Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Theaterrecht 
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noch kommen Bestimmungen gegen gewerbsmäßige Billet- 
händler. Der Entwurf beschränkt sich lediglich auf die Re- 
gelung des Bertragsverhältnisses zwischen Bühnenleiter 
und Bühnenmitglied. 
Viel erörtert ist auch noch das von den Bühnen- 
künstlern proklamierte Recht auf Arbeit (der An- 
spruch auf angemessene Beschäftigung) und das 
einseitige Kündigungsrecht des Bühnenleiters zum 
Ablauf des ersten Jahres bei mehrjährigen Ver- 
trägen. Auch hier hat allein die Notwendigkeit die 
Richtschnur gezogen, nach der die Bestimmungen 
geschaffen und gehandhabt werden. 
#+# 7. Orgauisationen. Die „Genossen- 
schaft deutscher Bühnenangehöri- 
ger, die rund 12 000 Mitglieder zählt, hat sich 
seit einiger Zeit mit den andern Verbänden, die 
am Theater interessiert sind, kartelliert, und zwar 
mit dem Allgemeinen deutschen Musikerverband 
(16 500 Mitglieder), Chorsängerverband (3000 
Mitglieder), Balletunion (500 Mitglieder), Oester- 
reichischer Musikerverband (4000 Mitglieder) und 
Oesterreichischer Bühnen-Verein (6000 Mitglie- 
der). Dazu kommen noch die 3000 Mitglieder der 
Artistenloge. Diesen 46 000 Organisierten stehen 
gegenüber der „Deutsche Bühnen-Ver- 
ein“" mit rund 160 Mitgliedern und der Ver- 
band der Varietédirektoren. Eine Anzahl kleinerer 
Verbände auf beiden Seiten fällt nicht ins Ge- 
wicht, dazu kommen aber noch die technischen 
Angestellten mit ihren Verbänden. 
Von großem Einflusse auf das Theaterrecht sind 
die Bühnenschiedsgerichte gewesen. 
Lange Jahre hindurch sind alle Rechtsstreitigkeiten 
aus den Bühnenverträgen vor diesen Schiedsge- 
richten entschieden worden. Es bestanden mehrere 
Instanzen, die Richter setzten sich aus Bühnen- 
leitern und Bühnenangehörigen zusammen. Erst 
im Jahre 1909 wurden diese Schiedsgerichte, deren 
Rechtssprechung gesammelt erschienen ist, aufge- 
hoben, nachdem der Bruch zwischen den beiden 
großen Verbänden der deutschen Bühne, dem 
„Deutschen Bühnen-Verein“ und der „Genossen- 
schaft deutscher Bühnenangehöriger“ vollzogen 
war. Die Veranlassung zu diesem Zwiespalt war 
die Ablehnung des Entwurfes eines Normalver- 
trages durch die Generalversammlung der „Genos- 
senschaft“, nachdem der „Bühnenverein“ den nach 
jahrelangen Vorarbeiten in einer gemischten Kom- 
mission ausgearbeiteten Vertrag einstimmig ange- 
nommen hatte. Seit dem Jahre 1909hat jeder Ver- 
kehr zwischen den beiden Korporationen aufgehört. 
5#. Kinematographen. Es ist heute nicht mehr 
möglich eine, wenn auch noch so gedrängte, Dar- 
stellung des Theaters zu geben, ohne einen Gegen- 
stand zu berühren, der mit der dramatischen Kunst 
zwar nichts zu tun hat, aber doch ernstlich ihren 
Besitzstand gefährdet: den Kinematographen. 
Im Jahre 1900 gab es in 33 deutschen Groß- 
ädten insgesamt zwei ständige Unternehmungen, 
im Jahre 1910 in den gleichen Städten schon 480. 
Jetzt sind in Berlin etwa 300 Kinotheater, in 
Breslau (520 000 Einw.), in Frankfurt a. M. 
(420 000 Einw.), in Hannover (350 000) je etwa 
40, in Stuttgart (230 000) 23 Kinotheater u.s.f. 
I. Die geltende Rechtslage gewährt den Kine- 
matographen nennenswerte Vorteile gegenüber 
den Theatern. 
Es fehlen die strengen bau= und feuerpolizei- 
lichen Vorschriften vollkommen, trotzdem einer 
  
der explosivsten Stoffe, Zelluloid, eine wesentliche 
Verwendung findet. Ein weiterer Vorteil gegen- 
über den Theatern ist die Möglichkeit, den Betrieb 
ununterbrochen fortzuführen — die richtigen Büh- 
nen müssen zwischen zwei Vorstellungen minde- 
stens zwei bis drei Stunden vollkommen gelüftet 
werden. Dazu kommt noch der bequeme Wirt- 
schaftsbetrieb, keine genau abgezählten Plätze. 
Die Kinos sind ferner befreit von der Verpflich- 
tung, für Darstellungen aus der biblischen Ge- 
schichte und der Hohenzollernfürsten die Erlaubnis 
nachzusuchen, sie können endlich an den Feier- 
tagen, an denen die Theater geschlossen bleiben 
müssen, Vorstellungen veranstalten. 
Der Grund für die Befreiung von all diesen 
Vorschriften liegt darin, daß das Kinotheater nach 
der Gewerbeordnung nicht konzessionspflichtig 
ist. Es kommen vielmehr lediglich formelle Vor- 
schriften in Frage: Anmeldepflicht (§ 14), Erlaub- 
nis der Ortspolizeibehörde bei Vorführungen eines 
Kinematographen von Haus zu Haus usw. (§ 33 a), 
Nachsuchung eines Wandergewerbescheines beim 
Gewerbebetrieb im Umherziehen (5 55 Ziff. 4) 
und Erlaubnis der Ortspolizeibehörde (§ 60 a). 
Die Rechtsprechung verweist das Kino unter §5 33 b 
GewO (Entsch des OVG v. 11. 5. 03, des Kam- 
mergerichts v. 10. 6. 07; Reger, Entscheidungen 
der Gerichte und Verw Behörden 28, 195; Urteil 
des Kammergerichts v. 11. 6. 08 ([Bd. 36 C 72)). 
II. Neue gesetzliche Formen müssen für die neuen 
Werke gegossen werden. Das geschieht vorerst 
durch Pol Verordnungen. Die wesentlichste ist die 
Berliner Pol V v. 30. 4. 10: Kinder unter 14 Jah- 
ren dürfen während der öffentlichen Vorführungen. 
in den Kinematographentheatern nach 9 Uhr 
abends, auch wenn sie in Begleitung Erwachsener 
sind, nicht geduldet werden. Diese Verordnung 
ist vielfach anderwärts übernommen worden. 
Zwei andere Berliner Pol Verordnungen be- 
handeln die Ausübung der Zenfur. Es wird 
verlangt, daß die Films dem Pol Präsidenten ein- 
gereicht und vorgeführt werden. Das Oberver- 
waltungsgericht hat sich in verschiedenen Entschei- 
dungen, v. 1. 5. 08 (52, 289) und v. 21. 6. 09 
(Pr Verw Bl 31, 241) für die Zulässigkeit der Prä- 
ventivzensur bei Kinematographentheatern aus- 
gesprochen und die Anwendbarkeit des Preßge- 
setzes in diesem Falle abgelehnt. 
III. Durchgreifend wird aber erst dann Wandel 
geschaffen werden können, wenn die Reichsgesetz- 
gebung eingreift. 
Der Entwurf des Reichstheatergesetzes trägt dem inso- 
fern Rechnung, als in den 1 33 a Gew O die „kinemato- 
graphischen Borführungen“ einbezogen werden sollen. Die 
Genehmigung ist sogar noch weiter von der Prüfung der 
Bedürfnisfrage abhängig gemacht. Der „Deutsche Bühnen- 
Berein“ hat (1912) in einer Denkschrift über die Kinogefahr 
gefordert: 1. Erweiterung des & 33 a GewO auf alle kine- 
matographischen Unternehmungen. 2. Anwendung der glei- 
chen bau= und feuerpolizeilichen Vorschriften in dem gleichen 
Umfang, ohne die geringste Einschränkung auf die Kinemato- 
graphen wie auf die wirklichen Theater. 3. Schärfste Hand- 
habung der Präventivzensur. 4. Vorschriften über die Dauer 
der Vorstellungen und der zwischen den einzelnen Vorstellun- 
dgen notwendig zu machenden Pausen. 5. Vorschriften, die 
einer Ueberfüllung vorbeugen. 6. Vorschriften über den Kin- 
derschutz. 7. Bersagung der Schankkonzession, d. h. Verbot al- 
koholischer Getränke. 8. Vorschriften über das Reklamewesen. 
0. Besteuerung durch die Kommunalbehörden in erhöhtem. 
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch. 2. Aufl. III. 38
	        
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