Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Schiedsgerichte (internationale) 
  
den Streit zu beseitigen. Die Erregung freilich, 
in der sich die Diplomatie oftmals bei bedeut- 
samen Konflikten befindet, läßt es vorteilhaft er- 
scheinen, wenn die Staaten bei ihren Bemühnn- 
gen, sich diplomatisch zu verständigen, unterstützt 
werden. Zu diesem Zwecke kennt das Völker- 
recht zwei Verfahrensarten, die schon längere 
Zeit mehr oder weniger geübt, aber doch erst 
durch das Haager „Abkommen zur friedlichen 
Erledigung internationaler Streitigkeiten“ (HA) 
in feste Regeln gebracht worden sind, nämlich 
die Vermittlung und die Untersuchungskommissio- 
nen. 
II. Bei der Vermittlung nimmt eine dritte 
Regierung die Verhandlungen zwischen den 
Streitteilen in die Hände, sucht die einander ent- 
egengesetzten Ansprüche auszugleichen und Ver- 
timmungen zu beseitigen. Sie tut dies entweder 
aus eigenem Antriebe oder auf Anregung der 
streitenden Teile selbst. Mit der Vermittlung 
wesensähnlich sind die guten Dienste, 
bei denen eine am Streite nicht beteiligte Regie- 
rung die abgebrochenen Verhandlungen zwischen 
den Streitteilen wieder zu erneuern sucht. Die 
guten Dienste und die Vermittlung haben nur 
die Bedeutung eines Rates und können von den 
Parteien abgelehnt werden. Bei der beson- 
deren Vermittlung betrauen die Par- 
teien je eine andere Macht gleichsam als Sekun- 
danten, die dann an Stelle der Streitteile ver- 
handeln (HOA# 5—8). 
III. In ähnlicher Weise erstreben die Unter- 
suchungskommissionen eine Beruhi- 
gung der durch einen Konflikt erregten Regie- 
rungen. Die Untersuchungskommission, der ein 
Streitfall überwiesen wird, hat in gewissenhafter 
und unparteiischer Weise die Tatfragen aufzu- 
klären. Bis dies geschehen ist, haben sich die 
Parteien in der Regel beruhigt, und der Bericht 
der Untersuchungskommission ermöglicht es ihnen 
dann, sich auf Grund des Ergebnisses friedlich zu 
verständigen. Die Untersuchungskommissionen 
sind ebenso wie die Vermittlung freiwillig. Die 
Staaten können davon Gebrauch machen, wenn 
sie wollen, müssen es aber nicht. Wenn sie 
eine Untersuchungskommission einsetzen wollen, 
müssen sie vorher ein Abkommen schließen, in 
dem die zu untersuchenden Tatsachen, die Bildung 
der Kommission und die Befugnisse der Kom- 
missare festgestellt werden. Das Verfahren vor 
den Untersuchungskommissionen ist in dem HMA# 
eingehend geregelt und hat große Aehnlichkeit 
mit dem Verfahren der Schiedsgerichte (Sch.). 
Vermittels der Untersuchungskommission ist na- 
mentlich der Huller Fall während des russisch- 
japanischen Krieges (Beschießung englischer Fi- 
scherboote durch die russische Flotte) erledigt wor- 
den (HA 9 36). 
IV. Behalten also bei den erwähnten Streiter- 
ledigungsarten die Parteien die Führung der Ver- 
handlungen, und steht es ihnen vollkommen frei, 
ob sie die Ratschläge des Vermittlers oder den 
Bericht der Untersuchungskommission annehmen 
wollen, so enthält die Ueberweisung des Streit- 
falles an ein Sch. die unbedingte Verpflichtung, 
sich nach Treu und Glauben dem Schieds- 
spruche zu unterwerfen. Durch das sogenannte 
Kompromiß erklären die Parteien, daß nunmehr 
nicht sie, sondern ein dritter, nämlich das Sch., 
  
  
den Streit erledigen soll. Sie bestimmen in dem 
Schiedsvertrage den Streitgegenstand, die Frist 
für die Ernennung der Schiedsrichter, die Form, 
die Reihenfolge der Schriftsätze sowie die Höhe 
des von jeder Partei als Kostenvorschuß zu hinter- 
legenden Betrages. Während in früheren Zeiten 
oftmals der Papst oder Einzelpersonen zu Schieds- 
richtern ernannt wurden, pflegt man in neuerer 
eit Streitigkeiten fast ausschließlich kollegialen. 
ch. anzuvertrauen. Die neuere Entwicklung der 
Schiedsgerichtsbarkeit beginnt 1794 mit dem eng- 
lisch-amerikanischen Jay--Vertrage. Das Ansehen 
dieses Institutes wuchs besonders durch die glück- 
liche Erledigung des Alabamakonfliktes (Fleisch- 
mann, Völkerrechtsquellen S 95), der fast zum 
* zwischen England und Amerika geführt 
ätte. 
§&# 2. Die ständigen Schiedsverträge. 
I. Solange die Regierungen erst nach Ausbruch 
eines Streites ein Sch. einsetzen, erscheint dies Sch. 
als zufälliges,isoliertes. Je mehr man aber 
dahin strebt, die schiedsrichterliche Erledigung von 
Streitigkeiten zur Regel zu gestalten, um so mehr 
versucht man bereits vor Ausbruch eines konkreten 
Streitfalles ganze Gruppen von Streitfällen 
durch einen sogenannten ständigen Schiedsvertrag 
der Schiedsgerichtsbarkeit zu überweisen. Hier 
wird das Sch. aus der Atmosphäre des Zufälligen 
zur dauernden Institution erhoben. Es wird von 
vorneherein ausgemacht, daß derartige Streit- 
fragen nach dem Scheitern der diplomatischen 
  
Verhandlungen einem Sch. überwiesen werden. 
Daher bezeichnet Lammasch die durch einen 
ständigen Sch. Vertrag eingesetzten Sch. als „insti- 
  
  
— — 
tutionelle" Sch. im Gegensatze zu den „isolier- 
ten“ Sch. Natürlich hat jenes eine größere Bedeu- 
tung, weil es den Parteien klar vor Augen führt, 
daß diese Methode der Streiterledigung die Regel 
sein soll, möglichst auch bei den nicht im ständigen 
Schiedsvertrage vorgesehenen Fällen. Zudem 
ist es naturgemäß leichter, die schiedsrichterliche 
Erledigung eines Streitfalles vor dessen Aus- 
bruch als nachher zu erreichen. 
Namentlich seit der ersten Haager Friedens- 
konferenz sind die ständigen Schiedsverträge in 
immer größerem Umfange abgeschlossen worden. 
Heute gibt es etwa 116 derartige ratifizierte 
Verträge zwischen den Staaten. Deutschland hat 
nur einen ständigen Schiedsvertrag — mit Eng- 
land 1904 — abgeschlossen. 
1I. Die ständigen Schiedsverträge 
sind sehr mannigfach. 
1. In der Regel überweisen sie der Schieds- 
gerichtsbarkeit „streitige Rechtsfragen und Streit- 
fragen, die sich auf die Auslegung der zwischen 
den beiden vertragschließenden Teilen bestehenden 
Verträge beziehen, vorausgesetzt, daß diese Streit- 
fragen nicht die Lebensinteressen, die Unabhängig- 
keit oder die Ehre der beiden vertragschließenden 
Teile berühren und nicht die Interessen dritter 
Staaten angehen“. Hier sind also gewisse Streit- 
fälle nur bedingt der obligatorischen Schiedsspre- 
chung unterworfen. Zuerst wurde der englisch- 
französische Vertrag von 1903 in dieser Art ge- 
schlossen. Der deutsch-englische Schiedsvertrag ist 
ähnlich. Insgesamt folgen diesem System über 
50 Schiedsverträge. 
2. Eine zweite Gruppe von Schiedsverträgen 
überweist der Schiedsgerichtsbarkeit unter der
	        
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