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Staatsverträge
Bei Kollektivverträgen unter Beteiligung curo-
väischer Staaten fällt das Bedenken der Aner-
kennung eines Vorrangs der französischen Sprache
in der Regel fort. Wenn sich hier einmal ein Dop-
peltext findet (z. B. Berner Abk. über den Eisen-
bahnfrachtverkehr 1890: französisch und deutsch),
so hat dies besondere Bedeutung.
2. Die Formulierung des StV weist keine
grundsätzlichen Abweichungen vom privatrechtlichen
Vertrage auf, nur einen etwas steifen und alter-
tümlichen Aufbau, u. a. mit Anhangsartikeln und
Schlußprotokoll. Der „Eingang“, namentlich bei
Kollektivverträgen (so auch bei der deutschen Reichs-
verfassung), pflegt sachlich verwertbaren Aufschluß
über die für das Abkommen bestimmenden Gründe
zu geben. Als Ergebnis einer Konferenz wird der
St V öfter zur „Akte"“ zusammengefaßt (General=
akte der Berliner Konferenz 1885, der Antisklaverei-
konferenz 1890; die Wiener Kongreßakte bezeich-
net sich selbst als „instrument général“), auch
wohl als „Schlußakte“ (Wien 1820) neuerdings
mehr bei umfassenderem und nach einzelnen Ge-
bieten zu sonderndem Inhalte der Verhandlungen,
die sich als Einzelabkommen in den Mantel der
Schlußakte schmiegen (Haager Friedenskonferen-
zen). Formal auf der entgegengesetzten Seite, unter
Verzicht auf den großen Stil, steht das „Protokoll“,
besonders aberder Notenwechsel, der Austausch
inhaltlich gleicher Erklärungen zwischen den diplo-
matischen Amtsträgern: sie dienen in der Regel
der Erledigung von Einzelpunkten.
Der St V ist „paraphiert“, wenn er, bis auf die
förmliche Unterzeichnung, in Form gebracht ist.
In der Regel werden soviele Urschriften des
St B „ausgefertigt“, wie Staaten beteiligt sind.
Die Bevollmächtigten unterzeichnen und unter-
siegeln sämtliche Urschriften, und zwar in der
Reihenfolge, daß jeder Vertragsteil immer in
derjenigen Urkunde, die ihm zufällt, voransteht
(„Alternat"). Die neueren Kollektivverträge pflegen
diesen schleppenden Brauch dadurch zu ersetzen,
daß nur eine Vertragsurkunde hergestellt wird,
die allein von den Bevollmächtigten in der
alphabetischen Folge ihrer Staaten (nach der
Sprache des Vertragstextes) unterzeichnet wird;
sie verbleibt in dem Archiv des Staates des
Konferenzortes, während die übrigen teilnehmen-
den Staaten beglaubigte Abschriften auf diplo-
matischem Wege übergeben erhalten.
Die 2. Haager Friedenekonferenz zeigt Untersiegelung
nur in der Schlußakte lim R GBl nicht abgedruckt), während
die einzelnen Abkommen bloß unterzeichnet sind.
III. Mit der Unterzeichnung durch die Ver-
treter ist der St Bseinem Inhalte nach zwar fest-
gelegt: das Datum der Unterzeichnung ist das
Datum des Vertrages. Seine völkerrechtliche
Wirksamkeit ist jedoch nach einer im 19.
Jahrhundert gefestigten Praxis abhängig von dem
charakteristischen Elemente der Ratifikation
(„Genehmigung" in neueren Verträgen) durch das
zur völkerrechtlichen Vertretung berufene Staats-
organ. Das besagt die den St V zumeist am
Schlusse eingefügte, aber, sofern sie nicht eine
Besonderheit (Z. B. Befristung) enthält, selbst-
verständliche Ratifikationsklausel. Die Ratifikation
bedarf zu ihrer Wirksamkeit der nach Staatsrecht
erforderlichen Gegenzeichnung des Ministers.
1. Eine Rechtspflicht zur Ratifika-
tion des Vertragslentwurfs) besteht so wenig
—
wie für die Sanktion eines Gesetzes — noch we-
niger, insofern das zur völkerrechtlichen Vertretung
des Staates berufene Organ schon innerstaats-
rechtlich (vgl. unten § 5) an die Zustimmung
anderer Faktoren gebunden sein kann. Aber auch
abgesehen hiervon entbehrt es des Grundes, die
Verweigerung der Ratifikation in Rechtsgrenzen
(namentlich Ueberschreiten der Instruktionen) zu
schnüren. Vielmehr zeigt gerade die Entwicklung
der Ratifikation zum notwendigen Formerforder=
nis, daß das bestimmende Staatsorgan in der Frei-
heit seiner Entschließungen jedem Wandel politi-
scher und wirtschaftlicher Anforderungen solle Rech-
nung tragen können. Die Weigerung kann natür-
lich, will man das Vertrauen in internationale
Verhandlungen nicht erschüttern, nur den verein-
zelten Ausnahmefall bilden; sie ist seltener in
Monarchien (z. B. Frankreich gegenüber dem Quin-
tupel B## v. 20. 12. 41) als in Republiken (ein Bei-
spiel für viele: V. St. v. Amerika bezüglich des
Schiedsvertrags mit Deutschland v. 22. 11. 04).
Eine Frist für die Ratifikation ist nicht ge-
boten, falls sie der St V nicht selbst aufstellt. Die
häufige Klausel „sobald als möglich“ läßt die
Rücksicht auf die für die Ratifikation vielfach nöti-
gen Zwischenverhandlungen erkennen: der V#
über die Gotthardbahn v. 13. 10. 09 ist z. B.
erst am 4. 10. 13 ratifiziert worden (RGBl 1913,
738); die II. Haager Friedenskonferenz-Verträge
(1907) sind es noch jetzt nicht durchweg. Die Rati-
fikation kann auch bedingt sein; in merkwürdi-
ger Weise z. B. bei der Opiumkonvention [Toben
S 4381 durch den Beitritt anderer Staaten.
Eine beschränkte Ratifizierung, sei es
von einzelnen Teilen eines Vertrages (z. B.
Frankreich bei der Brüsseler Antisklavereiakte)
oder unter Vorbehalt (z. B. England bei dem
Suezkanal Bt# v. 29. 10. 88, die V. St. v. Amerika
auf der Haager Friedenskonferenz 1899) bedeutet
eine Aenderung des Vertrages. Doch wird man
sie nach der Praxis nicht für unzulässig ansehen
können, wofern nicht der andere Vertragsteil der
Annahme solcher eingeschränkten Ratifizierung
widerspricht oder sie schon im voraus ablehnt (z. B.
a 65 der Londoner Seerechtserklärung: „die Be-
stimmungen dieser Erklärung bilden ein unteil-
bares Ganzes“) — was dann ein völliges Unter-
bleiben der Ratifikation zur Folge haben kann.
Inwieweit bei Kollektivverträgen
die Ratifikation nur von seiten einzelner Signatar-
staaten genügt, um diese untereinander zu ver-
pflichten, läßt sich nur für den einzelnen Fall
entscheiden; die Auslegung wird aber im Hinblick
auf die Bedeutung der Abmachungen jedenfalls
bei Gruppenverträgen ihrer Aufrechterhaltung
günstig sein müssen. Starke wirtschaftliche In-
teressen können die Gebundenheit allerdings von
dem Anschlusse der gesamten Vertragsteile ab-
hängig machen (z. B. a 12 der Brüsseler Zucker-
konvention, die nur dann verbindlich werden
sollte, wenn sie wenigstens von bestimmten Ver-
tragsstaaten ratifiziert würde; anders wieder die
Opiumkonvention).
Die Ausübung der Ratifikation kann im
einzelnen Falle einem Vertreter üUbertragen
werden, wofern nicht schon der Vertreter zum
Abschlusse des St B ermächtigt war. Es geschieht
selten; doch, wenn Eile not tut, um den Vertrag in
Rraft zu setzen G. B. Vertrag über Abtretung der