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Staatsfinanzen
2. Die schwebenden Schulden bestehen
aus nur für kürzere Zeiträume zur Verstärkung
der Betriebsmittel der Staatskasse, Deckung klei-
nerer Ausfälle in den Einnahmen, zur Aufrecht-
erhaltung der Ordnung im Staatshaushalt ge-
machten Anlehen. Sie sollen in der Regel nur
dann ausgenommen werden, wenn erwartet wer-
den kann, daß sie vor Ablauf der betreffenden
Finanzperiode in später eingehenden Einnahmen
wieder Deckung finden. Sie stellen also gewisser-
maßen eine Antizipierung von noch zu erwar-
tenden Einnahmen dar. Die wichtigste
Form der schwebenden Schuld ist die der Schatz-
anweisungen (II.
Den schwebenden Schulden pflegt man auch
zuzurechnen das Staatspapiergeld, das
aber im Deutschen Reiche gegenwärtig keine große
Rolle mehr spielt. Im Reiche gehören hierher nur
noch die 120 Mill. Reichskassenscheine,
die nach G v. 3. 7. 13 um weitere 120 Mill. ver-
mehrt werden sollen. Im Kriege die sog. Dar-
lehenskassenscheine (Schwarz, „Oef-
sentl. Kredite“ im HB der Politik 143).
II. Schuldarten, die in Deutsch-
land nicht mehr üblich sind.
Der Begriff der sog. Zwangsanleihen hat
für deutsche Verhältnisse gegenwärtig keine prak-
tische Bedeutung mehr, da solche seit Anfang des 19.
Jahrhunderts hier nicht mehr vorgekommen sind u).
Die Einteilung der Anleihen in äußere und
innere hat gegenwärtig für Deutschland eben-
falls fast keine Bedeutung mehr. Nur im Jahre
1900 und neuerdings wieder 1911 wurden Reichs-
schatzanweisungen bei New Vorker Häusern
vorübergehend untergebracht. Im Jahre 1913
hat auch Bayern Schatzscheine in London be-
geben. Die Regel ist aber, daß deutsche Anleihen
nur im Inland aufgelegt werden. Nicht damit
zu verwechseln ist eine etwaige Einführung innerer
Anleihen an ausländischen Börsenplätzen, wie
dies z. B. hinsichtlich deutscher (3%) Reichsan-
leihen 1894 an der Londoner Börse geschehen ist.
Man unterscheidet ferner Anleihen, für welche
besondere Sicherheiten, Einkünfte bestellt
sind und solche, für welche lediglich der Staats-
kredit haftet. Anleihen ersterer Art (die früher
allgemein üblich waren, daher: „fundierte Schuld“)
waren die alten preußischen St. Scheine von 1820,
für welche die Staatsdomänen und Forsten und
deren Revennen hafteten (V v. 17. 1. 1820).
Seit 1900 sind diese Titres alle getilgt. Gegen-
wärtig ist die Radizierung der Schulden nur noch
in Staaten mit schwachem Kredit üblich. Die
preußischen Konsols sind daher nicht mehr auf
einzelne Arten von Staatseinkünften radiziert.
Namentlich sind für die zu Eisenbahnzwecken auf-
genommenen Schulden Preußens nicht etwa die
Eisenbahnen und deren Einkünfte besonders ver-
haftet.
III. Garantieverträge. Den Anleihen
stehen hinsichtlich der Genehmigungspflicht durch
!) Ueber den Staatsbankerott vgl. Meili.
Der Staatsbankerott und die moderne Rechtswissenschaft,
1895; Pflug, Staatobankerott und internationales Recht,
18p#8; Collas, Der Staatsbankerott und seine Abwick.
lung, 1904. — Wegen einer internationalen Fi-
nanzkon trolle 7* Verwaltungegemeinschaften 1 3
II 2. (D. H.)
–— .--l#e—
RT und Landtag gleich die soge Garantie-
verträge zu Lasten von Reich und Staat
(a 73 RV, a 103 Pr. Verf). Die Uebernahme
einer Bürgschaft für eine Anleihe seitens des
Reichs ist 2 mal erfolgt (G v. 11. ö. 68 und 14. 11.
86). IReichsvermögen & 10, oben S. 285.1
Ueber die preuß. Garantieverträge s. Schwarz
und Strutz Bd. III, S 44. (Auch O. Schwarz
im HB der Politik, S 149, 164.)
## 3. Aufnahme und Begebung der Auleihen.
Die Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme
einer Staatsanleihe bewegt sich in den For-
men der Gesetzgebung (s. 56). Die Aufnahme selbst
vollzieht auf Grund der Ermächtigung der Organe-
der Gesetzgebung die Finanzverwaltung [JI, dabei
läßt der Gesetzgeber dem Finanzchef meist hinsicht-
lich der Festsetzung des jeweilig auszugebenden
Betrags, des Zinsfußes und der sonstigen Bedin-
gungen der Kündigung, der Emissionshöhe usw.
freie Hand. Die Begebung (Emission) erfolgt
entweder durch Zwischenhändler (Bankhäuser und
Konsortien, z. B. das „Preußenkonsortium“) oder
durch unmittelbaren Verkauf der Schuldverschrei-
bungen an das Publikum. Im ersteren, in Deutsch-
land dem Regel-Falle, eröffnet der Staat eine
Submission und ruft eine Konkurrenz unter den
Vermittlern hervor. Häufig kommt die Finanz-
verwaltung auf diesem Wege sogleich in den Besitz
der ganzen Anleihesummc, indem die Zwischen-
händler sie vorschießen. Bei dem zweiten Systeme
sind mehrere Methoden üblich: die nur bei sehr
günstigen Marktverhältnissen mögliche öffentliche.
Substription (Volksanleihen), und — bei kleineren
Anleihen — der Verkauf von Schuldverschreibun-
gen durch Agenten oder Bankinstitute zu laufendem
Kurse an der Börsec. (Näheres bei Schwarz, „Die
öffentlichen Kredite“ S 157 ff.)
Die Rechtsverhältnisse, die zwischen dem Staate
Uund dem Eigentümer seiner Schuldtitel ent-
stehen, gestalten sich nach der Art der Anleihen ver-
schieden. Die Modalitäten der Darlehns= und Ren-
tenkaufverträge sind gesetzlich in dem allgemeinen
Rechte über Staatsanleihen oder in besonderen
Verordnungen für einzelne Anlehen fixiert. Im
übrigen ist das Rechtsverhältnis zwischen dem
Staate und seinen Gläubigern ein privatrechtliches.
(Näheres bei Freund, Die Rechtsverhältnisse bei
öffentl. Anleihen, 1907.)
s 4. Verzinsung. Von besonderer Wichtig-
keit unter den Schuldvertragsbedingungen sind die
Zins= (und — &5 — Tilgungs-)verpflichtungen.
Der Zinsbetrag wird meist in einem festen Pro-
zentsatz ausgedrückt. Neuerdings ist nach eng-
lischen und italienischen Vorgängen im Reiche und
Preußen einige Male — mit nicht besonderem Er-
folge — das sog. System der gleitenden Skala
gewählt worden, nach welchem der Zinsfuß sich
nach einer bestimmten Reihe von Jahren gleitend
ermäßigt (z. B. 4, 3¾, 3 100).
Von großer Bedeutung ist bei einer Neu-
emission die Frage, ob ein verhältnismäßig höherer
oder niederer Zinsfuß gewählt werden soll. So
haben wir in Deutschland gegenwärtig Reichs-
und Staatsanleihen zu 4, 3½ oder 300. Die Kurs-
höhe ist eine entsprechend verschiedene und wech-
selnde. Der Vorteil der Ausgabe höher verzins-
licher Staatspapiere liegt darin, daß der Staat
zunächst einen dem Nominalbetrag der Schuld
nahekommenden Kapitalbetrag erhält und dem