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Staatskirchliche Gerichtsbarkeit
Wirren machte sich das Bedürfnis nach einer
speziellen Regelung der st. G. geltend.
In Betracht kommen hier vor allem Preußen,
Sachsen und Hessen.
52. Preußen.
Das ALsk hatte über die Fälle eines Mißbrauchs der geist-
lichen Amtsgewalt keine nähere Bestimmung getroffen. Daß
ihm jedoch der Begriff des Recursus ab abusu nicht fremd,
zeigt 3 56 II 11, ber bei einem Streit über die Rechtmäßigkeit
der Ausschließung vom Gottesdienst und den Sakramenten die
Entscheidung dem Staate zuspricht (uvgl. auch # 1175). Als
eine eigentliche Appellatio tamaquam ab abusu wurde da-
gegen bezüglich der katholischen Kirche der Rekurs
behandelt, den die Kab O v. 12. 4. 1822 den Geistlichen bei
einer im Disziplinarwege erfolgten Amtsentsetzung
an den Kultusminister eröffnete. Denn die Untersuchung
derartiger Fälle blieb darauf beschränkt, ob der Bischof
mißbräuchlich über seine Besugnisse hinausgegangen sei und
sich dadurch einer Rechtsverletzung schuldig gemacht habe.
Event. lehnte die Staatsbehörde die Vollstreckung des Diszi-
plinorerkenntnisses ab und schützte den abgesetzten Geistlichen
in seinem Recht, soweit dasselbe die Temporalien betraf.
Ein ähnliches Rechtsmittel gewährte die Gesetzgebung der
1866 neu erworbenen Landesteile (hann. Landes Berf Gv.
6. 8. 40 5 71, kurhess. Verf v. 5. 1. 31, nass. Verf v. 25. 5. 61).
Tatsächlich besaß das Institut indes keine praktische
Bedeutung. In den neuen Provinzen war der Rekurs
wegen Mangels an festen Vorschriften für das Verfahren
kaum jemals zur Anwendung gekommen, während in den
älteren Provinzen die entgegenkommende Haltung, welche
die Staatsbehörden mit Rücksicht auf a 15 BlU dem
katholischen Episkopat gegenüber einnahmen, seit 1850
den durch die Kab O v. 12. 4. 1822 begründeten Rechtszu-
stand verdunkelt hatte.
Erst das G v. 12. ö. 73 über die kirch-
liche Disziplinargewalt steeckte, in
Verbindung mit dem G v. 13. 5. 73 über die
Grenzen des Rechts zum Gebrauch
kirchlicher Straf= und Zuchtmittel,
die Linien ab, innerhalb deren die kirchliche
Disziplinargewalt freie Uebung behält (J Kir-
chenzucht 2, 5191. Sodann bezeichnete es genau
die Fälle, in welchen die Staatsbehörde befugt
sein soll, ausschreitende Entscheidungen der Kir-
chenoberen zurückzuweisen und ihrer Durch-
führung mit den Mitteln der staatlichen Exekutive
entgegenzutreten.
Danach stand eine Berufung an den Staat offen: 1. wenn
die kirchliche Disziplinarentscheidung von einer durch die
Staatsgesetze ausgeschlossenen Behörde ergangen ist;
2. wenn die Entscheidung der klaren tatsächlichen Lage wider-
spricht oder die Staatsgesetze oder allgemeine Rechtsgrund-
sätze oder wesentliche Formvorschriften verletzt; 3. wenn die
Strafe gesetzlich unzulässig ist; 4. wenn die Strafe verhängt
worden: wegen einer Handlung oder Unterlassung, zu wel-
cher die Staatsgesetze oder obrigkeitliche Anordnungen ver-
pflichten, serner wegen Ausübung oder Nichtausübung eines
össentlichen Wahl- und Stimmrechts, endlich wegen Ge-
brauchs der Berufung an den Staat; 5. wenn nach erfolgter
Amtssusvension das weitere Disziplinarverfahren unge-
buhrlich verzögert wird. — Die Berufung gebührt jedem
Beteiligaten und, sofern ein öffentliches Interesse
vorliegt, auch dem berpräsidenten. Zuständig für
liche Gerichtshof für kirchliche Angele-
adenheiten“. Dieser erkennt entweder auf Verwersung
der Berufung oder auf Vernichtung des angesochtenen
Disziplinarspruchs.
Vollzug mit den Mitteln der staatlichen Exekutive verhindert
Im letzteren Fall wird sein weiterer D!
und die Rücknahme der etwa bereits getroffenen Ausfüh-
rungsmaßregeln durch Ordnungsstrafen erzwungen.
Infolge des kirchenpolitischen Ausgleichs sind
die vorstehenden Bestimmungen durch Gv. 21. 5.
86 (a 10) aufgehoben und damit das Rechtsmit-
tel der Berufung an den Staat be-
seitigt worden. Dagegen haben diejenigen
Vorschriften des G v. 12. 5. 73 (§#. 24 ff) ihre Gel-
tung behalten, die dem Staat das Recht ein-
räumen, in Fällen, wo ein Kirchendiener seine
staatsbürgerlichen Rechte derart verletzt, daß seine
fernere Amtstätigkeit mit der öffentlichen Ordnung
unverträglich wird, die Entfernung des Schuldigen
aus dem Kirchenamt durch richterliches Urteil her-
beizuführen, sofern die vorgesetzte kirchliche In-
stanz zu diesem Behufe ohne Erfolg angegangen
worden ist. Doch darf hier, gemäß der Nov. v.
14. 7. 80 (a 1), nicht mehr auf Entlassung
aus dem Kirchenamt, sondern nur noch
auf Unfähigkeit zur Bekleidung
des Amts erkannt werden.
§ 3. Bayern. In Bayern sind für den Recur-
sus ab abusu die s#s 50—32 der II. Beil. zur VU
v. 26. 5. 1818, sog. Religionsedikt, maß-
gebend. Danach steht „den Genossen einer Kir-
chengesellschaft, welche durch Handlungen der
geistlichen Gewalt gegen die festgesetzte
Ordnung beschwert werden, die Befugnis
zu, dagegen den landesfürstlichen Schutz anzu-
rufen“". Gegen die festgesetzte Ordnung (juris
ordine non servato) verstoßen alle Handlungen,
welche entweder das staatliche Recht oder das vom
Staat anerkannte Statutarrecht der betr. Reli-
gionsgesellschaft verletzen. Ein Mißbrauch der
geistlichen Amtsgewalt liegt deshalb insbesondere
dann vor, 1. wenn die Kirchenbehörde in die
Rechtssphäre des Staates eingreift und sich z. B.
eine Jurisdiktion in Zivil- und Kriminalsachen
anmaßt; 2. wenn sie die Kirchenhoheitsrechte der
Krone mißachtet und z. B. den Vorschriften über
das Plazet, die geistliche Amtsführung, die Er-
richtung und Besetzung der Kirchenämter, die
Ausübung der kirchlichen Disziplinargewalt, die
Verwaltung des Kirchenvermögens die Folge
versagt; 3. wenn sie einzelne Mitglieder in ihren
subiektiven kirchlichen Rechten verletzt, z. B. ihnen
die Teilnahme am Gottesdienst oder die Spen-
dung der Sakramente versagt, ihre kirchliche Frei-
heit durch ungehörige Zumutungen beeinträch-
tigt, oder geistliche Strafen über sie dem kirchlichen
Recht zuwider verhängt.
Berechtigt zur Einlegung des Rekurses sind nur
die Interessenten selbst; ein Verfahren e#x
officio findet nicht statt. Das Rechts-
mittel, das bei der Kreisregierung oder unmittel-
bar bei dem Landesherrn eingelegt werden kann,
hat Suspensiveffekt. Seine Prüfung
erfolgt durch den ressortmäßig beteiligten Staats-
minister, der auch nach vorangegangenem
Benehmen mit der geistlichen Behörde die Ent-
scheidung trifft. Letztere kann auf gänzliche Abwei-
sung oder Verweisung des Rekurrenten auf den
Rechtsweg lauten. Wird aber der Rekurs für be-
die Entscheidung ist ein besonderes Gericht: der „König-
gründet erachtet, so ist zunächst die geistliche Be-
hörde zur Beseitigung des Mißbrauchs aufzu-
fordern und event. „das Geeignete zu
verfügen". Ueber die Frage, was „das
Geeignetc“ sei, geben weder die Verfassung, noch
andere Gesetze nähere Aufklärung. Die im älteren