Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
328 
Sachsen (Königreich) 
  
5. Die Stände (Zusammensetzung). Für das 
ganze Königreich S. besteht eine allgemeine, im 
zwei Kammern geteilte Ständeversammlung. 
Daneben besteht die Provinziallandtagsverfas- 
sung der Oberlausitz und die Kreistagsverfassung 
in den Erblanden. 
Im einzelnen weisen die beiden Kammern, 
die in ihren Befugnissen einander gleich sind, 
folpende Entwicklung und Organisation auf: 
u!. Mitglieder der ersten Kammer 
(46, die Königlichen Prinzen nicht mitgerechnet): 
1. Die volljährigen Prinzen des Kal Hauses, 
2. ein Vertreter des Hochstiftes Meißen, 
3. der Besitzer der Herrschaft Wildenfels, 
4. die Besitzer der 5 Schönbergischen Rezeßherrschaften 
durch einen ihres Mittels, 
5. ein Vertreter der Universität Leipzig, 
. der Besitzer der Standesherrschaft Königsbrück, 
7. der Besitzer der Standesherrschaft Reibersdorf, 
8. der evangelische Oberhofprediger, 
9. der Dekan des Domstiftes St. Petri in Bautzen, 
10. der Superintendent zu Leipzig, 
11. ein Bertreter des Kollegialstifts zu Wurzen, 
12. die Besitzer der vier Schönburgischen Lehnsherr- 
schaften durch einen ihres Mittels, 
13. 12 auf Lebenszeit gewählte Abgeordnete der Besitzer 
von Rittergütern und anderen größeren ländlichen Gütern, 
14. 10 vom König nach seiner Wahl auf Lebenszeit er- 
nannte Rittergutsbesitzer, 
15. die erste Magistratsperson der Städte Dresden und 
Leipzig, 
16. die erste Magistratsperson in 6 vom Könige nach Ge- 
fallen zu bestimmenden Städten, 
17. 5 vom Könige nach freier Wahl auf Lebenszeit er- 
nannte Mitglieder. 
Während im allgemeinen die Mitgliedschaft 
der I. Kammer durch Familienzugehörigkeit, Be- 
sitz, amtliche Stellung, Vertretung einer Körper- 
schaft und Ernennung begründet wird, ist die 
I. Kammer in Ansehung der unter Ziffer 13 ge- 
nannten 12 zu wählenden Abgeordneten ebenso 
wie die II. Kammer eine Wahlkammer. Diese 
Wahlen werden nach dem Wahl G v. 3. 12. 68, 
das durch das G v. 27. 3. 96 teilweise abgeändert 
wurde, nicht nach der bestehenden politischen 
Landeseinteilung, sondern nach den alten erb- 
ländischen Kreisen mit Zuziehung der Oberlausitz 
dergestalt vorgenommen, daß auf den Meißner 
Kreis und die Oberlausitz je 3, auf den Leipziger, 
Vogtländischen und Erzgebirgischen Kreis je 2 
Abgeordnete entfallen. Wahlberechtigt 
ist hierbei der 25 Jahre alte unbescholtene sächsische 
Staatsangehörige, welcher im Kreise ein Ritter- 
gut oder ein anderes ländliches Gut, das mit 
mindestens 3000 Steuereinheiten belegt ist, besitzt. 
Besitz in mehreren Kreisen gibt auch ein mehr- 
faches Wahlrecht, mehrfacher Besitz in einem 
Kreise jedoch nur einfaches Wahlrecht. Vertreter 
von juristischen Personen und Nutznießer von 
geistlichen Lehen sind bei Erfüllung der Voraus- 
setzung des Besitzes wahlberechtigt. 
Wählbar ist der seit 3 Jahren staats- 
angehörige, 30 Jahre alte Eigentü- 
mer eines im Königreich S. gelegenen Rittergutes 
oder sonstigen Landgutes; beide Arten von Gü- 
tern müssen jedoch mit mindestens 4000 Steuer- 
einheiten belegt sein. Vertreter von juristischen 
Personen und Nutznießer von geistlichen Lehen 
kommen hier nicht in Betracht. 
  
Verloren gehen kann die Mitgliedschaft durch 
Vorhandensein allgemeiner Ausschlußgründe (Un- 
würdigkeit usw.), durch Verlust der sächsischen 
Staatsangehörigkeit und durch den Wegfall der 
besonderen Voraussetzungen, z. B. des Amtes, 
des Grundbesitzes usw. Ein Verzicht auf die Mit- 
gliedschaft ist nur dort möglich, wo die Berufung 
ihren Grund in einem Akt persönlichen Vertrauens 
hat, also bei den nach Ziffer 2, 3, 4, 5, 6, 13, 14 
und 17 Berufenen. Nicht möglich ist ein Verzicht 
bei den Mitgliedern, die auf Grund ihres Standes, 
Amtes oder Besitzes berufen sind. 
Die zweite Kammelr. Diese ist 
im Gegensatze zu der I. Kammer eine ausgespro- 
chene Wahlkammer. Infolgedessen ist deren Zu- 
sammensetzung und Wahlrecht während der gan- 
zen Zeit ihres Bestehens Gegenstand von Kämp- 
fen gewesen. 
Zunächst konnte man sich bei Einführung der 
Verfassung und eines Wahlrechtes zur II. Kam- 
mer von dem Gedanken einer ständischen Gliede-- 
rung auch der II. Kammer nicht frei machen. 
Die Kammer bestand nach # 68 der Verf aus 
20 Abgeordneten der Rittergutsbesitzer, 25 Ab- 
eordneten der Städte, 25 Abgeordneten des 
auernstandes und 5 Vertretern des Handels- 
und Fabrikwesens. 
Ueberall war das Wahlrecht bedingt durch Ansässigkeit 
mit einem Wohnhaus, zurückgelegtes 25. Lebensjahr und 
christliches Bekenntnis. Für die Wäblbarkeit wurde ein 
Alter von 30 Jahren, ein mindestens seit 3 Jahren bestehen- 
der Besitz des Grundstückes und christliches Bekenntnis gesor- 
dert. Für die Wahl der Bertreter des Handels= und Fabrik- 
wesens wurde erst durch Gv. 7. 3. 39 indirekte Wahl, Ein- 
teilung des ganzen Landes in 5 Wahlkreise und als Voraus- 
setzung des Wahlrechts anstatt der Ansässigkeit die Zahlung 
eines gewissen Mindestsatzes von Gewerbesteuer bestimmt. 
Zur Behebung der im Jahre 1848 zutage getretenen 
Mißstimmung wurde unter Ausschluß jeder ständischen 
Gliederung die direkte Wahl mit Stimmberechtigung aller 
männlichen, volljährigen Staatsangehörigen unter Ein- 
teilung des ganzen Landes in 75 Wahlbezirke provisorisch 
eingeführt. Zur Wählbarkeit wurde ein Alter von 30 Jahren 
gefordert. 
Nach dem volitischen Umschwung wurden die Stände in 
der durch Berfassung und Wahlgesetz von 1831 geordneten 
Weise zusammenberufen und mit ihnen vereinbart, daß das 
provisorische Gesetz außer Kraft zu treten und die alten Be- 
stimmungen wieder aufzuleben hätten. 
Erst im Jahre 1861 wurde dies Wahlrecht er- 
weitert. Es wurde das Erfordernis des christlichen 
Bekenntnisses gestrichen und an seine Stelle die 
Bedingung der Staatsangehörigkeit gesetzt. Neben 
der Forderung der Ansässigkeit wurde eine gewisse 
Mindestleistung an direkten Steuern als genügende 
Voraussetzung für die Stimmberechtigung ange- 
sehen; außerdem wurde die Zahl der Vertreter 
des Handels= und Fabrikwesens von 5 auf 10 
erhöht. 
Noch weiter ging das Wahl G v. 3. 11. 68. Es 
wurde darin direktes, gleiches und geheimes 
Wahlrecht für alle 25jährigen, männlichen Staats- 
angehörigen, soweit nicht besondere Unwürdig- 
keitsgründe vorlagen, bestimmt. Die Mindest- 
leistung an direkten Steuern wurde auf den Be- 
trag von einem Taler herabgesetzt, die besonderen 
ritterschaftlichen Abgeordneten fielen weg, dafür 
erhöhte sich die Zahl der Abgeordneten des Bauern- 
standes — jetzt des platten Landes genannt —
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.