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geschäfte, über Etappenstraßen, Post= und Telegraphen-
verträge, auch nicht Eisenbahnverträge, sofern es sich nicht
um unmittelbare Uebernahme finanzieller Lasten handelte.
Die Reichsverfassung lehnt sich zwar
an die preußische an, zeigt aber in den Abwei-
chungen eigene Schwierigkeiten. Nach a 11 RV
hat der Kaiser (Abs 1) „im Namen des Reichs
Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bünd-
nisse und andere Verträge mit fremden Staaten
einzugehen ... (Abs 3). Insoweit die Verträge
mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstände
beziehen, welche nach a 4 in den Bereich der
Reichsgesetzgebung gehören, ist zu ihrem Abschluß
die Zustimmung des BR und zu ihrer Gültigkeit
die Genehmigung des RX erforderlich.“ Außer
Zweifel steht, daß die Bezugnahme auf a 4 zu
eng ist (Redaktionsfehler) und daß mit dieser un-
zureichenden Formulierung der Umkreis der Zu-
ständigkeit des Reiches überhaupt hatte bezeichnet
werden sollen. Die Absicht war, Verträge, wenn
sie einen Gegenstand betreffen, der zu seiner
Regelung eines Reichsgesetzes bedürfte,
nicht dadurch, daß über ihn mit dem Auslande
eine Vereinbarung getroffen wird, der Mitwir-
kung der gesetzgebenden Organe zu entziehen
(Labands § 61 1 2 a. E. Band II S 140).
Nur für den Abschluß des Vertrages seolbst ist
eine Zustimmung des Parlaments erforderlich,
also nicht für die Kündigung, und auch nicht für
die durch eine Rücknahme der Kündigung erfol-
gende Verlängerung (vgl. Vhdl des R v. 11. 6.02,
St Ber S 5609 A). Die Verlängerung eines mit
bestimmtem Endpunkte abgeschlossenen St V wird
jedoch wie ein neuer Abschluß zu behandeln sein.
II. Die rechtliche Bedeutung des
Anteils der Volksvertretung ist
bestritten. Nach Gneist und Laband käme ihr eine
bloß staatsrechtliche Wirkung zu. Dagegen ver-
treten mit beachtenswerten Gründen, wenn auch
untereinander nicht übereinstimmend, E. Meier,
Zorn, Jellinek, Schön u. a. auch eine völkerrecht-
liche Wirkung. Nur hierdurch wird ein sonst mög-
licher Widerstreit zwischen völkerrechtlicher Wirk-
samkeit und staatsrechtlicher Wirkungslosigkeit ver-
mieden, den Gneist damit zu lösen glaubt, daß die
höhere völkerrechtliche Verpflichtung der staats-
rechtlichen vorgehe, deren Nichterfüllung u. U. ein
Casus belli wäre! (politisch maßvoller Laband 141.)
Ohne an dieser Stelle in das Für und Wider
ein zugehen, möchte ich den eigenen Standpunkt
dahin kennzeichnen: die Frage ist nicht allgemein,
sondern jeweils für die einzelne Verfassung zu
beantworten; es lassen sich u. a. deutliche Ab-
schichtungen in den Verfassungen vor 1818 und
in den späteren erkennen. Für die Reichsver-
fassung darf man auf dem Ergebnisse bei der
preußischen Verfassung sußen. Die von Gneist
mehr behauptete, von Laband und Triepel (111#f)
durchgeführte Scheidung beruht auf einer scharfen
Trennung der Rechtskreise von Völkerrecht und
Staatsrecht. Eben darum muß man aber Beden-
ken tragen, sie schon in den Anschauungskreis der
Bildner der preußischen Verfassung hbineinzuver-
legen. Der war weniger geschult, dafür maßgebend
beeinflußt durch die Brechung, dic englischer
Gewaltenverteilungsgedanke in der französischen
Revolntionszeit und in der Folge durch die bel-
gische Verfassung erfahren hatte. Dem Parla-
mente sollte es hiernach vorbchalten bleiben, über
Staatsverträge
die „Gültigkeit"“ — das zur Geltung Gelangen —
des St V in bestimmtem sachlichen Bereiche zu-
sammen mit dem Landesherrn so zu befinden,
wie es außerhalb dieses Bereiches allein dem
Landesherrn obgelegen hätte. Staatsrechtliches
und Völkerrechtliches bleiben hier ununterschie-
den: das äußerlich Umfassendere und Hervor-
tretende — d. i. der völkerrechtliche Akt, ohne
den für den staatsrechtlichen kein Anlaß wäre —
erscheint als das alleinige Ziel. Systematisch wird
diese Betätigung der Volksvertretung darum
auch nicht dem Titel „Gesetzgebung“ eingeordnet,
sondern dem Titel von der königlichen Gewalt
als bloße Abschwächung der Selbständigkeit der
vollziehenden Gewalt im Auswärtigen. Der Akt
der Genehmigung bleibt allerdings ein inner-
staatlicher Vorgang. Das bedeutet aber nicht,
daß er lediglich für die Wirkung des St V von
Verfassung wegen bestimmend sei, sondern von
selbst damit auch für das Maß der Befugnis des
Landesherrn nach außen. Das Völkerrecht kann
sich nicht über grundlegende staatliche Normen für
den auswärtigen Verkehr hinwegseotzen. Und hier-
zu gehören die Normen über die WMillensbildung
des zum Vertragsschlusse berechtigten Organs,
die das Völkerrecht vom Staatsrechte bindend
entgegennehmen muß. Daß dadurch die fremde
Regierung bei der Entgegennahme der Ratifikation
mit der u. U. schwierigen Untersuchung über
staatsrechtliche Fragen des andern Vertragsteils
belastet würde, mag zuweilen zutreffen, kann aber
nicht entscheidend dagegen sprechen (Schön 426).
Es gehört zu den Obliegenheiten der ständigen
diplomatischen Vertretung, sich hiermit vertraut
zu machen. Der Zustand ist im Grunde nicht
anders als in den Fällen, wo ein Vertrag aus-
drücklich der Notwendigkeit parlamentarischer Be-
schlußfassung gedenkt. Eine Parallele für das
Hinübernehmen staatsrechtlicher Erfordernisse in
das Völkerrecht bietet übrigens die Notwendigkeit
der ministeriellen Gegenzeichnung für die Ratifika-
tion. Immerhin wird man eine tatsächliche Ver-
mutung für das verfassungsmäßige Verhalten des
kontrahierenden (ratifizierenden) Staatsorgans
aufstellen dürfen.
III. Formales. Der Anteil der Volksver-
tretung ist nicht der gleiche wie bei der Gesetz-
gebung. Es fehlt dem Parlamente bei St V Initia-
tive wie Abänderungsmöglichkeit, zwei wesentliche
Merkmale seines vollen Anteils an der Gesetz-
gebung, wie ihn das preußisch-deutsche Verfas-
sungsrecht kennt. Eingeräumt ist lediglich die Zu-
stimmung: das Ja oder Nichtja. Das erfordert
allerdings eine Beratung des gesamten St#,
soweit an seinem Inhalt die Volksvertretung be-
teiligt ist, u. U. also auch nur einzelner Stücke
aus dem St V. Die Beratung kann aber nie
auf einen Beschluß der Abänderung hinauskom-
men; mangelndes Einverständnis mit auch nur
einem Teile des St Bkönnte eben nur zur Ver-
sagung der Zustimmung führen. Das ist eine
zwingende Lage, ähnlich der bei der Beschränkung
der ersten Kammer für Finanzgesetze, und sie kann
aus polilischen Gründen die Zustimmung als das
kleinere Uebel gegenüber dem vertragslosen Zu-
stande ratsam machen.
Hier wie dort wird deshalb eine „Bepackung“
mit nicht unerläßlich in den St Beinzustellenden
Gegenständen zu vermeiden sein.