Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

Staatsrat 
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(Gesamtministerium) unterscheidet sich der St. 
wesentlich dadurch, daß neben den Mitgliedern 
des ersteren noch eine beträchtliche Zahl von an- 
deren Personen in ihm Sitz und Stimme haben; 
von einer ständischen Versammlung wie von einer 
Volksvertretung dadurch, daß er wesentlich aus 
Staatsdienern zusammengesetzt ist und gegen- 
über dem Staatsoberhaupte keite selbständige 
rechtliche Stellung hat. 
II. In den größeren deutschen Territorien 
wurde, als zu Beginn der Neuzeit ständige Be- 
amtenkollegien, zunächst nach burgundisch-nie- 
derländischem Vorbild, in das Leben traten, auch 
ein Geheimer Rat zur Beratung des 
Landesherrn in wichtigen Angelegenheiten er- 
richtet. Vielfach erlangten diese Kollegien auch 
ein Recht eigener Entscheidung in Verw= und 
Justizsachen. Allmäylich aber wurden sie fast 
überall durch Behörden mit besonderer Zuständig- 
keit oder durch einen Ausschuß aus der praktischen 
Bedeutung verdrängt. Bei der Reorganisation 
der Landesverwaltung zu Anfang des 19. Jahr- 
hunderts bezw. bei der Einführung konstitutio- 
neller Ordnungen wurden, größtenteils nach dem 
Muster des von Napoleon in Frankreich auf 
Grundlage des früheren Conseil du Roi eingerich- 
teten St., neue derartige Kollegien 
geschaffen, die auch gegenwärtig noch in den 
deutschen Königreichen sowie im Herzogtum 
Braunschweig (Jl, wenngleich im ganzen mit 
geringer praktischer Bedeutung, fortdauern. Einer 
eingreifenderen Wirksamkeit derselben steht vor 
allem das natürliche Bestreben der Minister ent- 
gegen, in ihrem Verhältnis sowohl zum Mon- 
archen als zur Volksvertretung durch kein an- 
deres gleichberechtigtes oder gar übergeordnetes 
Organ gehindert zu werden. 
# 2. In Preußen. 
I. Der von dem Kurfürsten Joachim Friedrich 
im Jahre 1604 für die Mark Brandenburg an- 
geordnete, wesentlich nur zur Beratung des Lan- 
desherrn bestimmte „Geheime Rat“ erhielt durch 
den Großen Kurfürsten 1651 die Stellung eines 
obersten Zentralverwaltungskollegiums für alle 
brandenburgisch-preußischen Territorien. Allmäh- 
lich aber löste er sich fast ganz in zahlreiche ver- 
schiedene Zentralverwaltungsbehörden auf und 
wurde durch das Publikandum v. 16. 12. 1808 
beseitigt. Dieses stellte freilich, gemäß dem vom 
Freiherrn vom Stein vertretenen Gedanken, 
einen St. als höchste verwaltende Kollegialbehörde 
in Aussicht. Die Kal V v. 27. 10. 1810 bestimmte 
aber, daß der zu schaffende St. keine eigene Ver- 
waltung, sondern nur eine beratende Stel- 
lung haben solle. Ins Leben trat er erst auf 
Grund der durch die Kal V v. 20. 3. 1817 ge- 
gebenen näheren Bestimmungen. Während der 
folgenden drei Jahrzehnte übte er eine sehr um- 
fassende und heilsame Wirksamkeit vor allem auf 
dem Gebiete der Gesetzgebung. Nach dem Zu- 
sammentritt des ersten Vereinigten Landtages 
aber traf die Kgl. V v. 6. 1. 48 eingreifende, die 
Bedeutung des St. wesentlich schmälernde Ab- 
änderungen an der V v. 20. 3. 1817. Durch die 
Ereignisse des Jahres 1848 wurde dann die 
Tätigkeit des St. unterbrochen und nach dem 
Erlaß der Vl auch sein rechtlicher Fortbestand 
streitig. Durch Kgl Ordre v. 27. 6. 54 wieder in 
Wirksamkeit gesetzt, hatte er doch in den nächsten 
  
  
  
Jahrzehnten fast gar keine praktische Bedeutung, 
und auch seine im Jahre 1884 versuchte Wieder- 
belebung blieb ohne dauernden Erfolg; seit 1890 
ist er nicht wieder einberufen worden; rechtlich 
aber besteht er unzweifelhaft fort 1). 
II. Mitglieder des St. sind die voll- 
jährigen Prinzen des Kgl. Hauses; ferner durch 
ihr Amt der Präsident des St., die Feldmarschälle, 
sämtliche Mitglieder des Staats Min, der (mit 
den formellen Geschäften im St. betraute) Staats- 
sekretär, der erste Präsident der Oberrechnungs- 
kammer, der Geheime Kabinetsrat, der Chef des 
Militärkabinetts, die kommandierenden Generäle 
und die Oberpräsidenten (diese beiden letzteren 
Kategorien jedoch nur wenn sie zur Zeit in Berlin 
anwesend sind); endlich durch besonderes Ver- 
trauen des Königs in den St. berufene Staats- 
diener. Den Vorsitz führt, sofern der König nicht 
selbst ihn übernimmt, der vom König ernannte 
Präsident bezw. Vizepräsident des St. Nach der 
V v. 6. 1. 48 soll aber in der Regel nicht das Ple- 
num, sondern nur eine engere Versammlung zu- 
sammentreten. In beiden sind die Beschlüsse mit 
Stimmenmehrheit zu fassen. 
III. Keine Angelegenheit kann im St. zur 
Erwägung kommen, die ihm nicht vom Könige 
selbst zugewiesen ist. Als Gegenstände der Bera- 
tung bezeichnete freilich die V v. 20. 3. 1817 
alle Entwürfe von Gesetzen und VerwNormen; 
durch & 5 der V v. 6. 1. 48 hat sich aber der König 
auch für jeden Entwurf eines Gesetzes oder einer 
Verordnung vorbehalten, besonders zu bestim- 
men, ob er über denselben den St. befragen will. 
Die Beschlüsse des St. haben gegenwärtig durch- 
aus nur die rechtliche Bedeutung dem König zu 
erstattender Gutachten. Diese gehen zunächst an 
das Staats Min, das sie dann mit seinen Vor- 
schlägen über die weitere Behandlung der Sache 
dem König einzureichen hat. 
# 3. In anderen deutschen Ländern. 
I. In Bayern [Jl, wo der alte Geheime Rat 
des Landesherrn durch einen im Jahre 1726 ge- 
bildeten Ausschuß, die Geheime Konferenz, fast 
ganz verdrängt war, wurde durch die Konstitu- 
tion v. 18. 5. 1808 und das organische Edikt 
v. 4. 6. 1808 ein neuer Geheimer Rat geschaffen, 
aus dem sich der jetzige St. entwickelt hat. Die 
Vu v. 1818 traf eine Reihe von einzelnen Zu- 
ständigkeitsbestimmungen für den St., belicß 
aber im übrigen dessen Einrichtung königlicher An- 
ordnung. Die jetzt maßgebende Verordnung, 
den St. betr., datiert v. 3. 8. 79. X Bayein, 
Band 1 S 358j. 
Der St. besteht aus dem Kronprinzen, sobald 
dieser volljährig ist, den Ministern und besonders. 
ernannten Staatsräten im ordentlichen Dienst; 
er kann durch außerordentliche Mitglieder, ins- 
besondere durch Staatsräte im außerordentlichen 
Dienste, verstärkt werden. Er steht unter unmittel- 
barer Leitung des Königs und kann sich nur auf 
dessen Befehl versammeln. Den Vorsitz führt der 
  
  
1) Dagegen ist als völlig ausgegeben anzusehen der 
durch V v. 17. 11. 80 geschaffene Bolkswirtschafts- 
rat, der bei der Vorbereitung von Entwürfen zu Gesetzen 
oder Verordnungen über volkswirtschaftliche Gegenstände 
Vertretern der Interessentenkreise Gehör zu sichern be- 
stimmt war (letzte Neuwahl 1885); val. Gneist in der 
1. Aufl. dieses Wörterbuchs II, 835. 
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