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Staat und Staatswissenschaften
führt, daß die Lehre vom St. Zweckn die Politik (Fl
ehöre und daß es dem höchsten Willen im St.
Kast seiner Souveränetät zukomme, nicht nur
über die Mittel zur Verfolgung, sondern auch
über Gegenstand und Richtung des St. Zweckes
zu bestimmen. Auch lasse sich der St.Zweck in einer
Begriffsbestimmung nicht leicht erschöpfend und
einwandfrei formulieren und könnte deshalb kaum
mehr als eine nichtssagende Formel gegeben wer-
den. Ich erachte diese Gründe nicht für stichhaltig
und zutreffend.
Richtig ist nur, daß es nicht Aufgabe der Be-
nee des St. Begriffes ist, den St. Zweck er-
chöpfend zu erörtern. Diese Erörterung gehört
in der Tat in die Politik. Auch ist richtig, daß
erfahrungsgemäß der St. seine Aufgabe im ein-
elnen in wechselnden Zielen sucht. Bald muß er
ich auf die nackte Sicherheit beschränken, bald
wendet er der Rechtsetzung und Rechtspflege be-
sondere Aufmerksamkeit zu, dann wieder greift er
ordnend, belebend und fördernd in das wirtschaft-
liche Leben ein und zu Zeiten setzt er sich Kultur-
aufgaben. Die Bestimmung der Richtung seiner
Machtentfaltung ist in der Tat eine Funktion der
Herrschaft, aber doch nicht ohne eine ganz be-
stimmte Schranke. Zweck des St. ist nicht die
Förderung der Interessen der Person des Herr-
schers allein oder der Untertanen allein oder nur
bestimmter Klassen und Gruppen, sondern Ziel
des St. ist das Gemeinwohl. Mag dieses Ge-
meinwohl auch in den verschiedenartigsten In-
teressenformen, als Größe, Sicherheit, Gerechtig-
keit, Wohlstand, Bildung usw. in Erscheinung
treten, mag zu Zeiten die Richtung nach den Um-
ständen wechseln, immer ist doch der St. als der
Verband Aller nur möglich als bewegt nach dem
Gesamtinteresse. Das Recht als Form der Zweck-
mäßigkeit konnte dem St. seine Hilfe nur leihen,
es konnte die Herrschaft als das Recht des Herr-
schers mit der umfassenden Rechtsvollmacht des
Zwanges nur ausstatten, wenn damit auch die
Richtung des St. Zweckes bindend festgelegt wurde.
Damit ist nicht gesagt, daß der St. nur Rechts-
zwecke verfolgen könne, aber es ist gesagt, daß das
Recht den St. und die Herrschaft nur mit der
Auflage der Zweckmäßigkeit seines Tuns aner-
kennt. Einem zwecklosen oder nur dem Herrscher
oder Klassen oder Gruppen dienenden St. fehlt
die Rechtfertigung des besonderen Verhältnisses
von Herrschaft und Untertanschaft und damit der
innerste Grund seines Daseins. Er ist rechtlos
und bestandunfähig.
In die Bestimmung des St. Begriffes muß des-
halb die Formel seines Zweckes ausgenommen
werden. Sie läßt sich verschieden fassen, stets aber
muß sie ausdrücken, was nicht St. Zweck sein darf.
Gewalt um eines nur durch Gewalt selbst zu be-
stimmenden Zweckes willen ist Willkür, Unrecht
und die Opfer nicht wert, die sie fordert.
§ 2. Die Staatsfunktionen. Erst durch Eröff-
nung der Richtung auf einen Zweck wird der St.
tätig. Tat ist sein Prinzip. Seine Tat ist nicht
nur und nicht einmal in erster Linie eine nach den
Normen des Rechtes, sondern sie ist vor allem
eine durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit be-
stimmte. Rechtmäßig muß alles sein, was im
Namen des St. geschieht. Nicht alles aber ist ge-
regelt oder regelbar, was er rechtmäßig tut.
Immerhin gilt das von einem großen Teil des
staatlichen Lebens. Die Funktionen des St.
ruppieren sich zum Teil nach dem verfolgten
weck, zum Teil nach formalen Gesichtspunkten.
I. Obenan steht die Aufgabe, für das Zusammen-
leben Normen zu setzen. Die oberste Funktion der
Herrschaft, die Gesetzgebung lII, erstreckt
sich außer auf die Ordnung der Herrschaft selbst
auf alle Gebiete des der rechtlichen Ordnung
fühigen Lebens. Sie umspannt die ganze Welt
es äußeren Hanbelns. Der inneren Welt des
Glaubens steht der St. zwar keineswegs gleich-
gültig gegenüber, aber er beobachtet ihr gegenüber
im allgemeinen eine Zurückhaltung, in welcher
sich die Anerkennung der Unerzwingbarkeit einer
bestimmten religiösen Ueberzeugung ausdrückt.
Die Norm des religiösen Lebens ist der Gesetz-
gebung des St. ebenso natürlich entzogen wie die
egeln des menschlichen Denkens und der wissen-
schaftlichen Forschung ( Gewissensfreiheit). So-
weit jedoch Erziehung und Unterricht als Auf-
aben des St. in Betracht kommen, reicht auch
eine Macht, die zugehörige Ordnung zu setzen.
Das Gesetz empfängt in dem ihm vorbehaltenen
Bereich der Welt des zußeren Handelns seine
zwingende Kraft ausschließlich aus der Gewalt
des St., aber nicht aus irgend einer mystischen,
etwa hinter oder über dem St. waltenden Macht,
sondern nur aus der in der verfassungsmäßigen
Herrschaft des konkreten St. wirksamen, recht-
setzenden Gewalt. Die Grundsätze der Verfassung
kehren daher in jedem Gesetze wieder. Es beruht
auch jedes Gesetz auf bestimmten allgemein staats-
rechtlichen Voraussetzungen. Die oberste unter
diesen Voraussetzungen ist die Rechtmäßigkeit der
Herrschaft selbst. Dazu kommt, daß das Gesetz
zwar kein Vertrag ist, daß es auch nicht in der
Form als solcher zustande kommt, daß aber durch
das Gesetz nicht nur der Untertan gebunden wird,
vielmehr auch der Herrscher eine Selbstbindung
eingeht, aus der er sich nur wieder durch Gesetz
lösen kann, und daß der durch das Gesetz gebun-
dene Untertanwille ein rechtsfähiger persönlicher
Menschenwille ist. Die allgemeine Gehorsams-
pflicht gegenüber einem verfassungsmäßigen Ge-
setz ist nicht diejenige eines leibeigenen Nicht-
willens, sondern diejenige eines rechtsfähigen
Personenwillens.
Der Weg der Gesetzgebung kann ein sehr ver-
schiedener sein, niemals aber ein solcher, daß der
Herrscher davon ausgeschlossen wäre. Eine Ver-
fassung, welche über den Sitz der Herrschaft keine
ausdrückliche Bestimmung gibt, teilt durch ihr
Schweigen die Herrschaft demjenigen zu, dem sie
die Gesetzgebung zuweist. Eine Verfassung, welche
die Gesetzgebung dem Einen, die Herrschaft aber
einem Anderen zuweist, begeht damit einen
Widerspruch; sie setzt den Herrscher ein, indem sie
ihn absetzt.
Ein solcher Widerspruch liegt aber dann nicht
vor, wenn die Verfassung an der Herstellung des
Gesetzes anderen Organen außer dem Herrscher
eine bestimmt zugemessene Mitwirkung einräumt.
Diese Mitwirkung kann in bloßem Beirat oder in
einem Antragsrechte, sie kann aber auch in der
Zustimmung zum Inhalte des Gesetzes oder zur
Erteilung des Gesetzesbefehles bestehen.
II. Neben der Gesetzgebung entfaltet die Herr-
schaft ihren St. Willen in der Rechtspflege
und in der Verwaltung II#I. Eine Teilung