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Sitzungspolizei (Ungebühr)
diese als öffentliche oder als nicht-öffentliche Ver-
handlungen stattfinden. Die Handhabung der S.
wird von Wach zutreffend als Ausübung der Dis-
ziplinargewalt charakterisiert, die den mit der Lei-
tung der Verhandlungen betrauten Personen zur
Wahrung der Würde des Gerichts und eines geord-
neten Verfahrens gegenüber den bei der Ver-
handlung beteiligten Personen und etwaigen Zu-
hörern übertragen ist. Von einer Ausübung der
S. kann also nur in den Fällen die Rede sein, in
denen eine „Verhandlung“" mit, vor oder seitens
der Gerichtspersonen stattfindet, während die Be-
fugnis, eine ungebührliche Ausdrucksweise in den
für die Gerichte bestimmten Schriftsätzen
zu rügen und unter Umständen zu bestrafen,
nicht unter den Begriff der S. fällt. Hier greifen
vielmehr die Befugnisse Platz, die den Behörden
gegenüber einer außerhalb der Sitzung ver-
übten „Ungebühr“ zustehen (s. &§ 2 C). Dagegen
rechnet die herrschende Meinung das Einschreiten
gegen Handlungen, die begangen sind, während
das Gericht sich zur Beratung zurückgezogen
hat, mit Recht zur Ausübung der S., da die an die
öffentliche Verhandlung sich anschließende „Bera-
tung“ einen Bestandteil der Verhandlung bildet.
5#2. Bor den ordentlichen, den Gewerbe= und
Kaufmannsgerichten.
A. Die Handhabung der S. in den Verhand-
lungen vor den ordentlichen Zivil- und
Strafgerichten aller Instanzen ist für das ganze
Deutsche Reich einheitlich durch die S 177—185
GV und die tg8 8, 194 FG. geregelt.
1. In erster Linie hat der Vorsitzende
die Befugnis und Verpflichtung, die Ordnung
während der Verhandlung aufrecht zu erhal-
ten. Zwangs= oder Strafmittel stehen hier-
bei dem Vorsitzenden eines Kollegialgerichts
nicht zur Seite; dagegen kann er alle sonstigen,
ihm zur Aufrechterhaltung der Ordnung er-
forderlich und sachdienlich erscheinenden ange-
messenen Anordnungen treffen, z. B. Entziehung
des Worts (RE#t 4, 151); Erteilung einer Rüge,
auch gegenüber Anwälten (das. 8, 657); Aufhebung
der Sitzung (RG3 32, 390); streitig ist es da-
gegen, ob er einen förmlichen Ordnungsruf er-
teilen kann. Derartige Anordnungen kann der
Vorsitzende gegenüber jeder in der Sitzung an-
wesenden Person erlassen, also nicht bloß gegen-
über den Parteien, Peugen, Zuhörern, sondern
auch gegenüber den Rechtsanwälten und Staats-
anwälten (Rst 11, 135; ein Rügerecht
PMgenüber den Staatsanwälten dürfte aber dem
orsitzenden nicht zustehen).
2. Zwangs= und Strafmittel zur Aufrechterhal-
tung der Ordnung stehen bei den Kollegialgerichten
nur dem Gericht als solchem, nicht dessen Vor-
sitzendem zu Gebote, und zwar in folgender Weise:
a) Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige,
sowie bei der Verhandlung nicht beteiligte Per-
sonen, die sich gegenüber den zur Aufrechterhaltung
der Ordnung erlassenen Befehlen ungehorsam
erweisen, können aus dem Sitzungszimmer zwangs-
weise entfernt, zur Haft abgeführt und während
einer in dem Beschlusse zu bestimmenden Zeit von
höchstens 24 Stunden in Haft gehalten werden.
Gegen Militärpersonen (JI kann eine Haftstrafe
nur durch Ersuchen der Militärbehörde festgesetzt
und vollstreckt werden. Vgl. 4 50 Abs 4 StpO. —
b) Machen sich diese Personen einer Ungebühr
in der Sitzung schuldig, so kann gegen sie eine so-
fort zu vollstreckende Geldstrafe bis zu 100 Mk.
oder eine Haftstrafe bis zu 3 Tagen verhängt
werden; (bei Militärpersonen wie zu a). —o) Auf
Rechtsanwälte und Verteidiger fin-
den die unter a und b mitgeteilten Bestimmungen
keine Anwendung; sie können aber, wenn sie sich
einer Ungebühr in der Sitzung schuldig machen, zu
einer Geldstrafe bis zu 100 Mk. verurteilt werden. —
d) Der Staatsanwaltschaft gegenüber stehen dem
Gerichte Zwangs= oder Strafmittel nicht zu. —
Die Vollstreckung der verhängten
Zwangsmaßregeln oder Strafen. Eine Umwand-
lung der Geldstrafen in Freiheitsstrafen findet
nach der übereinstimmenden Praxis der Gerichte
nicht statt, während in der Rechtslehre überwie-
gend der gegenteilige Standpunkt vertreten wird;
ich halte die gerichtliche Praxis für richtig. —
k) Dem Einzelrichter (Amtsrichter, er-
suchten und beauftragten Richter) stehen die unter
a—e#i erwähnten Befugnisse nicht bloß in der
Sitzung, sondern auch außerhalb derselben bei der
Vornahme irgendwelcher Amtshandlungen (z. B.
Zeugenvernehmung, Augenscheinseinnahme usw.)
zu. — g) Ueber die unter a—c, e und fkerwähnten
Vorgänge ist, sofern es sich nicht lediglich um die
Entfernung einer bei der Verhandlung nicht
beteiligten Person handelt, ein entsprechender
Vermerk in das Protokoll aufzunehmen; fehlt
dieser, so ist auf Beschwerde der Beschluß aufzu-
heben. — h) Hat ein Landgericht oder ein Einzel-
richter die unter b und o (die unter a erwähnte
Anordnung ist auch in diesem Falle unanfechtbar)
erwähnten Strafen verhängt, so findet gegen die
Entscheidung binnen einer Woche nach deren Be-
kanntmachung die Beschwerdebei dem Oberlan-
desgericht statt; diese Beschwerde hat in dem unter
I60 erörterten Falle, sowie in allen Fällen, in denen
es sich um die Entscheidung eines Einzelrichters
handelt, aufschiebende Wirkung. Die Beschlüsse
der Oberlandesgerichte, nicht die eines Oberlandes-
erichtsrats als beauftragten Richters, sowie die
es Reichsgerichts sind unanfechtbar.
B. Gemäß # 38 Abs 3 GG und §& 16 Kö#
finden die vorstehend mitgeteilten Vorschriften der
## 177—185 GVG in dem Verfahren vor den
Gewerbe= und Kaufmannsgerichten sss]
entsprechende Anwendung.
C. Ungebühr außerhalb der Sit-
zung, insbesondere in schriftli-
chen Eingaben. Einverständnis herrscht jetzt
darüber, daß die I# 177 f GV auf ein unge-
bührliches Verhalten außerhalb der Sitzung,
insbesondere in schriftlichen Eingaben, keine An-
wendung finden, so daß kraft Reichsrechts
ein derartiges Verhalten einem Ordnungsstraf-
recht der Gerichte nicht unterliegt. Dagegen ist es
lebhaft bestritten und zweifelhaft, ob auch die
landesrechtlichen Vorschriften über die
Ungebühr in Schriftsätzen durch das Reichsrecht
aufgehoben oder noch jetzt in Geltung sind. Vom
OLe# Hamburg wird die Gültigkeit der landes-
rechtlichen Vorschriften in ständiger Rechtspre-
chung bejaht (vgl. neueste Entsch v. 17. (7.9) 2. 10
im Recht 1910 Sp. 278; DJZ 1910 Sp. 682 ffj;
vom OLG Celle (KG 8, 256) und Jena (DJ3
1904 Sp. 112, 208) dagegen verneint. Das
RSt (28. 12. 83; Bd. 9, 357) hat sich für die
Fortgeltung der Vorschriften der §§ 30, 31 preuß.