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Sachsen (Königreich)
5. Die Stände (Zusammensetzung). Für das
ganze Königreich S. besteht eine allgemeine, im
zwei Kammern geteilte Ständeversammlung.
Daneben besteht die Provinziallandtagsverfas-
sung der Oberlausitz und die Kreistagsverfassung
in den Erblanden.
Im einzelnen weisen die beiden Kammern,
die in ihren Befugnissen einander gleich sind,
folpende Entwicklung und Organisation auf:
u!. Mitglieder der ersten Kammer
(46, die Königlichen Prinzen nicht mitgerechnet):
1. Die volljährigen Prinzen des Kal Hauses,
2. ein Vertreter des Hochstiftes Meißen,
3. der Besitzer der Herrschaft Wildenfels,
4. die Besitzer der 5 Schönbergischen Rezeßherrschaften
durch einen ihres Mittels,
5. ein Vertreter der Universität Leipzig,
. der Besitzer der Standesherrschaft Königsbrück,
7. der Besitzer der Standesherrschaft Reibersdorf,
8. der evangelische Oberhofprediger,
9. der Dekan des Domstiftes St. Petri in Bautzen,
10. der Superintendent zu Leipzig,
11. ein Bertreter des Kollegialstifts zu Wurzen,
12. die Besitzer der vier Schönburgischen Lehnsherr-
schaften durch einen ihres Mittels,
13. 12 auf Lebenszeit gewählte Abgeordnete der Besitzer
von Rittergütern und anderen größeren ländlichen Gütern,
14. 10 vom König nach seiner Wahl auf Lebenszeit er-
nannte Rittergutsbesitzer,
15. die erste Magistratsperson der Städte Dresden und
Leipzig,
16. die erste Magistratsperson in 6 vom Könige nach Ge-
fallen zu bestimmenden Städten,
17. 5 vom Könige nach freier Wahl auf Lebenszeit er-
nannte Mitglieder.
Während im allgemeinen die Mitgliedschaft
der I. Kammer durch Familienzugehörigkeit, Be-
sitz, amtliche Stellung, Vertretung einer Körper-
schaft und Ernennung begründet wird, ist die
I. Kammer in Ansehung der unter Ziffer 13 ge-
nannten 12 zu wählenden Abgeordneten ebenso
wie die II. Kammer eine Wahlkammer. Diese
Wahlen werden nach dem Wahl G v. 3. 12. 68,
das durch das G v. 27. 3. 96 teilweise abgeändert
wurde, nicht nach der bestehenden politischen
Landeseinteilung, sondern nach den alten erb-
ländischen Kreisen mit Zuziehung der Oberlausitz
dergestalt vorgenommen, daß auf den Meißner
Kreis und die Oberlausitz je 3, auf den Leipziger,
Vogtländischen und Erzgebirgischen Kreis je 2
Abgeordnete entfallen. Wahlberechtigt
ist hierbei der 25 Jahre alte unbescholtene sächsische
Staatsangehörige, welcher im Kreise ein Ritter-
gut oder ein anderes ländliches Gut, das mit
mindestens 3000 Steuereinheiten belegt ist, besitzt.
Besitz in mehreren Kreisen gibt auch ein mehr-
faches Wahlrecht, mehrfacher Besitz in einem
Kreise jedoch nur einfaches Wahlrecht. Vertreter
von juristischen Personen und Nutznießer von
geistlichen Lehen sind bei Erfüllung der Voraus-
setzung des Besitzes wahlberechtigt.
Wählbar ist der seit 3 Jahren staats-
angehörige, 30 Jahre alte Eigentü-
mer eines im Königreich S. gelegenen Rittergutes
oder sonstigen Landgutes; beide Arten von Gü-
tern müssen jedoch mit mindestens 4000 Steuer-
einheiten belegt sein. Vertreter von juristischen
Personen und Nutznießer von geistlichen Lehen
kommen hier nicht in Betracht.
Verloren gehen kann die Mitgliedschaft durch
Vorhandensein allgemeiner Ausschlußgründe (Un-
würdigkeit usw.), durch Verlust der sächsischen
Staatsangehörigkeit und durch den Wegfall der
besonderen Voraussetzungen, z. B. des Amtes,
des Grundbesitzes usw. Ein Verzicht auf die Mit-
gliedschaft ist nur dort möglich, wo die Berufung
ihren Grund in einem Akt persönlichen Vertrauens
hat, also bei den nach Ziffer 2, 3, 4, 5, 6, 13, 14
und 17 Berufenen. Nicht möglich ist ein Verzicht
bei den Mitgliedern, die auf Grund ihres Standes,
Amtes oder Besitzes berufen sind.
Die zweite Kammelr. Diese ist
im Gegensatze zu der I. Kammer eine ausgespro-
chene Wahlkammer. Infolgedessen ist deren Zu-
sammensetzung und Wahlrecht während der gan-
zen Zeit ihres Bestehens Gegenstand von Kämp-
fen gewesen.
Zunächst konnte man sich bei Einführung der
Verfassung und eines Wahlrechtes zur II. Kam-
mer von dem Gedanken einer ständischen Gliede--
rung auch der II. Kammer nicht frei machen.
Die Kammer bestand nach # 68 der Verf aus
20 Abgeordneten der Rittergutsbesitzer, 25 Ab-
eordneten der Städte, 25 Abgeordneten des
auernstandes und 5 Vertretern des Handels-
und Fabrikwesens.
Ueberall war das Wahlrecht bedingt durch Ansässigkeit
mit einem Wohnhaus, zurückgelegtes 25. Lebensjahr und
christliches Bekenntnis. Für die Wäblbarkeit wurde ein
Alter von 30 Jahren, ein mindestens seit 3 Jahren bestehen-
der Besitz des Grundstückes und christliches Bekenntnis gesor-
dert. Für die Wahl der Bertreter des Handels= und Fabrik-
wesens wurde erst durch Gv. 7. 3. 39 indirekte Wahl, Ein-
teilung des ganzen Landes in 5 Wahlkreise und als Voraus-
setzung des Wahlrechts anstatt der Ansässigkeit die Zahlung
eines gewissen Mindestsatzes von Gewerbesteuer bestimmt.
Zur Behebung der im Jahre 1848 zutage getretenen
Mißstimmung wurde unter Ausschluß jeder ständischen
Gliederung die direkte Wahl mit Stimmberechtigung aller
männlichen, volljährigen Staatsangehörigen unter Ein-
teilung des ganzen Landes in 75 Wahlbezirke provisorisch
eingeführt. Zur Wählbarkeit wurde ein Alter von 30 Jahren
gefordert.
Nach dem volitischen Umschwung wurden die Stände in
der durch Berfassung und Wahlgesetz von 1831 geordneten
Weise zusammenberufen und mit ihnen vereinbart, daß das
provisorische Gesetz außer Kraft zu treten und die alten Be-
stimmungen wieder aufzuleben hätten.
Erst im Jahre 1861 wurde dies Wahlrecht er-
weitert. Es wurde das Erfordernis des christlichen
Bekenntnisses gestrichen und an seine Stelle die
Bedingung der Staatsangehörigkeit gesetzt. Neben
der Forderung der Ansässigkeit wurde eine gewisse
Mindestleistung an direkten Steuern als genügende
Voraussetzung für die Stimmberechtigung ange-
sehen; außerdem wurde die Zahl der Vertreter
des Handels= und Fabrikwesens von 5 auf 10
erhöht.
Noch weiter ging das Wahl G v. 3. 11. 68. Es
wurde darin direktes, gleiches und geheimes
Wahlrecht für alle 25jährigen, männlichen Staats-
angehörigen, soweit nicht besondere Unwürdig-
keitsgründe vorlagen, bestimmt. Die Mindest-
leistung an direkten Steuern wurde auf den Be-
trag von einem Taler herabgesetzt, die besonderen
ritterschaftlichen Abgeordneten fielen weg, dafür
erhöhte sich die Zahl der Abgeordneten des Bauern-
standes — jetzt des platten Landes genannt —