Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
  
476 
Staatsfinanzen 
  
2. Die schwebenden Schulden bestehen 
aus nur für kürzere Zeiträume zur Verstärkung 
der Betriebsmittel der Staatskasse, Deckung klei- 
nerer Ausfälle in den Einnahmen, zur Aufrecht- 
erhaltung der Ordnung im Staatshaushalt ge- 
machten Anlehen. Sie sollen in der Regel nur 
dann ausgenommen werden, wenn erwartet wer- 
den kann, daß sie vor Ablauf der betreffenden 
Finanzperiode in später eingehenden Einnahmen 
wieder Deckung finden. Sie stellen also gewisser- 
maßen eine Antizipierung von noch zu erwar- 
tenden Einnahmen dar. Die wichtigste 
Form der schwebenden Schuld ist die der Schatz- 
anweisungen (II. 
Den schwebenden Schulden pflegt man auch 
zuzurechnen das Staatspapiergeld, das 
aber im Deutschen Reiche gegenwärtig keine große 
Rolle mehr spielt. Im Reiche gehören hierher nur 
noch die 120 Mill. Reichskassenscheine, 
die nach G v. 3. 7. 13 um weitere 120 Mill. ver- 
mehrt werden sollen. Im Kriege die sog. Dar- 
lehenskassenscheine (Schwarz, „Oef- 
sentl. Kredite“ im HB der Politik 143). 
II. Schuldarten, die in Deutsch- 
land nicht mehr üblich sind. 
Der Begriff der sog. Zwangsanleihen hat 
für deutsche Verhältnisse gegenwärtig keine prak- 
tische Bedeutung mehr, da solche seit Anfang des 19. 
Jahrhunderts hier nicht mehr vorgekommen sind u). 
Die Einteilung der Anleihen in äußere und 
innere hat gegenwärtig für Deutschland eben- 
falls fast keine Bedeutung mehr. Nur im Jahre 
1900 und neuerdings wieder 1911 wurden Reichs- 
schatzanweisungen bei New Vorker Häusern 
vorübergehend untergebracht. Im Jahre 1913 
hat auch Bayern Schatzscheine in London be- 
geben. Die Regel ist aber, daß deutsche Anleihen 
nur im Inland aufgelegt werden. Nicht damit 
zu verwechseln ist eine etwaige Einführung innerer 
Anleihen an ausländischen Börsenplätzen, wie 
dies z. B. hinsichtlich deutscher (3%) Reichsan- 
leihen 1894 an der Londoner Börse geschehen ist. 
Man unterscheidet ferner Anleihen, für welche 
besondere Sicherheiten, Einkünfte bestellt 
sind und solche, für welche lediglich der Staats- 
kredit haftet. Anleihen ersterer Art (die früher 
allgemein üblich waren, daher: „fundierte Schuld“) 
waren die alten preußischen St. Scheine von 1820, 
für welche die Staatsdomänen und Forsten und 
deren Revennen hafteten (V v. 17. 1. 1820). 
Seit 1900 sind diese Titres alle getilgt. Gegen- 
wärtig ist die Radizierung der Schulden nur noch 
in Staaten mit schwachem Kredit üblich. Die 
preußischen Konsols sind daher nicht mehr auf 
einzelne Arten von Staatseinkünften radiziert. 
Namentlich sind für die zu Eisenbahnzwecken auf- 
genommenen Schulden Preußens nicht etwa die 
Eisenbahnen und deren Einkünfte besonders ver- 
haftet. 
III. Garantieverträge. Den Anleihen 
stehen hinsichtlich der Genehmigungspflicht durch 
!) Ueber den Staatsbankerott vgl. Meili. 
Der Staatsbankerott und die moderne Rechtswissenschaft, 
1895; Pflug, Staatobankerott und internationales Recht, 
18p#8; Collas, Der Staatsbankerott und seine Abwick. 
lung, 1904. — Wegen einer internationalen Fi- 
nanzkon trolle 7* Verwaltungegemeinschaften 1 3 
II 2. (D. H.) 
  
–— .--l#e— 
RT und Landtag gleich die soge Garantie- 
verträge zu Lasten von Reich und Staat 
(a 73 RV, a 103 Pr. Verf). Die Uebernahme 
einer Bürgschaft für eine Anleihe seitens des 
Reichs ist 2 mal erfolgt (G v. 11. ö. 68 und 14. 11. 
86). IReichsvermögen & 10, oben S. 285.1 
Ueber die preuß. Garantieverträge s. Schwarz 
und Strutz Bd. III, S 44. (Auch O. Schwarz 
im HB der Politik, S 149, 164.) 
## 3. Aufnahme und Begebung der Auleihen. 
Die Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme 
einer Staatsanleihe bewegt sich in den For- 
men der Gesetzgebung (s. 56). Die Aufnahme selbst 
vollzieht auf Grund der Ermächtigung der Organe- 
der Gesetzgebung die Finanzverwaltung [JI, dabei 
läßt der Gesetzgeber dem Finanzchef meist hinsicht- 
lich der Festsetzung des jeweilig auszugebenden 
Betrags, des Zinsfußes und der sonstigen Bedin- 
gungen der Kündigung, der Emissionshöhe usw. 
freie Hand. Die Begebung (Emission) erfolgt 
entweder durch Zwischenhändler (Bankhäuser und 
Konsortien, z. B. das „Preußenkonsortium“) oder 
durch unmittelbaren Verkauf der Schuldverschrei- 
bungen an das Publikum. Im ersteren, in Deutsch- 
land dem Regel-Falle, eröffnet der Staat eine 
Submission und ruft eine Konkurrenz unter den 
Vermittlern hervor. Häufig kommt die Finanz- 
verwaltung auf diesem Wege sogleich in den Besitz 
der ganzen Anleihesummc, indem die Zwischen- 
händler sie vorschießen. Bei dem zweiten Systeme 
sind mehrere Methoden üblich: die nur bei sehr 
günstigen Marktverhältnissen mögliche öffentliche. 
Substription (Volksanleihen), und — bei kleineren 
Anleihen — der Verkauf von Schuldverschreibun- 
gen durch Agenten oder Bankinstitute zu laufendem 
Kurse an der Börsec. (Näheres bei Schwarz, „Die 
öffentlichen Kredite“ S 157 ff.) 
Die Rechtsverhältnisse, die zwischen dem Staate 
Uund dem Eigentümer seiner Schuldtitel ent- 
stehen, gestalten sich nach der Art der Anleihen ver- 
schieden. Die Modalitäten der Darlehns= und Ren- 
tenkaufverträge sind gesetzlich in dem allgemeinen 
Rechte über Staatsanleihen oder in besonderen 
Verordnungen für einzelne Anlehen fixiert. Im 
übrigen ist das Rechtsverhältnis zwischen dem 
Staate und seinen Gläubigern ein privatrechtliches. 
(Näheres bei Freund, Die Rechtsverhältnisse bei 
öffentl. Anleihen, 1907.) 
s 4. Verzinsung. Von besonderer Wichtig- 
keit unter den Schuldvertragsbedingungen sind die 
Zins= (und — &5 — Tilgungs-)verpflichtungen. 
Der Zinsbetrag wird meist in einem festen Pro- 
zentsatz ausgedrückt. Neuerdings ist nach eng- 
lischen und italienischen Vorgängen im Reiche und 
Preußen einige Male — mit nicht besonderem Er- 
folge — das sog. System der gleitenden Skala 
gewählt worden, nach welchem der Zinsfuß sich 
nach einer bestimmten Reihe von Jahren gleitend 
ermäßigt (z. B. 4, 3¾, 3 100). 
Von großer Bedeutung ist bei einer Neu- 
emission die Frage, ob ein verhältnismäßig höherer 
oder niederer Zinsfuß gewählt werden soll. So 
  
haben wir in Deutschland gegenwärtig Reichs- 
und Staatsanleihen zu 4, 3½ oder 300. Die Kurs- 
höhe ist eine entsprechend verschiedene und wech- 
selnde. Der Vorteil der Ausgabe höher verzins- 
licher Staatspapiere liegt darin, daß der Staat 
zunächst einen dem Nominalbetrag der Schuld 
nahekommenden Kapitalbetrag erhält und dem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.