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Stiftungen (Preußen)
all der kirchlichen Wohltätigkeitspflege. Der tie-
nel. Grund davon lag in der Veränderung der
Auffassung von Wesen und Aufgabe des Staats,
die sich damals zu vollziehen begann. Die Armen-
pflege wurde als eine dringende Pflicht der bür-
gerlichen Gemeinschaft erkannt. Die Folge war,
daß die weltliche Obrigkeit, im größeren Kreise
des staatlichen Lebens die Staatsgewalt, im enge-
ren Kreise des Gemeindelebens die Gemeinde-
obrigkeit, das St.Wesen in den Bereich ihrer
Regelung und Oberaufsicht zog. Hat zunächst
vielfach nur eine gemeinschaftliche Beteiligung
der weltlichen und kirchlichen Organe am St. Wesen
Platz gegriffen, so nat später die territorialistische
Entwicklung das gesamte St. Wesen in den staat-
lichen Behörden konzentriert, und damit den selb-
ständigen Wirkungskreis aller übrigen Elemente
absorbiert. Die meisten Wohltätigkeits St. haben
ihre Beziehung zur Kirche in dieser Zeit völlig
verloren und sind, wie auch vielfach das kirchliche
Institutsvermögen, in ausschließlich weltliche Ver-
waltung übergegangen (Friedberg, Staat und
katholische Kirche in Baden (1.] 191 ff). Ein-
behende Literaturnachweisungen zur Geschichte
er St. in allen Lehrbüchern des Kirchenrechts
(. B. Richter S 1301 N. 10).
Eine neue Entwicklungsphase hebt mit dem
19. Jahrhundert an. Dem Staat bleibt zwar das
Recht der Gesetzgebung und der Oberaufsicht über
das gesamte St. Vermögen ausschließlich vorbe-
halten. Bestrebt, die Uebertreibungen des Terri-
torialismus wieder zu beseitigen, knüpft aber die
neuere Gesetzgebung an frühere Rechtszustände,
und zwar in doppelter Beziehung, wieder an.
Einerseits zieht sie die Kirche wieder zur
Mitwirkung an den Aufgaben der öffentlichen
St. Pflege heran, und bringt in den durch die mo-
derne Staatsidee bedingten Grenzen die historische
und sachliche Berechtigung einer kirchlichen Be-
teiligung wieder zur Anerkennung. Teils hat sie
innerhalb der Organe der St. Pflege den kirchlichen
Behörden Sitz und Stimme eingeräumt, und so
durch die Zusammensetzung der St. Verwaltung
einen Ausgleich zwischen Staat und Kirche ver-
sucht. Teils hat sie die prinzipielle Scheidung der
kirchlichen und weltlichen St. Pflege vollzogen
und vorbehaltlich des staatlichen Oberaussichts-
rechts der Kirche die Verwaltung des kirchlichen
St. Vermögens freigegeben.
Noch in einer zweiten Richtung knüpft die
neuere Gesetzgebung an frühere Rechtszustände
wieder an. Die Anfänge der weltlichen Armen-
pflege lagen in den Gemeinden. Die Ent-
wicklung der ersten Zeit hat dann ebenso den
Schwerpunkt des St. Wesens in die Tätigkeit der
Gemeindeorgane verlegt. Der Staatsabsolutis-
mus hat die Selbständigkeit der Gemeinden auch
auf diesem Gebiet vielfach erheblich eingeschränkt.
Ebenso vollzieht sich nun auch die umgekehrte
Wendung wiederum im Anschluß an die Reform
der Gemeindeverfassung überhaupt. Den Ge-
meinden wurde auch die weltliche lokale St. Pflege
wieder zurückgegeben und teils selbständig, teils
im unmittelbaren Anschluß an die Bestimmungen
der Gemeindeordnungen über das Gemeindever-
mögen neugeregelt.
87. Preußzen.
I. Die Rechtsverhältnisse der Familien-
stiftungen waren ursprünglich im ALR
II, 4 geregelt, dessen Bestimmungen durch Gv.
15. 2. 40 (GS 20) über die Familienschlüsse fort-
gebildet wurden, jetzt aber durch AG z. BGB alff
ersetzt sind. Die Familien St. unterstehen keiner
fortlaufenden Staatsaufsicht, sofern nicht durch die
St. Urkunde die Verwaltung oder Ausfsicht staat-
licher Behörden vorgesehen ist. Soweit eine Zu-
ständigkeit staatlicher Behörden überhaupt besteht,
(Errichtung, Umwandlung, Aufhebung), ist sie den
Gerichten bezw. dem Justiz Min übertragen (A##
z. BSG6Balff). Die Verfassung richtet sich na
den Bestimmungen des Stifters, kann aber dur
Familienschluß geändert werden, und zwar au
dann, wenn die Aenderung durch die St. Urkunde
oder Familienschluß verboten ist (a 2 #& 1). Ein-
gehende Vorschriften über die Familienschlüsse
enthalten die ## 2 ff des a 2.
II. Auch für die öffentlichen St. ent-
hält das ALR II, 19 („von Armenanstalten und
andern m. St.“) die rechtlichen Grundlagen, die
dann durch die spätere Organisationsgesetzgebung
ihre formelle Ergänzung erfahren haben.
Die Verselbständigung des kirchlichen St. Wesens
ist im Grundsatz bereits durch a 15 der Vl in
Aussicht gestellt, aber erst durch die Staatsgesetz-
gebung der siebziger Jahre verwirklicht worden.
(Für die evang. Kirche G v. 3. 6. 76 GS 125
und die entsprechenden Gesetze für die neueren
Provinzen, für die kath. Kirche G v. 20. 6. 75
GS 241 und Gv. 7. 6. 76 GS 149.) Die kirch-
liche Stiftungspflege umfaßt alle milden St.,
deren Verwaltung aus irgend einem Rechtsgrund
kirchlichen Organen zusteht, und untersteht nur
mehr innerhalb der gesetzlich festgesetzten Grenzen
der staatlichen Oberaufsicht.
1. Die Verfassung der weltlichen St.
richtet sich in erster Linie nach dem Inhalt der
St. Urkunde (ALK II, 19 §# 35, Reg Instr v.
23. 10. 17 G#S 148). Der Stifter kann mit staat-
licher Genehmigung auch eine Behörde oder Kor-
poration zur Verwaltung berufen (Immed. Ber.
v. 23. 12. 44). Jedoch ist der Vorstand mit auf-
sichtlicher Genehmigung berechtigt, die Verfassung
zu ändern. (AEG z. BGB a 4 mit A# v. 16. 11.
99 a 5.) Mangels stiftungsmäßiger Anordnungen
steht die Bestellung der Verwaltung und Anord-
nung der inneren Einrichtung nach ALK II 19
ml336 dem Staate zu. In Uebereinstimmung da-
mit überweist die Reg Instr § 199 der Regierung
die Verwaltung, soweit sie nicht verfassungs-,
d. h. stiftungs= oder gesetzmäßig anderen Behör-
den, Gemeinden, Korporationen oder Privaten
zusteht. Ein gesetzliches Recht der Kommunen
zur Verwaltung der örtlichen St. besteht im all-
gemeinen nicht. Die St. O für die östlichen Pro-
vinzen v. 30. 5. 53 Kl 49 und ihr folgend die meisten
andern Gemeindeordnungen halten nur die
stiftungsmäßigen Bestimmungen aufrecht. Da-
gegen ist im Bereich der hannoverischen St.O
v. 24. 6. 58 5 126 die Verwaltung der örtlichen
St. subsidiär Gemeindesache. Die Verwaltung
führt der Magistrat (unmittelbar oder durch be-
sondere Ausschüsse), der in einzelnen Fällen der
Zustimmung des Bürgervorstehers bedarf, und
ihrer Rechnungskontrolle untersteht. In Frank-
furt a. M. ist der Stadtgemeinde die Verwaltun
der damals bestehenden St. durch den Rezeß
v. 26. 2. 69 vorbehalten geblieben (Sartorius,
Die öffentl. milden St. zu Frankfurt a. M. und