424 Selbstverwaltung (A. Wesen der Selbstverwaltung — B. Selbstverwaltung in den Kolonien)
möglich ist, wenn der Staat einen homogenen
Verband in seinem Herrschaftsbereich findet und
ihn zu sich in jene Verbindung stellt. Ein solch
homogener Verband ist nur der Kommunalver=
band als Gebietskörperschaft. Selbst Verw kann
also nur zwischen Staat und Kommunalverbänden,
nicht zwischen Staat und anderen öffentlichrecht-
lichen Genossenschaften oder gar privaten Vereinen
(Lehre von L. v. Stein) bestehen.
II. Die Selbst Verw, wie sie als juristisches Insti-
tut im aktiven und passiven Verbande zutage tritt,
ist immer Staatsverwaltung. Der Gegen-
satz zwischen dem eigenen und übertragenen Wir-
kungskreis hat heute bei der Vielgestaltigkeit des
öffentlichen Lebens, insbesondere bei dem innigen
Verflochtensein von Kommunal= und Staatsin-
teressen keine praktische Bedeutung. Ist sonach
Selbst Verw Staatsverwaltung, so ist sie dennoch
von der berufsamtlichen Staatsverwaltung durch
ihre Rechtstechnik verschieden.
Insbesondere sind folgende Unterscheidungs-
merkmale aufrecht zu erhalten.
Die Staatsverwaltung durch Selbst Verw hat
nur eine Staatsaufsicht zur Kontrolle,
nicht aber eine Dienstaufsicht.
Den faktischen Unterschied hat das Oberverwaltungsge-
richt (21, 424) folgendermoßen geschildert: „Unter Straf-
androhung kann daher verlangt werden, daß über eine
Gemeindeangelegenheit überhaupt formell Beschluß gesaßt
wird, nicht aber auch, welcher materielle Inhalt dem zu
fassenden Beschluß zu geben sein möchte. Eibe Androhung
dieser Art würde den Gemeindemitgliedern die Pflicht-
widrigkeit zumuten, über die Gemeindeangelegenheiten
nicht nach ihrem eigenen pflichtschuldigen Ermessen, sondern
nach dem ihrer vorgesetzten Behörde zu beschließen. Zu-
widerhandlung gegen eine solche Anweisung stellt sich daher
als nichtstrafbarer Ungehorsam dar.“
Ein anderer Unterschied zwischen der Staats-
verwaltung durch Selbst Verw und der berufs-
amtlichen Staatsverwaltung liegt darin, daß nur
die erstere ihren Kompetenzkreis ausschließlich
durch Gesetz festgestellt sieht, bei der letzteren, d. i.
bei der berufsamtlichen Staatsverwaltung auch
eine Kompetenzverteilung durch Dienstinstruktion
möglich ist. Schließlich besteht bei dieser die Mög-
lichkeit des Eingriffsrechts des Vorgesetzten in die
Sphäre des Untergebenen, namentlich in dringen-
den Fällen. Ein solches Eingriffsrecht der Auf-
sichtsbehörde in die Rechtssphäre der Selbst Verw-
Behörden ist ausgeschlossen. Die Unterschiede gel-
ten sowohl für die aktive wie für die passive
Selbst Berw. Der Selbst BerwKörper hat
aber gegenüber der Staatsverwaltung noch ganz
andere Vorzüge der Rechtsstellung. Er hat ein
Recht auf Selbst Verw, d. h. auf Ausübung der
ihm zugewiesenen Verwéeschäfte. Dies Recht
wird durch verwaltungsgerichtliche Kontrolle ge-
schützt. Er hat ferner die Befugnis, durch Wahl
Gemeindeorgane zu bilden, welche keine Weifun-
gen von der Staatsaufsichtsinstanz entgegenzu-
nehmen haben, soferne es sich eben um Selbst-
Verweschäfte handelt. Er hat das Recht orts-
statutarischer Anordnungen, die er aus eigenem
Recht setzt. (& Autonomie; Gemeinde Band II,
S. 103.) Die berufsamtliche Staatsverwaltung
kennt Verordnungen, aber diese Verordnungen
werden nicht aus einem subjektiven Recht des Be.
amten oder der Behörde erlassen, sondern kraft ob-
jektiven Rechts. Sie sind Ausfluß ihrer Kompe.
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–. — — —
der Festgabe für Laband 2, 192 ff;
tenz und nicht Ausfluß eines subjektiven Rechts.
Schließlich hat der Selbst Verw Körper das Recht,
sein Vermögen selbst zu verwalten, damit auch
die Machtvollkommenheil der Feststellung seines
eigenen Gemeindehaushaltes und die Verwaltung
der ihm gemachten Stiftungen und der Kom-
munalanstalten.
Nicht immer kann aber die Rechtsordnung aktive
Selbst Verw Körper schaffen. Da bietet als Er-
gänzung des aktiven der passive Verband
Vorteile. Es ist dem Gesetzgeber ein Kommunal=
verband in die Hand gegeben, der nicht Korpora-
tion, aber auch nicht bloß staatlicher Verw Bezirk
ist, also ein Mittelglied zwischen beiden. Dort,
wo der Gesetzgeber mit dem Selbst Verw Körper,
dem aktiven Verbande, keine guten Erfahrungen
macht, oder dort, wo der Gesetzgeber das Kom-
munalleben nicht für reif genug hält, um den
Kommunalverband mit einer staatlichen Funktion
in Form des Rechts auf Selbst Verw zu betrauen,
da wird er den passiven Verband schaffen. (S.
darüber Hatschek, Selbst Verw, 134 ff und Verw-
Arch 9, 428 ff.)
Literatur: Laband Staatsrecht (Ausführungen
in den beiden ersten Auflagen); Laband im „RBechts-
geleerd Magaziin“ 1891, 147 ff; Zorn 1, 1090 ff; Hänek
1, 136 ff; O. Mayer 1, 127; 2, 372 ; Rosin, in An-
nalen 1883, 306 ff; Jellinek, System des subjektiven
öffentl. Rechts" 1905, S 290 ff und Allg. Staatslehre, 1005,
60# ff; Meyer = Anschütz 346 ff: P. Schoen, Das
Recht der Kommunalverbände in Preußen, 1897, 1 ff;
Gluth, Lehre von der Selbst Berw, Wien 1887; Blodig,
Selbst Verw als Rechtsbegriff, Wien 1894, 41: Hatschek,
Die Selbst Verw, 1808; Derselbe im Berwürch
9, 319 ff; Jacobs ebendort 13, 222 f; Preuß in
Fr. Fleiner,
Institutionen des deutschen Verwfechts J4 6f; Preuß
im HB f. Politik 1, 198 ff; v. Blume ebendort 1, 290 fl;
Slawitschek, Selbst Berw und Autonomie, 1910;
Witte (russ. Minister), Samoderschawie 1 Semstwo,
1908 (mit ausgezeichneten allgemeinen staatsrechtlichen Be-
trachtungen); Fölsche, Das Ehrenamt in Preußen und
im Reiche, 1911. J. Hatschek.
B. selbstverwaltung in den Nolonien
5 1. Allgemeiner Entwicklungsgang. # 2. Sübwestafrika.
6 3. Ostafrika. §& 4. Kamerun. 1 5. Samoa. 6. Kiautschou.
8 1. Allgemeiner Entwicklungsgang. Aus der
Eigenart der Erwerbung unsfrer überseeischen
Besitzungen, die wir privatem Untemehmungs-
geist verdanken, ergab sich anscheinend mit einer
gewissen Selbstverständlichkeit der Gedanke, nicht
nur die Erschließung, sondern auch die Verwal-
tung der Kolonien als kaufmännische Aufgabe zu
behandeln. Die Verwirklichung des Gedankens ist
nach britischen Vorbildern zwar versucht worden,
aber die Verhältnisse zwangen überall zu einer
Uebernahme der Verwaltung durch Organe der
Staatsgewalt. In den ersten Jahren kolonialen
Besitzes waren die Regierungs= und Verw Not-
wendigkeiten überwiegend militärischer Art. Die-
ser Umstand und die geringe Zahl der weißen
Ansiedler ließen anfänglich keinen Raum für die
Beteiligung der Bevölkerung an der Verwaltung
in den Schutzgebieten [CI. Mit fortschreitender