Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Sachsen (A 
. Berfassung) 
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auf 45. Ebenso fielen die 10 Vertreter des Han- 
dels- und Fabrikwesens weg, und die Zahl der 
städtischen Abgeordneten erhöhte sich auf 35, 
später auf 37, so daß die Gesamtzahl aller Abge- 
ordbneten 82 betrug. 
Im Jahre 1896 kam ein Gesetz zustande, wonach 
an Stelle des direkten und gleichen Wahlrechts 
ein indirektes Klassenwahlrecht trat. Es werden 
nach diesem Wahlmodus die Wähler in drei Klassen 
entsprechend der Höhe ihrer Steuerleistungen ein- 
geordnet. Jede Klasse wählt in der Urwahl die 
auf ihre Klasse entfallenden Wahlmänner. Zur 
Vornahme dieser Wahlen ist der Wahlkreis in 
Wahlbezirke eingeteilt, so daß auf je 500 volle 
Seelen ein Wahlmann kommen und der Wahl- 
bezirk mindestens 3 und höchstens 6 Wahlmänner 
stellen soll. 
Nach heftigen Kämpfen in der II. Kammer 
wurde das Wahlrecht erweitert durch das Wahl G 
v. 5. 5. 09, dessen Bestimmungen zugleich die 
### 68 und 71 der Verfassung entsprechend än- 
derten. Die II. Kammer besteht demnach jetzt aus 
91 Abgeordneten, und zwar 43 städtischen und 48 
ländlichen. Die Abgeordneten werden bei den 
allgemeinen Wahlen — solche, bei denen sämtliche 
Mitglieder der Kammer neu zu wählen sind — auf 
6 Jahre direkt gewählt. Bei besonderen Wahlen 
wird der betreffende Abgeordnete nur auf die 
übrige Dauer der allgemeinen Wahlperiode ge- 
wählt. Besondere Wahlen finden statt im Fall 
einer Nachwahl (Ungültigkeitserklärung, Ableh- 
nung seitens des Gewählten) oder einer Ersatz- 
wahl (Ausscheiden der Abgeordneten durch Tod, 
Verlust der Wählbarkeit, Anstellung im Staats- 
dienst bezw. Beförderung darin, von der Kam- 
mer genehmigte Austrittserklärung). Eine Eigen- 
tümlichkeit ist das Pluralstimmrecht. Das 
Nähere # Wahlrecht. 
8 6. Rechtsstellung der Stände. 
I. Besonderheiten: 
1. Gesetzvorschläge können noch während der 
ständischen Diskussion darüber zurückgenommen 
werden. Sind die Kammern über die Annahme 
eines Gesetzvorschlages geteilter Meinung, so 
hat vor Abgabe ihrer Erklärung das Verei- 
nigungsverfahren stattzufinden. Dies 
besteht darin, daß die Kammern aus ihren bei- 
derseitigen Mitteln eine gemeinschaftliche Depu- 
tation ernennen, welche unter den beiden Vor- 
ständen der Kammern über die Vereinigung der 
geteilten Meinungen zu beraten und im Falle 
eines positiven Ergebnisses dies den Kammern. 
zur anderweiten Beratung vorzutragen hat. Blei- 
ben aber auch dann noch die Kurialstimmen beider 
Kammern geteilt, so ist es zu der Verwerfung des 
Gesegesvonschlages erforderlich, daß in einer der 
Kammern wenigstens zwei Drittel der Anwesen- 
den für die Verwerfung gestimmt haben. Ein von 
den Ständen nur mit Abänderungen angenom- 
mener Gesetzentwurf kann von der Regierung 
entweder ganz zurückgenommen werden oder 
während der Dauer des Landtags noch einmal in 
der alten Form — dann sind Widerlegungsgründe 
notwendig — oder auch mit von der Regierung 
selbst vorzuschlagenden Aenderungen an die 
Stände gebracht werden. Ein von den Ständen 
anz abgelehnter Gesetzentwurf kann auf dem- 
Elosn Landtag nur mit Abänderungen, auf dem 
  
nächsten jedoch unverändert nochmals an die 
Stände gebracht werden. 
2. Bei jedem ordentlichen Landtage wird den 
Ständen über die vorletzte Finanzperiode Rech- 
nung gelegt und ein Voranschlag des Staats- 
bedarfs für die nächsten 2 Jahre (Staats- 
haushaltplan) nebst den Vorschlägen zu 
dessen Uebung mitgeteilt. Bewilligen die Stände 
nach Prüfung und eventuellen, von der Regie- 
rung gebilligten Abänderungen den Haushaltplan, 
so ergeht mit ihrer Zustimmung das Finanz- 
gesetz, worin die Landesabgaben ausgeschrieben 
und erhoben werden. Wird keine Einigung er- 
ielt oder wird der Landtag vor endgültiger Be- 
schlusfafung über die Bewilligung aufgelöst, so 
läßt der König die Auflagen für den notwendigen 
Staatsbedarf nach Ablauf der Bewilligungszeit 
durch die oberste Staatsbehörde mittelst Verord- 
nung auf ein Jahr ausschreiben und erheben. 
Längstens 6 Monate vor Ablauf der Jahresfrist 
muß ein anderweiter Landtag einberufen werden. 
Die Bewilligung ist übrigens nur dann als ab- 
gelehnt zu betrachten, wenn in einer der beiden 
Kammern mindestens 3 der Anwesenden für 
die Ablehnung gestimmt haben. Im Falle ver- 
späteter oder verzögerter Bewilligung werden die 
bestehenden Steuern und Abgaben noch auf ein 
Jahr, vorbehaltlich der Bewilligung des Aus- 
gabebudgets forterhoben. 
Ohne Zustimmung der Stände darf keine An- 
leihe gemacht werden; in dringlichen Fällen 
ist zu diesem Zweck eine außerordentliche Stände- 
versammlung einzuberufen. Würde auch letz- 
teres infolge der Dringlichkeit unmöglich sein, 
so kann der König unter Verantwortlichkeit aller 
Minister die finanzielle Maßregel provisorisch ver- 
fügen; diese Maßregel ist aber sobald als möglich 
der Ständeversammlung zur verfassungsmäßigen 
Genehmigung vorzulegen. Um solche Möglich- 
keiten zu vermeiden, ist ein Reservefonds in das 
Budget aufzunehmen. 
Zur Verzinsung und Tilgung der Staatsschul- 
den besteht eine besondere Staatsschuldenkasse 
unter der Verwaltung der Stände. Die Ver- 
waltung wird durch einen ständischen Ausschuß 
geführt. Die Stände sind außerdem berechtigt 
und verpflichtet, über die Erhaltung des Staats- 
guts und des Hausfideikommisses zu wachen. 
3. Die Stände haben das Petitionsrecht, 
d. i. das Recht, in bezug auf alle zu ihrem Wir- 
kungskreise gehörigen Gegenstände dem Könige 
ihre gemeinsamen Wünsche und Anträge 
vorzulegen. — Das Beschwerderecht, 
d. i. gegen die oberste Staatsbehörde und gegen 
die einzelnen Vorstände von Ministerialdeparte- 
ments über die Anwendung der Gesetze in der 
Landesverwaltung und Rechtspflege Beschwerden 
anzubringen. Die Stände haben das Recht, 
Beschwerden der Untertanen an- 
zunehmen, um die formell zulässige und begrün- 
dete Beschwerde entweder an das betref- 
fende Departement bezw. an die oberste Staats- 
behörde abzugeben oder sie dem König zur Be- 
rücksichtigung zu empfehlen. 
4. Alle ständischen, auf eine Angelegenheit des 
Landes Bezug habenden Beschlüsse bedürfen, um 
wirksam zu werden, der ausdrücklichen Sanktion 
des Königs. Auf jeden von den Ständen an 
den König gebrachten Antrag wird ihnen eine
	        
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