Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
  
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Schöffen- und Schwurgerichte 
  
8 4. Befahigung nund Rechtstellung. 
I. Die Befähigungsfrage ist für 
beide Arten gleich geregelt (hier hat oft die Po- 
litik eine verkehrte Rolle gespielt). Es ist kein 
positiver Vermögens= oder Bildungszensus (sog. 
Kapazitätensystem) aufgestellt, wie in England, 
Oesterreich u. a., sondern grundsätzlich gilt jeder 
deutsche Mann als geeignet. Landesangehörig- 
keit wird nicht verlangt; zweijähriger Wohnsitz 
in der Gemeinde der Urliste soll vorliegen. 
Nur bestimmte werden ausgeschieden. Dabei 
werden einige Klassen als bei Strafe der Nichtig- 
keit unfähig ausgeschlossen, GVG F 32 (Be- 
strafte, Verfügungsbeschränkte), andere sind zwar 
fähig, sollen aber nicht berufen werden, GV 
6 33, 34; hierbei sind Reife des Urteils, Unab- 
hängigkeit (30 Jahre, Arme, Kranke, Dienstboten) 
und praktische Gesichtspunkte maßgebend (Be- 
amte — Volksschullehrer! — Soldaten, erweitert 
nach Landesrecht). Außerdem gelten noch die 
Ausschlußgründe in der einzelnen Sache nach 
St O d§ 31, 32. 
II. Das Amt der Nichtberufsrichter ist ein 
„Ehrenamt“, GVG Fs 31, 84. Sie erhalten nur 
Vergütung der Reisekosten und nach dem Gesetz 
v. 29. 7. 13 für jeden Tag der Dienstleistung 
nicht zurückweisbare Tagegelder. Dieses neue 
Gesetz ist die Frucht jahrelanger Bemühungen, 
denen schon der Entw GVG 1908/1911 nach- 
gekommen war, & 118 7. — Die Nichtberufsrichter 
sind nicht Beamte. St B 334 nennt sie wohl 
bei der Richterbestechung, wenig folgerichtig 
6 336 nicht bei der Rechtsbeugung (verbessert im 
VorEntw 1909 § 200); BGB KF 839 trifft mit 
der Beamtenhaftung auf sie nicht zu. 
8 5. Besetzung der Volksrichterbank. Das 
Ausfinden der Schöffen und Geschworenen 
ist sehr umständlich. Die Einrichtungen der ver- 
schiedenen Länder sind sehr verschieden, in der 
Schweiz herrscht teilweise direkte Volkswahl. Es 
sollen die brauchbaren ausgewählt, und doch soll 
die Unparteilichkeit gewahrt werden. Dabei 
dürfen bestimmte Personen das Amt ablehnen, 
GVG # 35 (z. B. Aerzte, 65 jährige); im übrigen 
gilt Annahmepflicht, die durch die Ordnungsstrafe 
von GVG# 5 56 und Kriminalstrafe nach StGB 
138 gesichert ist; es besteht eine aus dem Unter- 
tanenverhältnis des Deutschen fließende Ding- 
pflicht. — Alle nicht absolut Unfähigen werden 
jährlich in jeder Gemeinde in eine Urliste 
aufgenommen. Aus dieser werden a) für das 
Schöffengericht von einem Ausschuß 
beim Amtsgericht, bei dem Regierungs= und 
Parteieinfluß möglichst ausgeschaltet sein soll 
(Amtsrichter, ein Staatsverwaltungsbeamter, 7 
kommunal gewählte Vertrauensmänner) in nicht- 
öffentlicher Sitzung die erforderliche Jahres- 
liste der geeigneten Personen für Haupt= und 
stellvertretende Hilfsschöffen gewählt. Die Ver- 
teilung der Schöffen auf die im voraus für das 
Jahr festgesetzten Sitzungstage erfolgt nun durch 
das Los in öffentlicher Sitzung des Amtsgerichts. 
Nachträglich ist u. U. eine Aenderung in der 
Reihenfolge und Enthebung vom Amt möglich. 
In der Sitzung erfolgt die Vereidigung für das 
ganze Jahr (GVG s 36—54). b) Für das 
Schwurgericht setzen die Amtsgerichts- 
ausschüsse die Vorschlagslisten miet drei- 
fachem Jahresbedarf zusammen, aus denen das 
  
Landgericht in nicht-öffentlicher Sitzung die 
Jahresliste auswählt. Ob bei diesem Mo- 
dus die geeigneten Personen den Wahlmännern 
immer bekannt sind, erscheint zweifelhaft (gegen 
alle diese Listen sind Einsprachen zulässig). Vor 
jeder Periode des Schwurgerichts werden in 
öffentlicher Sitzung des Landgerichts 30 Haupt- 
eschworene ausgelost, die jetzt geladen werden. 
iese Spruchliste wird dem Angeklagten 
zugestellt. Nun erfolgt die Bildung der Ge- 
schworenenbank in der öffentlichen Haupt- 
verhandlung des Einzelfalls als ihr erster Teil. 
Der Vorsitzende lost aus den erschienenen (min- 
destens 24) die Geschworenen aus; die beiden 
Parteien haben nach jeder Einzelauslosung das 
Recht peremtorischer (nicht zu begründender) 
Ablehnung, sodaß jedenfalls die nötigen 12 für 
die Bank übrig bleiben, wenn nötig auch Er- 
gänzungsgeschworene als Stellvertreter für etwa 
im Laufe der Verhandlung wegfallende Haupt- 
geschworene. Ausnahmsweise kann mit Zustim- 
mung beider Parteien eine Bank für die späteren 
Fälle desselben Tages bestehen bleiben. Sonst 
muß für die nächste Sache die Bank in der gleichen 
Weise neu gebildet werden. Jetzt erst erfolgt die 
Einzelvereidigung (StpO s# 277—288). We- 
sentliche Fehler in diesem Verfahren machen das 
Urteil absolut nichtig nach St PO & 3771. — 
Man könnte dies Verfahren wohl vereinfachen. 
Dabei sollen die Bürger möglichst geschont 
werden: niemand soll im gleichen Jahr Schöffe 
und Geschworener sein, GVG 5 97; die Schöffen 
sollen nur zu höchstens fünf Sitzungstagen im 
Jahr herangezogen werden, die Geschworenen 
einer Periode fallen grundsätzlich für die folgen- 
den weg, G SK 43, 91. Daher leben sich die 
Nichtberufsrichter viel zu wenig in ihr Amt ein. 
#s#6Kritik. Seit der Einführung der Nichtberufsrichter 
ist die Kritik nicht verstummt, ja stets heftiger geworden 
(auch im Ausland, z. B. Schweiz, Frankreich). Biele Ju- 
risten wollen gar keine Volksrichter, da sie allein das juristisch- 
technische Moment betonen, die meisten höchstens Schöffen, 
indem sie die Schwierigkeiten und Mängel des Wahrspruch- 
verfahrens hervorheben (18. und 22. DJ 1886, 1892. 
Prot der Strafprozeßkommission 1905). Dennoch hielt der 
StrafprozeßEntw 1908/1911 an den Schwurgerichten 
sest — mit Recht, da heute noch die alten politisch-staatsrecht- 
lichen Gründe bestehen — und führte, — wie schon der 9. 
DJF 1871 und die RTKommission 1875, 1. Lesung, — Schöf- 
fen auch für die mittleren Fälle I. Instanz ein (2 Richter, 
3 Schöffen), während der RI sie hier sogar für die Beru- 
fungssenate verlangte; das würde das Volk zu sehr belasten. 
— Beide Formen sind keine ewig gültigen Ivealformen des 
berechtigten Einflusses des Bolkes auf die Rechtsprechung. 
Eine Uebertreibung des an sich gesunden Gedankens ist vom 
ebel; das juristisch-technische Moment der Rechtsprechung 
darf nicht zurückgedrängt werden. 
56 7. Ausland. Alle Länder des englischen Rechts — 
englische Kolonien, Nordamerika — haben das englische Ge- 
schworenensystem. — Das französische System mit Schwur- 
gerichten für Verbrechen besteht in Belgien 1831, Italien 
1859, 1874, 1913, Spanien 1872, 1888, Portugal 1832, 
Brasilien 1832, — in Oecsterreich 1848, neu 1873, beibehalten 
in den Entwürfen 1909 ff, Ungarn 1896, Schweiz Bund 
1851, 1893, Bern, Zürich 1852, Freiburg 1850, Aargau, 
Thurgau, Solothurn, Waadt 1846, Neuenburg, Genf 1794; 
die beiden letzten haben auch eine korrektionelle Jury, Genf 
schon 1848, — in Norwegen 1887 (in Schweden eigenartig 
nur für die Preßdelikte seit 1815), Rußland 1864, Griechen-
	        
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