Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Stiftungen (Preußen) 
  
all der kirchlichen Wohltätigkeitspflege. Der tie- 
nel. Grund davon lag in der Veränderung der 
Auffassung von Wesen und Aufgabe des Staats, 
die sich damals zu vollziehen begann. Die Armen- 
pflege wurde als eine dringende Pflicht der bür- 
gerlichen Gemeinschaft erkannt. Die Folge war, 
daß die weltliche Obrigkeit, im größeren Kreise 
des staatlichen Lebens die Staatsgewalt, im enge- 
ren Kreise des Gemeindelebens die Gemeinde- 
obrigkeit, das St.Wesen in den Bereich ihrer 
Regelung und Oberaufsicht zog. Hat zunächst 
vielfach nur eine gemeinschaftliche Beteiligung 
der weltlichen und kirchlichen Organe am St. Wesen 
Platz gegriffen, so nat später die territorialistische 
Entwicklung das gesamte St. Wesen in den staat- 
lichen Behörden konzentriert, und damit den selb- 
ständigen Wirkungskreis aller übrigen Elemente 
absorbiert. Die meisten Wohltätigkeits St. haben 
ihre Beziehung zur Kirche in dieser Zeit völlig 
verloren und sind, wie auch vielfach das kirchliche 
Institutsvermögen, in ausschließlich weltliche Ver- 
waltung übergegangen (Friedberg, Staat und 
katholische Kirche in Baden (1.] 191 ff). Ein- 
behende Literaturnachweisungen zur Geschichte 
er St. in allen Lehrbüchern des Kirchenrechts 
(. B. Richter S 1301 N. 10). 
Eine neue Entwicklungsphase hebt mit dem 
19. Jahrhundert an. Dem Staat bleibt zwar das 
Recht der Gesetzgebung und der Oberaufsicht über 
das gesamte St. Vermögen ausschließlich vorbe- 
halten. Bestrebt, die Uebertreibungen des Terri- 
torialismus wieder zu beseitigen, knüpft aber die 
neuere Gesetzgebung an frühere Rechtszustände, 
und zwar in doppelter Beziehung, wieder an. 
Einerseits zieht sie die Kirche wieder zur 
Mitwirkung an den Aufgaben der öffentlichen 
St. Pflege heran, und bringt in den durch die mo- 
derne Staatsidee bedingten Grenzen die historische 
und sachliche Berechtigung einer kirchlichen Be- 
teiligung wieder zur Anerkennung. Teils hat sie 
innerhalb der Organe der St. Pflege den kirchlichen 
Behörden Sitz und Stimme eingeräumt, und so 
durch die Zusammensetzung der St. Verwaltung 
einen Ausgleich zwischen Staat und Kirche ver- 
sucht. Teils hat sie die prinzipielle Scheidung der 
kirchlichen und weltlichen St. Pflege vollzogen 
und vorbehaltlich des staatlichen Oberaussichts- 
rechts der Kirche die Verwaltung des kirchlichen 
St. Vermögens freigegeben. 
Noch in einer zweiten Richtung knüpft die 
neuere Gesetzgebung an frühere Rechtszustände 
wieder an. Die Anfänge der weltlichen Armen- 
pflege lagen in den Gemeinden. Die Ent- 
wicklung der ersten Zeit hat dann ebenso den 
Schwerpunkt des St. Wesens in die Tätigkeit der 
Gemeindeorgane verlegt. Der Staatsabsolutis- 
mus hat die Selbständigkeit der Gemeinden auch 
auf diesem Gebiet vielfach erheblich eingeschränkt. 
Ebenso vollzieht sich nun auch die umgekehrte 
Wendung wiederum im Anschluß an die Reform 
der Gemeindeverfassung überhaupt. Den Ge- 
meinden wurde auch die weltliche lokale St. Pflege 
wieder zurückgegeben und teils selbständig, teils 
im unmittelbaren Anschluß an die Bestimmungen 
der Gemeindeordnungen über das Gemeindever- 
mögen neugeregelt. 
87. Preußzen. 
I. Die Rechtsverhältnisse der Familien- 
stiftungen waren ursprünglich im ALR 
  
  
  
II, 4 geregelt, dessen Bestimmungen durch Gv. 
15. 2. 40 (GS 20) über die Familienschlüsse fort- 
gebildet wurden, jetzt aber durch AG z. BGB alff 
ersetzt sind. Die Familien St. unterstehen keiner 
fortlaufenden Staatsaufsicht, sofern nicht durch die 
St. Urkunde die Verwaltung oder Ausfsicht staat- 
licher Behörden vorgesehen ist. Soweit eine Zu- 
ständigkeit staatlicher Behörden überhaupt besteht, 
(Errichtung, Umwandlung, Aufhebung), ist sie den 
Gerichten bezw. dem Justiz Min übertragen (A## 
z. BSG6Balff). Die Verfassung richtet sich na 
den Bestimmungen des Stifters, kann aber dur 
Familienschluß geändert werden, und zwar au 
dann, wenn die Aenderung durch die St. Urkunde 
oder Familienschluß verboten ist (a 2 #& 1). Ein- 
gehende Vorschriften über die Familienschlüsse 
enthalten die ## 2 ff des a 2. 
II. Auch für die öffentlichen St. ent- 
hält das ALR II, 19 („von Armenanstalten und 
andern m. St.“) die rechtlichen Grundlagen, die 
dann durch die spätere Organisationsgesetzgebung 
ihre formelle Ergänzung erfahren haben. 
Die Verselbständigung des kirchlichen St. Wesens 
ist im Grundsatz bereits durch a 15 der Vl in 
Aussicht gestellt, aber erst durch die Staatsgesetz- 
gebung der siebziger Jahre verwirklicht worden. 
(Für die evang. Kirche G v. 3. 6. 76 GS 125 
und die entsprechenden Gesetze für die neueren 
Provinzen, für die kath. Kirche G v. 20. 6. 75 
GS 241 und Gv. 7. 6. 76 GS 149.) Die kirch- 
liche Stiftungspflege umfaßt alle milden St., 
deren Verwaltung aus irgend einem Rechtsgrund 
kirchlichen Organen zusteht, und untersteht nur 
mehr innerhalb der gesetzlich festgesetzten Grenzen 
der staatlichen Oberaufsicht. 
1. Die Verfassung der weltlichen St. 
richtet sich in erster Linie nach dem Inhalt der 
St. Urkunde (ALK II, 19 §# 35, Reg Instr v. 
23. 10. 17 G#S 148). Der Stifter kann mit staat- 
licher Genehmigung auch eine Behörde oder Kor- 
poration zur Verwaltung berufen (Immed. Ber. 
v. 23. 12. 44). Jedoch ist der Vorstand mit auf- 
sichtlicher Genehmigung berechtigt, die Verfassung 
zu ändern. (AEG z. BGB a 4 mit A# v. 16. 11. 
99 a 5.) Mangels stiftungsmäßiger Anordnungen 
steht die Bestellung der Verwaltung und Anord- 
nung der inneren Einrichtung nach ALK II 19 
ml336 dem Staate zu. In Uebereinstimmung da- 
mit überweist die Reg Instr § 199 der Regierung 
die Verwaltung, soweit sie nicht verfassungs-, 
d. h. stiftungs= oder gesetzmäßig anderen Behör- 
den, Gemeinden, Korporationen oder Privaten 
zusteht. Ein gesetzliches Recht der Kommunen 
zur Verwaltung der örtlichen St. besteht im all- 
gemeinen nicht. Die St. O für die östlichen Pro- 
vinzen v. 30. 5. 53 Kl 49 und ihr folgend die meisten 
andern Gemeindeordnungen halten nur die 
stiftungsmäßigen Bestimmungen aufrecht. Da- 
gegen ist im Bereich der hannoverischen St.O 
v. 24. 6. 58 5 126 die Verwaltung der örtlichen 
St. subsidiär Gemeindesache. Die Verwaltung 
führt der Magistrat (unmittelbar oder durch be- 
sondere Ausschüsse), der in einzelnen Fällen der 
Zustimmung des Bürgervorstehers bedarf, und 
ihrer Rechnungskontrolle untersteht. In Frank- 
furt a. M. ist der Stadtgemeinde die Verwaltun 
der damals bestehenden St. durch den Rezeß 
v. 26. 2. 69 vorbehalten geblieben (Sartorius, 
Die öffentl. milden St. zu Frankfurt a. M. und 
 
	        
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