Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

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Religionsgesellschaften (A. Christliche) 
  
ordnung der Kirche über den Staat, sondern mit 
der Theorie, daß auch die Sorge für das Seelen- 
heil der Untertanen Sache der Staatsgewalt sei 
(oustodia utriusque tabulae; Zorn 154 und die 
Schriften von Otto Mejer). Auch diese An- 
schauung ist in der modernen Entwicklung un- 
haltbar geworden und hat sich abgeschwächt 
zu einer Reihe einzelner Privilegien, in welchen 
allerdings eine besondere Rechtsverbindung dieser 
R. zum Staate liegt, welche hier noch in besonderer 
Weise verstärkt wird durch das historisch überkom- 
mene und auch durch die neuere Entwicklung 
nicht beseitigte Kirchenregiment der Landes- 
herren (Summepiskopat). Z Z 
Landeskirchen sind demnach die evangelische 
und die katholische Kirche kraft der zahlreichen 
wichtigen Privilegien (ALK II 11 5 17: „Privi- 
legierte Korporationen“), welche ihnen durch das 
Partikularrecht der Einzelstaaten, im einzelnen 
in verschiedener Weise, eingeräumt sind. Ein all- 
emeines Prinzip von juristischer Brauchbarkeit 
äßt sich für das Landeskirchentum nicht gewinnen; 
der von Autoritäten (Hinschius, Sohm, Fried- 
berg) unternommene Versuch, ein solches Prinzip 
in dem Rechtsbegriffe der „Korporation des 
öffentlichen Rechts“ (bad. G v. 9. 10. 60 5B 1, 
hess. G v. 23. 4. 75 a 1) zu finden, kann nicht als 
gelungen angesehen werden, da das juristisch 
entscheidende Moment, nämlich die durch Staats- 
gesetz geforderte und gesicherte, gegebenenfalls 
erzwungene Zugehörigkeit des Einzelnen zur 
Korporation (wie bei den Deichgenossenschaften, 
Berufsgenossenschaften, Zwangsinnungen, obli- 
gatorischen Krankenkassen u. a. m.) bei den Lan- 
deskirchen fehlt (Zorn 220). 
2. Die wichtigsten Privilegien der 
Landeskirchen sind folgende: 
a) In den meisten deutschen Staaten empfan- 
gen die Landeskirchen eine erhebliche Dotation, 
welche neben dem vorhandenen Kirchenvermögen 
und den durch autonome Besteuerung ( Kirchen- 
steuern) aufgebrachten Mitteln die finanzielle 
Grundlage ihrer Organisation bildet. Es kann 
heute dahingestellt bleiben, ob eine Verpflichtun 
der Staaten hierzu juristisch noch jetzt (moralis 
ist dieselbe unzweifelhaft) aus dem alten Reichs- 
recht (R.Dep. H. Schl. 1803 F 35) ableitbar ist; 
jedenfalls wird die Pflicht staatsseitig anerkannt 
und in der heutigen staatsrechtlichen Form des 
Budgets erfüllt ( Sakularisation); 
b) in einigen deutschen Staaten (nicht Preußen) 
haben die Landeskirchen eine besondere parla- 
mentarische Vertretung kraft der 
Verfassung, so in Bayern (VUl VI 82 Nr. 3 u. 5), 
Württemberg (Vu & 133), Baden (Vu # 27), 
Hessen, Elsaß-Lothringen; 
JPc) die Geistlichen M der Landeskirchen haben 
überall eine den Staatsbeamten entsprechende, 
im einzelnen verschieden ausgeprägte Rechts- 
stellung und sind mehrfach, insbesondere die höhe- 
ren Würden, der staatlichen Rangordnung ein- 
gegliedert (ALRK II 11 19); die Organe der 
Landeskirchen sind Behörden im Rechtssinne 
(Hinschius, preuß. Kirchenrecht 14); 
d) das kanonische privilogium immunitatis 
wirkt heute noch darin nach, daß 
a)kraft reichsrechtlicher Vorschrift Inhaber 
eines geistlichen Amtes nicht zum Militärdienst 
mit der Waffe eingezogen werden dürfen und daß 
  
Personen, welche die evangelische Ordination 
oder die katholische Priesterweihe empfangen 
haben, von der Dienstpflicht in der Ersatzreserve 
befreit sind (GAR v. 2.5.74 5 65, v. 6. 5. 80 à 1 4 3); 
6) in verschiedener Weise ist seitens der Ein- 
zelstaaten eine privilegierte Stellung kirchlicher 
Personen oder Grundstücke in Hinsicht der Steuer- 
pflicht gegenüber dem Staate anerkannt: 
J) Geistliche (| der Landeskirchen sollen nicht 
zu Geschworenen oder Schöffen (GVG és 34, 
85) und nicht zu den Selbstverwaltungsämtern 
des Kommunaldienstes berufen werden (preuß. 
StO v. 19. 3. 56 F ##. 17, 30). 
e) Landeskirchliche Einrichtungen sind in mehr 
oder minder weitem Umfange der Organisation 
der Staatsverwaltung ein= oder angegliedert: 
a) zur Eröffnung der Parlamente findet mehr- 
fach landeskirchlicher Gottesdienst statt; 
6) landeskirchliche Seelsorge ist organisiert beim 
Militär [/ Militärkirchenwesen!), bei Armen-, 
Kranken-, Wohltätigkeitsanstalten; 
7) das staatlich geordnete oder kommunal ver- 
waltete Elementarschulwesen beruht auch heute 
noch grundsätzlich auf der Grundlage der landes- 
kirchlichen Gliederung, sowohl was Schüler als 
Lehrer anbetrifft (Bierling, Die konfessionelle 
Schule in Preußen 1885, gegen Gneist); 
2) in den Elementarschulen und in den Gymna- 
sien ist von Staats wegen und unter Mitwirkung 
der Kirchen landeskirchlicher Religionsunterricht (N! 
als obligatorischer Lehrgegenstand eingerichtet 
(Zorn 2231, Hinschius 4 a. a. O.); 
e) an allen deutschen Staatsuniversitäten be- 
stehen theologische Fakultäten, sei es für beide 
(Bonn, Breslau, Tübingen, Straßburg), sei es 
für eine der beiden Landeskirchen (evangelische: 
Erlangen, Gießen, Rostock, Leipzig, Heidelberg, 
Marburg, Königsberg, Greifswald, Kiel, Berlin, 
Halle, Jena, Göttingen; katholische: Freiburg, 
München, Würzburg, Münster, sowie in Brauns- 
berg) zum Zwecke der Vorbildung der künftigen 
Geistlichen (II diese Fakultäten sind zwar formell 
rein staatlich eingerichtet, materiell aber von 
kirchlichen Voraussetzungen abhängig, besonders 
hinsichtlich der Qualifikation der Professoren, ein 
Punkt, welcher für die katholischen Fakultäten 
mehrfach zu schweren Streitfragen mit der Staats- 
gewalt Veranlassung bot und auch für die evan- 
gelischen Fakultäten bisweilen lebhaft umstritten 
ist (Zorn 223). 
1)Außer dem allgemeinen strafrechtlichen 
(StGB l 166 bezieht sich auf alle mit Korpora- 
tionsrechten ausgestatteten R.) und verwaltungs- 
rechtlichen Schutz, welchen alle R. genießen, haben 
die Landeskirchen besondere Privilegien: 
a) ihre Festtage sind durch die Gesetzgebung des 
Reichs und der Einzelstaaten in besonderer Weise 
berücksichtigt (ALR II 11 35; LBG v. 30. 7. 83 
§#l 3, 22, 44; dazu Hinschius, Preuß. Kirchenrecht 
19 f; Thudichum 1, 121 f) (/X Sonntagsfeierl; 
5) die von den Landeskirchen autonomisch auf- 
erlegten Steuern, sowie andere kirchliche Abgaben 
dürfen in den meisten Einzelstaaten mit den Mit- 
teln des staatlichen Verw Zwanges eingetrieben 
werden ( Kirchensteuern!]; 
7) für die Durchführung kirchlicher Anordnun- 
gen, speziell auf dem Gebiete der Disziplin, stellt 
der Staat sein brachium saeculare zur Verfügung 
(preuß. G v. 12. 5. 73 5+ 9; bad. Gv. 9. 10. 60
	        
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