sind. Für die 
erste dieser beiden Kategorien bedarf es der Er- 
mächtigung der Regierung durch das Etatsgesetz 
nicht; sie müssen auch ohne ein solches geleistet 
werden, z. B. die Dotation der Krone, die Zinsen 
der Staatsschulden, die Gehalte und Pensionen. 
Ist jedoch die Ausgabe nur nach ihrem Rechts- 
grunde notwendig, aber nicht der Höhe nach fest 
bestimmt, so hat die Regierung bei der Rechnungs- 
legung den Nachweis zu führen, daß der verwen- 
dete Betrag erforderlich und angemessen warz sie 
ist also für den ganzen verausgabten Betrag in 
ahnlicher Weise verantwortlich, wie bei der Ver- 
waltung auf Grund eines Etatsgesetzes hinsichtlich 
der Etatsüberschreitungen. In An- 
sehung der willkürlichen Ausgaben dagegen han- 
delt die Regierung ohne Ermächtigung; sie kann 
dieselben nicht ganz unterlassen, sie ist vielmehr 
durch ihre allgemeine Verpflichtung, dringende 
Staatsinteressen wahrzunehmen, in weitem Um- 
fang zur Leistung derselben befugt und genötigt. 
Ganz dasselbe gilt ja auch beim Vorhandensein 
eines Etatsgesetzes, wenn Ausgaben durch unvor- 
hergesehene Ereignisse notwendig werden. Hin- 
sichtlich dieser Kategorie von Ausgaben muß die 
Regierung nicht nur die Angemessenheit des Be- 
trages dartun, sondern auch den Nachweis führen, 
daß die Ausgabe selbst durch ein dringendes RIn- 
teresse geboten war; sie trägt also eine ähnliche 
Verantwortlichkeit wie bei der Verwaltung auf 
Grund eines Etatsgesetzes hinsichtlich der außer- 
etatsmäßigen Ausgaben. 
2. Die Einnahmen beruhen fast durch- 
weg auf Gesetzen, die dauernde Geltung haben, 
und auf den Erträgen der Betriebsanstalten. Hin- 
sichtlich dieser Einnahmen ist daher der Mangel 
eines Etatsgesetzes ohne Bedeutung. Eine Aus- 
nahme besteht nur, abgesehen von den Anleihen, 
— der Matrikularbeiträge, da der RK die- 
elben nur bis zur Höhe des budgetmäßigen Be- 
trages ausschreiben darf (RV a 70) und der Ein- 
nahmen aus der Veräußerung von Grundstücken 
(R v. 25. 5. 73 5+ 11). 
61#. Provisorische Etatsgesetze. Wenn das im 
a 69 der RV vorgeschriebene Etatsgesetz nicht vor 
Beginn des Etatsjahres zustande gebracht werden 
konnte, hat man in der Praxis des Reichs bisher eine 
Aushilfe dadurch geschaffen, daß man den Etat des 
abgelaufenen Jahres für einen oder einige Monate 
erstreckte (R v. 26. 3. 77 u. v. 30. 3. 78 u. a.). 
Diese Gesetze enthalten keinen wirklichen 
Etat, sondern sie werfen bei den einzelnen Ka- 
v. Stengel--Fleischmann, Wörterbuch. 
  
piteln und Titeln der Ausgaben und bei den Ma- 
trikularbeiträgen ein Zwölftel der Ansätze des 
prolongierten Jahresetats aus „bis zur gesetz- 
lichen Feststellung des RH für das Etatsjahr 
und vorbehaltlich der Aenderungen, welche durch 
diese Feststellung sich ergeben.“ Den Vorschriften 
der N V wird durch dieses Auskunftsmittel nicht 
genügt; denn a 69 kennt weder „Monatsetats“ 
noch Etatsgesetze, welche bloß die Ausgaben und 
die Matrikularbeiträge betreffen, sondern er ver- 
langt, „daß alle Einnahmen und Ausgaben für 
jedes Jahr veranschlagt werden.“ Ein Wirtschafts- 
plan für die Verwaltung des R ist in einem sol- 
chen Gesetz nicht enthalten und der Rechnungs- 
prüfung kann es nicht zugrunde gelegt werden; 
es ist ohne alle staatsrechtlichen Wirkungen und 
lediglich eine Konzession an eine politische Doktrin. 
In neuester Zeit hat man ein ratonelleres Ver- 
fahren beobachtet. Die Gv. 31. 3. 12 (Rl 219) 
und v. 17. 3. 13 (Rel 137) ermächtigen den RK 
„bis zur Feststellung des Reichshaushalts" für die 
Monate April, Mai und Juni alle Ausgaben zu 
leisten, die zur Erhaltung gesetzlich bestehender 
Einrichtungen und zur Durchführung gesetzlich be- 
schlossener Maßnahmen erforderlich sind, ferner 
die rechtlich begründeten Verpflichtungen des 
Reichs zu erfüllen und endlich Bauten, für die 
durch den Etat eines Vorjahres bereits Bewilli- 
gungen stattgefunden haben, fortzusetzen (§ 1). 
Außerdem wird die Regierung ermächtigt, ge- 
wisse im Entwurf des R9 angeforderte und 
einzeln aufgezählte Ausgaben, mit welchen der 
Rx bei der zweiten Beratung des Entwurfs sich 
bereits einverstanden erklärt hat, zu leisten (§+ 2) 
und die Mittel zur Bestreitung der zulässigen Aus- 
gaben, soweit die vorhandenen sonstigen Ein- 
nahmen nicht ausreichen, durch Ausschreibung 
von Matrikularbeiträgen innerhalb der Grenzen 
der letzten Bewilligung und durch Ausgabe von 
Schatzanweisungen bis zu einem festgesetzten 
Höôchstbetrage zu beschaffen (§ 3). Die im # 1 
erteilte Ermächtigung zieht lediglich die Konse- 
quenzen aus der richtigen, im Vorstehenden ent- 
wickelten Budgettheorie. Vgl. auch das Verf G 
für Elsaß-Lothringen v. 31. 5. 11 § 5 Abf 4. 
Literatur: Fricker, in 3Z f. StW 17 (1861) und 
50, 381 fff Gueist, Budget und Gesetz, 1867; Der- 
selbe, Gesetz und Budget, 1870; Laband, Das Bud- 
getrecht nach den Bestimmungen der preuß. Vll, 1871; 
Hirths Annalen 1873, 524 ff; Staatsrecht des Deutschen 
Reichs“ 4, S491 ff und 532 ff und im Arch LefisR 1, 172 ff; 
Schulze in Grünhuts 8 2, 161 ff; v. Martitz 
in der 3 f. StW 36 (1880); G. Meyer in Grünhuts 
3 8, 1 f., Staatsrecht 1 200; G. Seidler, Bupdget 
und Budgetrecht, 1885; Prazak im Arch öff. R2, 441 ff; 
Arndt daselbst 3, 533 ff; Brie das. 4, 24 f; Jelli- 
nek, Gesetz und Verordnung, 1887, 276 ff; Hänel, 
Studien 2, 201 ff (1888); Zorn in Hirths Annalen 1880, 
363 f; M. Seydel, Budgetrecht des bayer. Landtags 
(in den Münchener Festgaben für Plauck) und Kommentar 
z. NüV 380 ff; Otto Mayer 1, 378 ; v. Ziegler, 
Die Praxis des bayerischen Budgetrechts, 1905. Joh. 
Blum, Budgetrecht und Finanzpraxis (3. für Politik 
1013 S. 340 ff); Deybeck in Grünhuts Zeitschrift 29, 
360, 30, 241. 
Weitere Literatur 1 Staatshaushalt. 
Laband. 
2. Aufl. III. 19
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.