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Religiöse Kindererziehung
seits eine derartige Tätigkeit des Pfarrers, sofern
sie ohne Abbruch seiner kirchlichen Geschäfte ge-
schehen kann, begünstigt. In Baden ist das
Recht des Pfarrers auf Erteilung des R. als not-
wendige Folge des der Kirche gewährten Rechts
auf die Besorgung des letzteren anerkannt, ferner
ausdrücklich festgesetzt in Württemberg,
wogegen in den anderen Staaten (§5 1 II, III,
IV) kein staatliches Hindernis für die Versehung
dieser Funktion besteht. Jedenfalls hat aber nur
ein Pfarrer, welcher sein kirchliches Amt in Ge-
mäßheit der staatlichen Gesetze erlangt hat, ein
Recht auf Zulassung zu der gedachten Tätigkeit.
Hierbei ist er ferner an die staatlichen Schulein-
richtungen gebunden und der staatlichen Aufsicht
unterworfen; deren Umfang bemißt sich aber
nach der der Kirche in betreff des R. gewährten
Stellung. Was die Zulassung an sich berechtigter
Geistlicher und ihre Enthebung von der Erteilung
des R. betrifft, so ist in Baden der Staat nicht
befugt, einen kirchlicherseits ermächtigten Geist-
lichen von vornherein zurückzuweisen, wohl aber
kann er Geistliche von ihren Funktionen aus-
schließen, wenn sie ihre Pflichten gröblich verletzen
und die kirchliche Behörde die auf Entfernung ge-
stellten Anträge der Staatsbehörden unbeachtet
läßt. Wo bloß ein gesetzliches Recht des Pfarrers
(nicht der Kirche) auf Erteilung des R. besteht, ist
die Staatsbehörde berechtigt, ungeeignete Geist-
liche fernzuhalten und ihnen den R. bei Pflicht-
widrigkeiten auch wieder zu entziehen. Das ist
der Rechtszustand in Württemberg und in
Bayer n. Beruht die Beteiligung des Pfarrers
am R. lediglich auf VerwAnordnungen (wie in
Preußen.) so kann die staatliche Behörde über-
haupt, wenn es ihr angemessen erscheint, die
Geistlichen davon ausschließen und die gewährte
Ermächtigung jeden Augenblick wieder zurück-
ziehen.
Literatur: Im allgemeinen val. Fried-
berg, Kirchenr.“ 545, Anm. 30; Hinschius 4, S#603 ff,
620, 637, 638; Art. R. im Herderschen Staatslexikon"“
4, 594 ff (Huppert-Nacke); Rein, Enzyklopäd. H der
Pädagogik 7, S 274 f, 280 ff; 9, 387 ff.
Zu 3 1: Preußen: v. Bremen, Die preußische
Bolksschule, 1905; Schoen, Epvang. Kirchenrecht in Preu-
ben, 2, 614 ff; Anschütz, Verf.-Urk. f. d. preuß. Staat,
1, 447ff. — Bayern: Seydel StRe 3, 647. — Würt-
temberg: Golther, Staat und katholische Kirche
in Württemberg, 1874, 376 ff.
Zu 1 2: J. Schulte, Art. Lehramt, kirchliches, im
Herderschen Staatslexikon; W. Kahl, Die missio canonlca
zum R. und zur Lehre der Theologie an Schulen bezw.
Universitäten nach dem Rechte der katholischen Kirche und
dem staatlichen Rechte in Preußen, 3Z f. Kirchenrecht 18
(1908), 310 ff. Hinschius (Smend).
Religiöse Kindererziehung
* 1. Allgemeines. 1 2. Preußen. 4 3. Bavern. 7 4.
Sachsen. # 5. Württemberg. 1 6. Baden. 4 7. Hessen.
5s 8. Elsaß-Lothringen. # 9. Kolonien.
1. Allgemeines. Da in Deutschland die
obligatorische Zivilehe eingeführt und das Ehe-
bindernis der gemischten Religion beseitigt ist,
ann die Beobachtung der kirchlichen Vor-
schriften über die R. K. nur mehr als Glaubens-
und Gewissenssache bezeichnet werden (J Per-
sonenstand, Kirchenhoheit). Vorher war bei kon-
fessionellen Eheschließungsstreitigkeiten im In-
teresse der Eheschließenden und der R. K. entweder
der nichtkatholische Geistliche für zuständig er-
klärt (Preußen, Sachsen, Baden, Kurhessen) oder
die Zuständigkeit der Geistlichen beider Konfes-
sionen zugelassen worden (Bayern, Württemberg,
Hannover, Holstein, Hessen). Gegen die vor oder
während der Ehe eingegangene Verpflichtung
zur R. K. in einer bestimmten Konfession zeigte
sich die staatliche Gesetzgebung in unseren
Staaten (außer Sachsen, Bayern, Frankfurt,
Schleswig) feindlich und behandelten sie hier
und da als nichtig (Elsaß-Lothringen, Altpreußen,
Hannover, Kurhessen, Nassau, Holstein, Baden,
Hessen) oder nur dann als erlaubt, wenn nach der
Eheschließung (Württemberg) oder nur wenn un-
ter Wahrung einer bestimmten Form (Bayern,
Sachsen) verabredet. Auch im übrigen ist das
Recht der R. K. durchaus vielgestaltig, nach-
dem das BG# für das Deutsche Reich die Re-
gelung der R. K. der Landesgesetzgebung der
Einzelstaaten überlassen hat. Einige von diesen
haben daraufhin in ihren Ausführungsgesetzen die
R. K. neu geordnet (Elsaß-Lothringen, Hessen).
Der Grundgedanke bei dieser staatlichen Um-
grenzung der R. K. ist überall, daß sie als ein
eil der Sorge für die Person des Kindes, mit-
hin als ein Teil des elterlichen Er-
ziehungsrechts angesehen wird und dem-
gemäß dem Vater oder der unehelichen Mutter
in erster Linie und allein zusteht (in Hessen auch
nach dem Tode des Vaters, wenn er vorher Be-
stimmung getroffen hat): so in Ostpreußen, Han-
nover, Sachsen (wo die R. K. als staatsrechtliche
Pflicht aufgefaßt wird). Nur wenn der Vater
dauernd verhindert oder für unfähig erklärt ist, tritt
die eheliche Mutter oder der Vormund, die häufig
noch der Genehmigung des Vormundschafts-
gerichts bedürfen (in Hessen für jede Aenderung
der R. K.), an seine Stelle.
Von dem Bestimmungsrecht des Vaters ist die
g.setzliche Bestimmung der Konfession,
in der die Kinder erzogen werden sollen, zu unter-
scheiden. Die Religion des Vaters ist,
wenn kein abweichender Vertrag von den Eltern
geschlossen worden ist, maßgebend nach dem Recht
von Hessen, Nassau und Frankfurt. Eine Teilung
der Kinder nach Geschlechtern (R. K.
der Knaben nach der Religion des Vaters, der
Mädchen nach derjenigen der Mutter) ist vor-
geschrieben in Bayern. Auch wo die R. K. freier
vertraglicher Regelung unterworfen bleibt, hat
diese in Sachsen keinen Einfluß mehr auf Kinder
über 6 Jahren. Andererseits wirkt die starke Be-
tonung des väterlichen Bestimmungsrechts viel-
fach über den Tod des Vaters oder den Verlust
seines Erziehungsrechts hinaus (Altpreußen, Han-
nover, Nassau, Kurhessen, Frankfurt, Baden,
Hessen, Sachsen, Württemberg), wenn auch dem
Religionswechsel des Vaters, falls er kurz vor
dessen Ableben erfolgt, starkes Mißtrauen ent-
gegengebracht (Kurhessen), oder er als für die
R. K. unverbindlich bezeichnet wird (Altpreußen,
Hannover); eine Teilung der Kinder nach Ge-