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1. Die geschlechtliche Ausschweifung an sich unter-
lag früher nach kirchlichem Vorbild me
polizeilichen Verfolgungen. Davon sind
tage nur noch übrig geblieben die ##
gegen das Konkubinat, welche die
gebung verschiedener Staaten gestattet.
Konkubinat ist ein fortgesetztes häusliches Zusam-
menleben in außerehelicher Geschlechtsgemein-
schaft, die „wilde“ Ehe. Auch gegen dieses will aber
das neuere Recht nur einschreiten lassen, wenn
dadurch zugleich ein öffentliches Aergernis ent-
steht und um dieses Aergernisses willen. In
mehreren Gesetzgebungen finden sich rechtssatz-
mäßige Strafandrohungen für das Konkubinat,
welche durch die Gerichte gehandhabt werden
(bayer. Pol St GB a 50 a, bad. PolSt GB + 72).
Mit dem Urteil verbindet sich dann kraft Gesetzes
für die Pol Behörde die Ermächtigung, die Tren-
nung der Beteiligten zu erzwingen. In Ländern,
in welchen ein solches Strafgesetz nicht besteht,
kann der Zwang unmittelbar zulässig sein. So
in Sachsen (G v. 8. 2. 34). In Preußen ent-
nimmt die Pol Behörde die nötige Ermächtigung
aus der mit Gesetzeskraft bekleideten Kab O v.
27. 10. 1810. Diese gilt aber nur für die alten
Provinzen und nur für die Fälle, wo für die
Beteiligten ein gesetzliches Ehehindernis besteht.
Nichtsdestoweniger werden die gleichen Zwangs-
maßregeln schlechthin überall angewendet, dann
wenigstens, wenn ein öffentliches Aergernis an-
genommen werden kann. Die Ermächtigung ent-
nimmt man dann aus dem allgemeinen Berufe
der Polizei, für die öffentliche Ordnung zu sor-
gen gemäß AL II, 17 51 10 (O G v. 10. 11. 77,
16. 3. 81). Die Trennung wird bewirkt mit den
gewöhnlichen Zwangsmitteln der Behörde: mit
Exekutivstrafen, äußersten Falles mit Gewaltan-
wendung. L[N Verwaltungszwangl.
2. Wichtiger und umfassender ist hier jene andere
Seite der sittenpolizeilichen Tätigkeit, die sich
richtet auf Verhinderung und Ueberwachung
solchen Verhaltens der Einzelnen, welches zugleich
anderen Gelegenheit und Anreiz zu geschlechtlicher
Ausschweifung zu geben geeignet ist. Als der
entscheidende Punkt, wo die Freiheit aufhört,
erscheint hier vor allem das Hervortreten des
Eigennutzes, der Gewinnsucht, des Strebens
nach Erwerb, das sich mit einem derartigen Ver-
halten verbindet.
Die Polizei über die gewerbsmäßige
Unzucht (Prostitution) ist durch St GB
361 Ziff. 6 mit gemeinrechtlichen Grundlagen
versehen.
Der Tatbestand der gewerbsmäßigen Unzucht
liegt vor bei einer Weibsperson, welche in einer
Mehrheit von Fällen gegen Entgelt sich preisgibt.
Das Gesetz bringt darauf die polizeiliche Form
des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt zur Anwen-
dung, freilich ohne es geradezu so zu nennen.
Die gewerbsmäßige Unzucht wird mit Strafe be-
droht, sofern die betreffende Person nicht einer
polizeilichen Aufsicht unterstellt ist. Die Stellung
unter Sittenaufsicht, welche von jenem Verbote ent-
bindet, ist eine Verfügung der Behörde, welche
dieser Wirkung nach der PolErlaubnis entspricht.
Sie ergeht auf Antrag der verfügungsfähigen
Person, aber nach freiem Ermessen. Sie kann bei
tatsächlichem gewerbsmäßigem Treiben auch ohne
Antragverhängt werdenz bei Minderjährigen pflegt
Sittenpolizei
der Versuch gemacht zu werden, durch Anordnung
der Fürsorgeerziehungl Moder vormundschaftliches
Einschreiten die Maßregel zu ersparen. Gegen die
Abweisung des Gesuches gibt es kein Rechtsmittel.
Gegen die Stellung unter Aufsicht, die von Amts
wegen erfolgt, pflegt ein solches nicht besonders
vorgesehen zu sein; doch können die allgemeinen
Rechtsmittel gegen volizeiliche Verfügungen I(NI
hier Platz greifen, insbesondere die Klage zum
O nach preuß. G v. 30. 7. 83 +( 127.
Die verhängte PolAufsicht begründet für die da-
von Betroffenen einen Zustand verminderter
Freiheit, ein Gewaltverhältnis, vermöge dessen
sie der Pol Behörde in allen Vorschriften zu ge-
horchen haben, welche von ihr „in dieser Hinsicht
zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen
Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassen
werden“ (St GB 361 Ziff. 6). Um Vorschriften
zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sittlichkeit
handelt es sich nicht mehr; denn diese ist durch
die erteilte Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Un-
zucht durchbrochen; es soll nur darüber hinaus-
gehenden Störungen vorgebeugt werden, die
mit diesem Treiben verbunden sind. Den Pro-
stituierten werden namentlich Vorschriften ge-
macht wegen Zeit und Ort ihres Gewerbebetriebs:
gewisse Straßen, gewisse Lokale werden ihnen
verboten, auffällige Tracht und aufdringliches Be-
nehmen haben sie zu vermeiden. Die Lage und
die Einrichtung ihrer Wohnungen wird ihnen be-
stimmt. Vor allem haben sie sich in regelmäßigen
Zeiträumen der amtsärztlichen Unter-
suchung zu stellen. Im Anschluß an das
Reichsseuchen G v. 30. 6. 00 hat die Landesge-
setzgebung auch zur Verhütung der Verbreitung
von Geschlechtskrankheiten neue Bestimmungen
getroffen, die den Prostituierten gegenüber ge-
gebenen Falles weitere Zwangsmaßregeln begrün-
den, insbesondere Unterbringung in ein geeigne-
tes Krankenhaus und Zurückhaltung daselbst bis zu
vollendeter Heilung. J Krankheiten, Bd. II 653 I.
Die Vorschriften, welche den Prostituierten
nach StGB # 361 Ziff. 6 gegeben werden, sind
keine Verordnungen im eigentlichen Sinn, ent-
halten keine Rechtssätze; ihre Kraft beruht lediglich
auf der besonderen Verbindlichkeit der Betroffenen,
wie die der Dienstanweisungen für die Beamten.
Sie werden zwar in Form fester Regeln ausge-
stellt, gleichmäßig zur Anwendung zu bringen
auf alle. Aber die Bekanntgabe erfolgt besonders
an jede der polizeilichen Aussicht Unterstellte, ge-
legentlich der Mitteilung dieser Maßregel oder —
bei Neuerungen — nachträglich. Veröffentlichung
ist nicht notwendig (C V v. 10. 11. 77; preußt.
Okr v. 21. 2. 77). Veröffentlichung wäre dem-
nach andererseits auch nicht genügend: sie wirkt
nicht in jener formalen Weise für alle einzelnen,
die es angeht, wie die Veröffentlichung des Ge-
setzes und der Verordnung.
Die Stellung unter Sittenaufsicht wirkt immer
nur für den Bezirk der Behörde, die sie verfügt
hat. Außerhalb dieses Bezirks ist die Prostituierte
an die ihr gegebenen besonderen Vorschriften
nicht gehalten, andererseits aber auch nicht befreit
von der allgemeinen Strafbarkeit gewerbsmäßiger
Unzucht.
Mit Einstellung des unzüchtigen Erwerbes ist
auch die sittenpolizeiliche Maßregel aufzuheben;
die Eheschließung der bisherigen Prostituierten be-