Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

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Staat und Staatswissenschaften 
  
führt, daß die Lehre vom St. Zweckn die Politik (Fl 
ehöre und daß es dem höchsten Willen im St. 
Kast seiner Souveränetät zukomme, nicht nur 
über die Mittel zur Verfolgung, sondern auch 
über Gegenstand und Richtung des St. Zweckes 
zu bestimmen. Auch lasse sich der St.Zweck in einer 
Begriffsbestimmung nicht leicht erschöpfend und 
einwandfrei formulieren und könnte deshalb kaum 
mehr als eine nichtssagende Formel gegeben wer- 
den. Ich erachte diese Gründe nicht für stichhaltig 
und zutreffend. 
Richtig ist nur, daß es nicht Aufgabe der Be- 
nee des St. Begriffes ist, den St. Zweck er- 
chöpfend zu erörtern. Diese Erörterung gehört 
in der Tat in die Politik. Auch ist richtig, daß 
erfahrungsgemäß der St. seine Aufgabe im ein- 
elnen in wechselnden Zielen sucht. Bald muß er 
ich auf die nackte Sicherheit beschränken, bald 
wendet er der Rechtsetzung und Rechtspflege be- 
sondere Aufmerksamkeit zu, dann wieder greift er 
ordnend, belebend und fördernd in das wirtschaft- 
liche Leben ein und zu Zeiten setzt er sich Kultur- 
aufgaben. Die Bestimmung der Richtung seiner 
Machtentfaltung ist in der Tat eine Funktion der 
Herrschaft, aber doch nicht ohne eine ganz be- 
stimmte Schranke. Zweck des St. ist nicht die 
Förderung der Interessen der Person des Herr- 
schers allein oder der Untertanen allein oder nur 
bestimmter Klassen und Gruppen, sondern Ziel 
des St. ist das Gemeinwohl. Mag dieses Ge- 
meinwohl auch in den verschiedenartigsten In- 
teressenformen, als Größe, Sicherheit, Gerechtig- 
keit, Wohlstand, Bildung usw. in Erscheinung 
treten, mag zu Zeiten die Richtung nach den Um- 
ständen wechseln, immer ist doch der St. als der 
Verband Aller nur möglich als bewegt nach dem 
Gesamtinteresse. Das Recht als Form der Zweck- 
mäßigkeit konnte dem St. seine Hilfe nur leihen, 
es konnte die Herrschaft als das Recht des Herr- 
schers mit der umfassenden Rechtsvollmacht des 
Zwanges nur ausstatten, wenn damit auch die 
Richtung des St. Zweckes bindend festgelegt wurde. 
Damit ist nicht gesagt, daß der St. nur Rechts- 
zwecke verfolgen könne, aber es ist gesagt, daß das 
Recht den St. und die Herrschaft nur mit der 
Auflage der Zweckmäßigkeit seines Tuns aner- 
kennt. Einem zwecklosen oder nur dem Herrscher 
oder Klassen oder Gruppen dienenden St. fehlt 
die Rechtfertigung des besonderen Verhältnisses 
von Herrschaft und Untertanschaft und damit der 
innerste Grund seines Daseins. Er ist rechtlos 
und bestandunfähig. 
In die Bestimmung des St. Begriffes muß des- 
halb die Formel seines Zweckes ausgenommen 
werden. Sie läßt sich verschieden fassen, stets aber 
muß sie ausdrücken, was nicht St. Zweck sein darf. 
Gewalt um eines nur durch Gewalt selbst zu be- 
stimmenden Zweckes willen ist Willkür, Unrecht 
und die Opfer nicht wert, die sie fordert. 
§ 2. Die Staatsfunktionen. Erst durch Eröff- 
nung der Richtung auf einen Zweck wird der St. 
tätig. Tat ist sein Prinzip. Seine Tat ist nicht 
nur und nicht einmal in erster Linie eine nach den 
Normen des Rechtes, sondern sie ist vor allem 
eine durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit be- 
stimmte. Rechtmäßig muß alles sein, was im 
Namen des St. geschieht. Nicht alles aber ist ge- 
regelt oder regelbar, was er rechtmäßig tut. 
Immerhin gilt das von einem großen Teil des 
  
  
  
  
staatlichen Lebens. Die Funktionen des St. 
ruppieren sich zum Teil nach dem verfolgten 
weck, zum Teil nach formalen Gesichtspunkten. 
I. Obenan steht die Aufgabe, für das Zusammen- 
leben Normen zu setzen. Die oberste Funktion der 
Herrschaft, die Gesetzgebung lII, erstreckt 
sich außer auf die Ordnung der Herrschaft selbst 
auf alle Gebiete des der rechtlichen Ordnung 
fühigen Lebens. Sie umspannt die ganze Welt 
es äußeren Hanbelns. Der inneren Welt des 
Glaubens steht der St. zwar keineswegs gleich- 
gültig gegenüber, aber er beobachtet ihr gegenüber 
im allgemeinen eine Zurückhaltung, in welcher 
sich die Anerkennung der Unerzwingbarkeit einer 
bestimmten religiösen Ueberzeugung ausdrückt. 
Die Norm des religiösen Lebens ist der Gesetz- 
gebung des St. ebenso natürlich entzogen wie die 
egeln des menschlichen Denkens und der wissen- 
schaftlichen Forschung ( Gewissensfreiheit). So- 
weit jedoch Erziehung und Unterricht als Auf- 
aben des St. in Betracht kommen, reicht auch 
eine Macht, die zugehörige Ordnung zu setzen. 
Das Gesetz empfängt in dem ihm vorbehaltenen 
Bereich der Welt des zußeren Handelns seine 
zwingende Kraft ausschließlich aus der Gewalt 
des St., aber nicht aus irgend einer mystischen, 
etwa hinter oder über dem St. waltenden Macht, 
sondern nur aus der in der verfassungsmäßigen 
Herrschaft des konkreten St. wirksamen, recht- 
setzenden Gewalt. Die Grundsätze der Verfassung 
kehren daher in jedem Gesetze wieder. Es beruht 
auch jedes Gesetz auf bestimmten allgemein staats- 
rechtlichen Voraussetzungen. Die oberste unter 
diesen Voraussetzungen ist die Rechtmäßigkeit der 
Herrschaft selbst. Dazu kommt, daß das Gesetz 
zwar kein Vertrag ist, daß es auch nicht in der 
Form als solcher zustande kommt, daß aber durch 
das Gesetz nicht nur der Untertan gebunden wird, 
vielmehr auch der Herrscher eine Selbstbindung 
eingeht, aus der er sich nur wieder durch Gesetz 
lösen kann, und daß der durch das Gesetz gebun- 
dene Untertanwille ein rechtsfähiger persönlicher 
Menschenwille ist. Die allgemeine Gehorsams- 
pflicht gegenüber einem verfassungsmäßigen Ge- 
setz ist nicht diejenige eines leibeigenen Nicht- 
willens, sondern diejenige eines rechtsfähigen 
Personenwillens. 
Der Weg der Gesetzgebung kann ein sehr ver- 
schiedener sein, niemals aber ein solcher, daß der 
Herrscher davon ausgeschlossen wäre. Eine Ver- 
fassung, welche über den Sitz der Herrschaft keine 
ausdrückliche Bestimmung gibt, teilt durch ihr 
Schweigen die Herrschaft demjenigen zu, dem sie 
die Gesetzgebung zuweist. Eine Verfassung, welche 
die Gesetzgebung dem Einen, die Herrschaft aber 
einem Anderen zuweist, begeht damit einen 
Widerspruch; sie setzt den Herrscher ein, indem sie 
ihn absetzt. 
Ein solcher Widerspruch liegt aber dann nicht 
vor, wenn die Verfassung an der Herstellung des 
Gesetzes anderen Organen außer dem Herrscher 
eine bestimmt zugemessene Mitwirkung einräumt. 
Diese Mitwirkung kann in bloßem Beirat oder in 
einem Antragsrechte, sie kann aber auch in der 
Zustimmung zum Inhalte des Gesetzes oder zur 
Erteilung des Gesetzesbefehles bestehen. 
II. Neben der Gesetzgebung entfaltet die Herr- 
schaft ihren St. Willen in der Rechtspflege 
und in der Verwaltung II#I. Eine Teilung 
 
	        
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