Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Staatsfinanzen (II. Staatsschulden) 
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Staate zugleich — soweit er nicht nach den Anleihe- 
bedingungen für einen gewissen Zeitraum aus- 
drücklich darauf verzichtet — die Möglichkeit ver- 
bleibt, späterhin bei günstigeren Marktverhält- 
nissen die Schuld zukonvertieren, d. h. zu kün- 
digen und dafür neue Schulden zu niedrigerem 
Zinsfuß auszugeben. Die wichtigsten Konvertie- 
rungen der neueren Zeit waren diejenigen vom 4. 
3. 85 und 23. 12. 96 in Preußen und v. 8. 3. 97 
im Reich. Bei niedrig verzinslichen Anleihen hat 
der Staat von vorneherein den Vorteil niedriger 
Jahreszahlungen, doch büßt er an Kapital ein, da 
er z. B. in Deutschland gegenwärtig (1913) bei 3% 
Zinsen für 100 Mk. Nominalbetrag nur etwa 76 
Mark Kapital erhalten würde. Theoretisch ist im 
allgemeinen für den Staat wohl die erstere 
Form die rentabelste. Nach den neuesten Erfah- 
rungen wirken aber Konvertierungen oft nach- 
teilig auf die Beliebtheit der Staatspapiere. Der 
niedrigere Zinsfuß ist namentlich bei der Spe- 
kulation beliebter, was sich in einem in der 
Regel verhältnismäßig höheren Kurs- 
stand dieser Papiere auszudrücken pflegt. Der 
Gläubiger ist gesicherter gegen Konvertierungen, 
braucht weniger Kapital zu zahlen und hat die 
Chancen einer Steigerung des Kurswertes bei 
Anziehen des Landeszinsfußes. 
Die näheren Bestimmungen der Verzinsung, 
insbesondere die Höhe des Zinsfußes, die Termine 
der Zinszahlung (üblicherweise halbjährlich) wer- 
den in den Anleihebedingungen festgesetzt. Um 
den Gläubigern die Zinserhebung, dem Schuldner 
die Zahlung zu erleichtern, werden den Schuld- 
titres Zinsscheine (Kupons) für eine Reihe von 
Jahren (meist 10 Jahre) und Talons (Zinsleisten) 
beigefügt. 
Die Bestimmungen über Konvertierung, Rück- 
zahlung und Umwandlung von verzinslichen 
Staatsschulden sind nach a 98 des EG zum BG# 
der Landesgesetzgebung überlassen. 
Zins und Tilgungsbeträge werden in der Regel 
besonders behandelt. Wenn beide in einer Summe 
als jährliche Rente gezahlt werden, so spricht man 
von Annuitäten oder Zeitrenten, welche 
aber in Deutschland wenig üblich sind (mehr in 
England und Frankreich). 
6#5. Tilgung. Die Tatsache, daß sich die alten 
Schuldentilgungsfonds im In= und Ausland nicht 
bewährt hatten, führte, namentlich mit Einfüh- 
rung der sog. Rentenschulden im Laufe des 19. 
Jahrhunderts in Deutschland vielfach zum Prinzip 
der sog. freien Tilgung. Als dieses 
Prinzip aber zumeist zur Verminderung des 
Tilgens überhaupt führte, hat man sich in neuerer 
Zeit wieder entschlossen, wenn auch nicht immer 
vertragsmäßig, also den Gläubigern gegenüber, so 
doch gesetzlich, dem Lande gegenüber, eine Til- 
gungspflicht einzuführen. 
I. Vorbildlich wirkte in Deutschland namentlich 
Preußen. Hier war durch das KonsolG v. 
19. 12. 69 die Form der unkündbaren Rente 
(Konsols) eingeführt worden, welche allmählich 
alle anderen Formen der (tilgbaren) Schuldver- 
schreibungen verdrängt und das freie Tilgungs- 
system immer mehr durchgeführt hatte (nach § 2 
jenes Gesetzes sollte eine Tilgung nur erfolgen, 
wenn und soweit etatsmäßige Ueberschüsse der 
Staatseinnahmen über die Staatsausgaben sich 
ergeben und soweit über dieselben im Staatshaus- 
  
halt nicht anderweit verfügt wird). Mit dem 
Jahre 1900 waren die letzten der alten tilgbaren 
St. Scheine zurückgezahlt, so daß ein Tilgungs- 
zwang nur noch für 29% der St. (ein paar alte 
übernommene Eisenbahnanleihen) bestand. Das 
Eisenbahngarantiegesetz vom Jahre 1882, das eine 
ausreichende Tilgung der infolge der Verstaat- 
lichungsaktion aufgenommenen hohen Eisenbahn- 
schuld sichern wollte, hatte diesen Zweck nicht er- 
reicht, da es den Staat nur zu einer buchmäßigen 
Abschreibung, nicht zu einer wirklichen Tilgung 
zwingt. Um daher in Zukunft eine jährliche Ent- 
nahme von laufenden Mitteln zu Schuldentil- 
gungszwecken zu sichern, wurde unterm 8. 3. 97 
(Miquel) ein Gesetz erlassen, wonach in jedem 
Jahre mindestens 3/3% der sich jeweils nach 
dem Staatshaushaltsetat erge- 
benden Staatskapitalschuld (also keine Til- 
gung mit Zinseszinsen) zu tilgen seien. Außerdem 
aber müssen (§ 3 Ges.) alle sich nach den Jahresrech= 
nungen ergebenden Ueberschüsse des Etats kraft 
Gesetzes zur Tilgung verwendet werden. Um die 
Mängel, welche eine Verpflichtung des Staats zum 
Ankauf von Schuldtitres an der Börse hat, zu ver- 
meiden, wurde eine Verrechnung auf schon 
bewilligte, aber noch nicht begebene Staatsanleihen 
der Schuldentilgung gleichgestellt, da sie wirt- 
schaftlich den gleichen Effekt wie ein Ankauf schon 
begebener Schuldentitres hat. Die Tilgung 
aus Rechnungsüberschüssen ist neuerdings durch 
das G betr. die Bildung eines rechnungsmäßigen 
Ausgleichsfonds für die Eisenbahnverwaltung v. 
3. 5. 03, [J Eisenbahnen Band 1 S. 657)] sowie 
durch die 1910 zwischen Landtag und Regierung 
vereinbarte Bildung eines etats mäßigen Eisen- 
bahnausgleichsfonds wieder erheblich eingeschränkt 
und tatsächlich fast illusorisch geworden. 
II. Dem Vorgange Preußens ist neuerdings das 
Reich gefolgt, welches die Tilgungsbestimmun- 
gen sogar noch erheblich schärfer gestaltet hat. 
Allerdings war hier lange Versäumtes nach- 
zuholen und zu berücksichtigen, daß der größte 
Teil der Reichsschuld nicht wie in Preußen zu 
Rente liefernden Erwerbsanstalten, sondern haupt- 
sächlich zu Heeres-- und Marinekosten Verwendung 
findet. Das Finanzreform G v. 15. 7. 09 be- 
stimmte, daß die bisherigen Anleihen vom I. 4. 11 
ab mit 10%½% (unter Zurechnung der ersparten Zin- 
sen), die neu aufzunehmenden Anleihen mit 1,90%, 
und, wenn sie nicht für werbende Zwecke aufsge- 
nommen werden, gar mit 3½% getilgt werden sollen. 
III. Bayern ist derjenige der größeren Bun- 
desstaaten, der wohl verhältnismäßig am wenig- 
sten Schulden tilgt. Ursprünglich hatte auch dieser 
Staat einen Tilgungsfonds (V v. 20. 8. 1811 
Reg Bl 1063). Durch Gv. 28. 12. 31 wurde für die 
allgemeine Schuld eine Prozentualtilgung von 
79% durchgeführt. Mit der fortschreitenden Eisen- 
bahnverstaatlichung wurde auch für die Eisenbahn- 
schulden eine 29 ige Zwangstilgung vorgeschrie- 
ben und mit deren Durchführung eine besondere 
Eisenbahndotationskasse betraut, G v. 25. 8. 43 
und 23. 5. 46. Daneben bestand auch für die sog. 
Grundrenten= und Landeskulturrentenschuld eine 
Zwangspflicht zur Tilgung. Für letztere beiden 
Schuldarten besteht sie auch heute noch fort. 
Dagegen war für den bei weitem größten Teil der 
bayerischen St., die Eisenbahnschuld, der Til- 
gungszwang mit dem Jahre 1879 weggefallen 
 
	        
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