Thüringische Staaten (B. Schwarzburg)
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Frankenhausen am Kyffhäuser) mit dem getrennt
liegenden Gerichtsbezirk Schlotheim.
1I. Das Staatsoberhaupt. Der
Fürst ist das souveräne Oberhaupt des Staates;
er vereinigt in sich alle Rechte der obersten Staats-
gewalt innerhalb der Schranken des Grundge-
setzes von 1854 und der Reichsverfassung. Zur
Deckung der Hofhaltung des regierenden Fürsten
und zum Unterhalte der fürstlichen Familie ist
eine Jahresrente bestimmt, welche aus den ge-
samten Einkünften des Domanialvermögens IJTI
(der — 6992 ha umfassenden — Domänen und der
Forsten mit einem Flächengehalt von 21 513 ha)
vorweggenommen wird. Aus den Ueberschüs-
sen werden die Kosten der gesamten Landes-
verwaltung mitbestritten. Ueber die Höhe der
Kameralrente befinden sich weder im Grundge-
setze noch in anderen Gesetzen genaue Bestimmun-
gen. Tatsächlich ist sie seit 1856 für jede Finanz-
periode in den Etat eingestellt und seither aus-
schließlich durch das Etatsgesetz für die Dauer einer
Finanzperiode über die Verwendung der Ein-
nahmen aus dem Domanium verfügt worden.
III. Verfassung. Am 8. 1. 1816 verlieh
der Fürst dem Lande eine ständische Verfassung
(Landesvertretung durch Adel, Bürger und
Bauernstand). Die jetzt geltende Verfassung ist
unter dem 21. 3. 54 gegeben worden (Aenderungen
1861, 1870 Wahlgesetz, 1896 Thronfolge). Hier-
nach ist der Fürst in Gesetzgebung, Verwilligung
und Verwendung von Steuern an die Mitwirkung
des Landtags gebunden, der überdies das Peti-
tions= und Beschwerderecht hat. Der Landtag
besteht aus einer Kammer mit 16 Abgeord-
neten, und zwar 4 Abgeordneten der Höchstbe-
steuerten und 12 Abgeordneten der übrigen
Wähler. Sämtliche Mitglieder des Landtags
gehen aus Wahlen (auf 3 Jahre) hervor. Die
allgemeinen Wahlen werden in 12 Wahlkreisen
vollzogen. Die Höchstbesteuerten sind von den
allgemeinen Wahlen ausgeschlossen und wählen
in 4 Wahlkreisen. Die Wahl erfolgt direkt mit ge-
heimer Abstimmung. Der Landtag nimmt die-
jenige Stellung ein, welche den Landtagen [I der
deutschen Staaten zukommt. Eine Eigentümlich-
keit liegt darin, daß am Schlusse jeder ordentlichen
Landtagsversammlung von dem Landtage ein
Landtagsausschufß bestellt wird, dessen
Wirksamkeit bis zum nächstfolgenden Zusammen-
tritt des ordentlichen Landtags andauert. Der
Landtagsausschuß wird vom Fürsten einberufen,
hat weitgehende Befugnisse, dient wesentlich zur
Geschäftserleichterung und bildet einen wichtigen
Faktor im Staatsorganismus.
IV. Behördenorganismus. A. Die
Verwaltung. Der Fürst übt die Regierung
durch die Landesbehörden aus. An der Spitze des
Ministeriums steeht ein dem Landtage ver-
antwortlicher Minister, welchem zwei dem Land-
tage gleichfalls verantwortliche Abteilungsvor-
stände beigeordnet sind. Die Geschäfte des Mini-
steriums werden in getrennten Fachabteilungen
bearbeitet. Unter der Abteilung für die innere
Verwaltung wirken als Mittelbehörden für die
allgemeine Landesverwaltung 3 Landrats-
ämter zu Rudolstadt, Königsee und Franken-
hausen. Unterstes allgemeines Organ für die Ver-
waltung des Innern ist die Gemeindebe-
hörde (unten V). B. Die Justizpflege.
Es bestehen im Fürstentum 7 Amtsgerichte.
Diese besorgen neben den ihnen durch die Reichs-
prozeßordnungen zugewiesenen Geschäften die
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit;
auch führen sie die nächste Aufsicht über die Stan-
desämter. Notare I[/) kennt die Gesetzgebung
des Fürstentums nicht. Schwarzburg-Rudolstadt
hat mit dem herzoglich sachsen-meiningischen Kreis
Saalfeld und dem königlich preußischen Kreise
Ziegenrück ein gemeinschaftliches Landge-
richt mit dem Sitze in Rudolstadt. Es gehört
zu dem Bezirke des gemeinschaftlichen Ober-
landesgerichts zu Jena. C. Ein Verwal-
tungsgericht besteht bis jetzt nicht im Fürstentum,
es besitzt jedoch in dem Rekurskollegium für Ge-
werbesachen und der Deputation für das Heimat-
wesen zwei diesem Gerichte ähnliche Einrichtungen
und gehört zu dem Bezirke des gemeinschaftlichen
thüringischen Oberverwaltungs-
gericht mit dem Sitze in Jena. Bei dem
Oberverwaltungsgericht können in der Regel an-
gefochten werden: a) die Entscheidungen des Re-
kurskollegiums für Gewerbesachen; b) die in
erster Instanz von dem Ministerium und die in
letzter Instanz von den Landratsämtern oder dem
Ministerium getroffenen Entscheidungen, wenn
diese auch auf Grund bestehender landesrechtlicher
oder ortsstatutarischer Vorschriften endgültig sind
oder ihre Anfechtbarkeit in anderer Weise ausge-
schlossen ist; c) die Entscheidungen der Einkommen-
steuer= und Gewerbesteuer-Berufungskommissio-
nen, sofern nicht das Ergebnis einer Schätzung
Gegenstand der Beschwerde bildet (Gv. 27. 9. 12).
V. Selbstverwaltungskörper, ins-
besondere die Gemeinden. Das
ganze Staatsgebiet zerfällt in Gemeinde= und
Gutsbezirke. Die Gutsbezirke (I haben für den
Umfang des Bezirks alle gesetzlichen Verpflich-
tungen der Ortsgemeinden. Die Gemeinde hat
das Recht der Persönlichkeit und die selbständige
Verwaltung ihrer Angelegenheiten unter gesetzlich
geordneter Oberaufsicht des Staates. Sie wählt
den Gemeindevorstand (Bürgermeister in den
Städten — Schultheißen in den ländlichen Ge-
meinden) und die Mitglieder der Gemeindebe-
hörde, vorbehaltlich der gesetzlich geregelten Be-
stätigung durch die Staatsregierung, hat das Recht,
Gemeindeabgaben zu erheben und unter Aufsicht
des Staates zur Erreichung der Gemeindezwecke
Ortsstatuten zu errichten. Die Gemeinden sind
zu allen Leistungen verpflichtet, die das aus dem
Gemeindezweck abgeleitete Bedürfnis erfordert.
Nach der Gem O v. 9. 6. 76 wird das Bürger= und
Nachbarrecht nicht ohne weiteres kraft Gesetzes
erworben, sobald die vorgeschriebenen Voraus-
setzungen vorhanden sind, sondern erst durch aus-
drückliche Verleihung der Gemeindebehörde. Das
„Nachbarrecht“ erlangt nur derjenige, welcher mit
Grundbesitz angesessen ist. In der GemO von
1876 ist den Frauen die Möglichkeit gegeben,
Bürgerinnen und Nachbarinnen zu werden. Der
Bürgermeister wird nicht vom Stadtratskolle-
gium, sondern von der gesamten Bürgerschaft ge-
wählt. Das einfache Mehrheitsprinzip gilt über-
haupt für die Gemeindewahlen; auch die Wahlen
des Stadt= und Gemeinderats gehen aus dem all-
gemeinen geheimen und direkten Wahlrecht hervor.
VI. Die Kirche. Landeskirche ist die evan-
gelisch-lutherische. In ihr übt der Fürst die Kir-