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Schutzgebiete (III. Verwaltung: Land= und Siedelungsfrage)
ergangen.) Weder sind daher die Behörden bei
der Durchführung ihrer Maßnahmen an bestimmte
Förmlichkeiten noch Beschwerden gegen ihre An-
ordnungen an irgendwelche Fristen gebunden.
Nach den für die Eingeborenenrechtspflege gelten-
den Grundsätzen (oben § 6) sind die VerwBehör-
den ferner in der Lage, jeden Ungehorsam gegen
ihre Anordnungen ohne weiteres mit den zu-
lässigen gerichtlichen Strafen zu ahnden. Auch in
materiellrechtlicher Hinsicht ist
ihre Anordnungsbefugnis grundsätzlich eine un-
beschränkte. Indes haben die gemäß §* 15 Schutz-
geb G und den Ausführungsbestimmungen erlasse-
nen Polizeiverordnungen und son-
stigen verwaltungsrechtlichen Vor-
schriften und die darin enthaltenen Straf-
androhungen regelmäßig (nämlich soweit sich nicht
aus ihnen selbst das Gegenteil ergibt, da #§ 4
Schutzgeb G sich auf die gemäß §* 15 ergangenen
Vorschriften nicht bezieht) ebenfalls für Einge-
borene Geltung. Sie setzen alsdann auch den
letzteren gegenüber der Befehls= und Strafgewalt
der Behörden eine Grenze. (In neuerer Zeit wird
freilich meist bezüglich der Strafandrohung für
Eingeborene ein Vorbehalt gemacht, indem ganz
allgemein die in der Strafrechtspflege zulässigen
Strafmittel für anwendbar erklärt werden.) Viel-
fach sind Vorschriften auf Grund des §7 15 Schutz-
geb G sogar mit ausschließlicher Geltung für Ein-
geborene ergangen. (Vgl. besonders die Gouv. V
für Südwest, betr. Maßregeln zur Kontrolle und
Paßpflicht der Eingeborenen, v. 18. 8. 07, Kl.
S 1181, 1182, sowie die zahlreichen Marktverord-
nungen für Ostafrika, ferner die Vorschreften,
welche Eingeborenen den Besitz von Feuerwaffen,
insbesondere von Hinterladergewehren verbieten
u. dgl. mehr.) Zumeist werden freilich allgemeine
Anordnungen, welche lediglich für die Eingebo-
renen gelten sollen, von den Verw Behörden form-
los (durch Bekanntgabe an die Häuptlinge usw.)
erlassen.
An Borschriften, welche sich z. T. auch gegen Weiße
richten, hauptsächlich aber im Interesse der Eingeborenen
erlassen sind, sind herworzuheben die V, welche den VBer.
kauf von Waffen und Munition sowie die Abgabe von Spiri-
tuosen an Eingeborene verbieten oder einschränken (1 Ge-
werbe B), die Anwerbe= und Arbeiter B (s. unten 1 20),
endlich die B., welche die Anwerbung Eingeborener zu
Diensten außerhalb der Schutzgebiete, die Ausführung zu
Schaustellungen und den Eingeborenen selbst die Auswan-
derung verbieten oder doch nur mit Genehmigung der Gouv.
çestatten, vcol. Gouv. B für Ostafrika v. 27. 2. 09 (KBl 365);
für Südwest v. 30. 11. 01 (KBl 1902, 86); Kamerun v.
15. 10. 10 (KVl 1911, 44); Togo v. 15. 11. 99 (K Bl 1900,
45) und 2. 6. 00 (K Bl 536): NGuinea v. 4. 3. 09 (KBl 719).
Die Aufgaben der Polizei liegen gegenüber
den Eingeborenen hauptsächlich auf dem Gebiete
der engeren Sicherheitspolizei. Vor
allem gilt es, namentlich im Innern der Kolonien,
behufs Wahrung des Landfriedens ihrer Neigung
zu Fehden und Unruhen entgegenzutreten. Häu-
fig erweisen sich zu diesem Zwecke Maßnahmen
militärischen Charakters als erforderlich (Streif-
züge, Strafexpeditionen usw.), bei
denen in erster Linie die Pol Truppen, im Be-
darfsfalle aber in den großen afrikanischen Sch G
auch die Schutztruppen Verwendung finden. Fer-
ner spielen Gesundheitspolizei und
Verkehrspolizei eine größere Rolle.
Gegenüber den Eingeb vrenen tritt die polizei-
liche somie die rechtssetzende und befehlend. Tätig-
leit der Behörden hinter der fürsorgenden
zurück, die insbesondere auf geistige und sittliche
Hebung der Eingeborenen, Verbesserung ihrer
Lebensbedingungen, u. a. auch durch Bekämpfung
der tropischen Volksseuchen (Schlafkrankheit usw.;
Krankheiten) sowie Stärkung ihrer Produktions-
fähigkeit und Konsumkraft gerichtet ist. Mit dem
Zwecke der Erziehung der Eingeborenen (durch
Nötigung zu gewinnbringender Beschäftigung)
dienen insbesondere auch die ihnen auferlegten
Steuern (Kopf= und Hüttensteuern, z. T. auch
Gewerbesteuern), durch welche gleichzeitig die
Verwaltung größere Mittel für Aufwendungen
im Interesse der Eingeborenen erhält. Die Steuer-
vorschriften sind meist ebenfalls als förmliche Ver-
ordnungen gemäß & 15 Schutzgeb G erlassen (z. B.
Gouv. V für Ostafrika v. 22. 3. 05, Kl 272 mit
späteren Ergänzungen, für Kamerun v. 22. 2. 13,
KBl 505; für NGuinea v. 18. 3. 07, KBl 708).
Fleischmann, Auslieferung und Nacheile, 1906;
Gerstmeyer, SchutzgebEG 1910, S 19 f. 206 f, 236;
v. Hoffmann, Einführung, 1911, S 91f ; Köbner,
in Enzyklopädie 1904, 2 S 1102; Frh. v. Stengel,
Rechtsverhältnisse, 1901, S 65, 109.
5* 12. Land= und Siedelungfrage. Der Land-
gesetzgebung fällt in den Sch G nicht nur die Auf-
gabe zu, Einrichtungen zu schaffen, um den Grund-
stücksverkehr zu sichern und die Befriedigung des
Kreditbedürfnisses der Grundbesitzer zu ermög-
lichen; sie hat darüber hinaus auch wichtige kolo-
nialpolitische Probleme zu lösen, die man unter
der Bezeichnung „Landfrage“" zusammenzu-
fassen pflegt. Die meisten kolonialen Unterneh-
mungen bedürfen zu ihrer Durchführung mehr
oder minder umfangreichen Grundbesitzes. Die-
sem Bedürfnis kommt der Umstand entgegen, daß
sich in den Kolonien gewaltige Flächen Landes
vorfinden, das herrenlos oder doch wenigstens
unbenutzt ist. Es fragt sich, wie dieses verfügbare
Land zweckmäßig auf die weiße Kolonistenbevölke-
rung zu verteilen ist, welche Rolle dabei der Staat
spielen soll und wie zwischen den privaten In-
teressen der Kolonisten und den öffentlichen, die
z. T. miteinander in Gegensatz treten, der richtige
Ausgleich zu finden ist. Dabei gilt es namentlich
auch, die finanziellen Interessen der K lonien
und die damit einhergehenden des Mutterlandes
genügend zu wahren. Es fragt sich ferner, welche
Stellung der Gesetzgeber den Rechten und An-
sprüchen der Eingeborenen gegenüber einnehmen
will, die vielfach sehr umfassend, aber auch sehr
unbestimmt sind. Zum Teil fehlen den Einge-
borenen in den afrikanischen und Südseekolonien
Rechtsbegriffe, die unserem Privateigentum ent-
sprechen. An dessen Stelle treten Rechte des
Stammes und der Sippe, während der einzelne
nur eine Art Nutzungsrecht an dem von ihm be.
sessenen Grund und Boden hat. Selbst der tat-
sächliche Besitzstand ist oft zweifelhaft und wech-
selnd. Häufig ist daher nur schwer zu entscheiden,
ob eine Landfläche herrenlos ist oder nicht, und
die Rechte und Ansprüche der Eingeborenen
treten zu den kolonisatorischen Interessen in
Gegensatz. Auch hier gilt es, aus humanitären wie
kolonialwirtschaftlichen Rucksichten einen ange-
messenen Ausgleich zu finden, um den Einge-
borenen die Möglichkeit des wirtschaftlichen Be-