Theaterrecht
593
noch kommen Bestimmungen gegen gewerbsmäßige Billet-
händler. Der Entwurf beschränkt sich lediglich auf die Re-
gelung des Bertragsverhältnisses zwischen Bühnenleiter
und Bühnenmitglied.
Viel erörtert ist auch noch das von den Bühnen-
künstlern proklamierte Recht auf Arbeit (der An-
spruch auf angemessene Beschäftigung) und das
einseitige Kündigungsrecht des Bühnenleiters zum
Ablauf des ersten Jahres bei mehrjährigen Ver-
trägen. Auch hier hat allein die Notwendigkeit die
Richtschnur gezogen, nach der die Bestimmungen
geschaffen und gehandhabt werden.
#+# 7. Orgauisationen. Die „Genossen-
schaft deutscher Bühnenangehöri-
ger, die rund 12 000 Mitglieder zählt, hat sich
seit einiger Zeit mit den andern Verbänden, die
am Theater interessiert sind, kartelliert, und zwar
mit dem Allgemeinen deutschen Musikerverband
(16 500 Mitglieder), Chorsängerverband (3000
Mitglieder), Balletunion (500 Mitglieder), Oester-
reichischer Musikerverband (4000 Mitglieder) und
Oesterreichischer Bühnen-Verein (6000 Mitglie-
der). Dazu kommen noch die 3000 Mitglieder der
Artistenloge. Diesen 46 000 Organisierten stehen
gegenüber der „Deutsche Bühnen-Ver-
ein“" mit rund 160 Mitgliedern und der Ver-
band der Varietédirektoren. Eine Anzahl kleinerer
Verbände auf beiden Seiten fällt nicht ins Ge-
wicht, dazu kommen aber noch die technischen
Angestellten mit ihren Verbänden.
Von großem Einflusse auf das Theaterrecht sind
die Bühnenschiedsgerichte gewesen.
Lange Jahre hindurch sind alle Rechtsstreitigkeiten
aus den Bühnenverträgen vor diesen Schiedsge-
richten entschieden worden. Es bestanden mehrere
Instanzen, die Richter setzten sich aus Bühnen-
leitern und Bühnenangehörigen zusammen. Erst
im Jahre 1909 wurden diese Schiedsgerichte, deren
Rechtssprechung gesammelt erschienen ist, aufge-
hoben, nachdem der Bruch zwischen den beiden
großen Verbänden der deutschen Bühne, dem
„Deutschen Bühnen-Verein“ und der „Genossen-
schaft deutscher Bühnenangehöriger“ vollzogen
war. Die Veranlassung zu diesem Zwiespalt war
die Ablehnung des Entwurfes eines Normalver-
trages durch die Generalversammlung der „Genos-
senschaft“, nachdem der „Bühnenverein“ den nach
jahrelangen Vorarbeiten in einer gemischten Kom-
mission ausgearbeiteten Vertrag einstimmig ange-
nommen hatte. Seit dem Jahre 1909hat jeder Ver-
kehr zwischen den beiden Korporationen aufgehört.
5#. Kinematographen. Es ist heute nicht mehr
möglich eine, wenn auch noch so gedrängte, Dar-
stellung des Theaters zu geben, ohne einen Gegen-
stand zu berühren, der mit der dramatischen Kunst
zwar nichts zu tun hat, aber doch ernstlich ihren
Besitzstand gefährdet: den Kinematographen.
Im Jahre 1900 gab es in 33 deutschen Groß-
ädten insgesamt zwei ständige Unternehmungen,
im Jahre 1910 in den gleichen Städten schon 480.
Jetzt sind in Berlin etwa 300 Kinotheater, in
Breslau (520 000 Einw.), in Frankfurt a. M.
(420 000 Einw.), in Hannover (350 000) je etwa
40, in Stuttgart (230 000) 23 Kinotheater u.s.f.
I. Die geltende Rechtslage gewährt den Kine-
matographen nennenswerte Vorteile gegenüber
den Theatern.
Es fehlen die strengen bau= und feuerpolizei-
lichen Vorschriften vollkommen, trotzdem einer
der explosivsten Stoffe, Zelluloid, eine wesentliche
Verwendung findet. Ein weiterer Vorteil gegen-
über den Theatern ist die Möglichkeit, den Betrieb
ununterbrochen fortzuführen — die richtigen Büh-
nen müssen zwischen zwei Vorstellungen minde-
stens zwei bis drei Stunden vollkommen gelüftet
werden. Dazu kommt noch der bequeme Wirt-
schaftsbetrieb, keine genau abgezählten Plätze.
Die Kinos sind ferner befreit von der Verpflich-
tung, für Darstellungen aus der biblischen Ge-
schichte und der Hohenzollernfürsten die Erlaubnis
nachzusuchen, sie können endlich an den Feier-
tagen, an denen die Theater geschlossen bleiben
müssen, Vorstellungen veranstalten.
Der Grund für die Befreiung von all diesen
Vorschriften liegt darin, daß das Kinotheater nach
der Gewerbeordnung nicht konzessionspflichtig
ist. Es kommen vielmehr lediglich formelle Vor-
schriften in Frage: Anmeldepflicht (§ 14), Erlaub-
nis der Ortspolizeibehörde bei Vorführungen eines
Kinematographen von Haus zu Haus usw. (§ 33 a),
Nachsuchung eines Wandergewerbescheines beim
Gewerbebetrieb im Umherziehen (5 55 Ziff. 4)
und Erlaubnis der Ortspolizeibehörde (§ 60 a).
Die Rechtsprechung verweist das Kino unter §5 33 b
GewO (Entsch des OVG v. 11. 5. 03, des Kam-
mergerichts v. 10. 6. 07; Reger, Entscheidungen
der Gerichte und Verw Behörden 28, 195; Urteil
des Kammergerichts v. 11. 6. 08 ([Bd. 36 C 72)).
II. Neue gesetzliche Formen müssen für die neuen
Werke gegossen werden. Das geschieht vorerst
durch Pol Verordnungen. Die wesentlichste ist die
Berliner Pol V v. 30. 4. 10: Kinder unter 14 Jah-
ren dürfen während der öffentlichen Vorführungen.
in den Kinematographentheatern nach 9 Uhr
abends, auch wenn sie in Begleitung Erwachsener
sind, nicht geduldet werden. Diese Verordnung
ist vielfach anderwärts übernommen worden.
Zwei andere Berliner Pol Verordnungen be-
handeln die Ausübung der Zenfur. Es wird
verlangt, daß die Films dem Pol Präsidenten ein-
gereicht und vorgeführt werden. Das Oberver-
waltungsgericht hat sich in verschiedenen Entschei-
dungen, v. 1. 5. 08 (52, 289) und v. 21. 6. 09
(Pr Verw Bl 31, 241) für die Zulässigkeit der Prä-
ventivzensur bei Kinematographentheatern aus-
gesprochen und die Anwendbarkeit des Preßge-
setzes in diesem Falle abgelehnt.
III. Durchgreifend wird aber erst dann Wandel
geschaffen werden können, wenn die Reichsgesetz-
gebung eingreift.
Der Entwurf des Reichstheatergesetzes trägt dem inso-
fern Rechnung, als in den 1 33 a Gew O die „kinemato-
graphischen Borführungen“ einbezogen werden sollen. Die
Genehmigung ist sogar noch weiter von der Prüfung der
Bedürfnisfrage abhängig gemacht. Der „Deutsche Bühnen-
Berein“ hat (1912) in einer Denkschrift über die Kinogefahr
gefordert: 1. Erweiterung des & 33 a GewO auf alle kine-
matographischen Unternehmungen. 2. Anwendung der glei-
chen bau= und feuerpolizeilichen Vorschriften in dem gleichen
Umfang, ohne die geringste Einschränkung auf die Kinemato-
graphen wie auf die wirklichen Theater. 3. Schärfste Hand-
habung der Präventivzensur. 4. Vorschriften über die Dauer
der Vorstellungen und der zwischen den einzelnen Vorstellun-
dgen notwendig zu machenden Pausen. 5. Vorschriften, die
einer Ueberfüllung vorbeugen. 6. Vorschriften über den Kin-
derschutz. 7. Bersagung der Schankkonzession, d. h. Verbot al-
koholischer Getränke. 8. Vorschriften über das Reklamewesen.
0. Besteuerung durch die Kommunalbehörden in erhöhtem.
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch. 2. Aufl. III. 38