Thüringische Staaten (C. Reuß)
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Landesdomanialfonds betr.). Eine Zivilliste er-
hätt der Fürst nicht. Das landesherrliche Fidei-
ommißvermögen wird von der Fürstl. Kammer
in Schleiz verwaltet, die Behördeneigenschaft hat
und unmittelbar unter dem Fürsten steht.
§5 2. Die Bolksvertretung.
A. Aeltere Linie. Der Landtag besteht
aus 15 Abgeordneten und 15 Stellvertretern.
3 von ihnen ernennt der Landesherr, 2 wählen
gewisse Großgrundbesitzer aus ihrer Mitte, 7 wäh-
en in allgemeinen Wahlen die übrigen Wahlbe-
rechtigten; dazu kommen die ersten und als Stell-
vertreter die zweiten Bürgermeister von Greiz
und Zeulenroda und 1 Abgeordneter, der nebst
seinem Stellvertreter von den Landgemeindevor-
stehern aus ihrer Mitte gewählt wird. Die Wahl-
zeit beträgt 6 Jahre; alle 3 Jahre scheidet ein
Teil der Abgeordneten aus. Die Wahlen erfolgen
direkt und geheim unter Abgabe von Stimm-
zetteln und nach absoluter Mehrheit der abge-
gebenen Stimmen. Ueber die Gültigkeit der
Wahlen entscheidet endgültig der Landtag.
Die Abgeordneten sind nicht an Aufträge und
Instruktionen gebunden. Sie erhalten Tagegelder.
Der Landtag regelt den Geschäftsgang durch eine
Geschäftsordnung und wählt einen Vorsitzenden
nebst Stellvertreter aus seiner Mitte, einen Schrift-
führer aus den inländischen Rechtskundigen. Die
Verhandlungen sind in der Regel öffentlich. Be-
ratungsfähig ist der Landtag wenn 8, beschluß-
fähig wenn 10 Abgeordnete anwesend sind; es
entscheidet einfache Stimmenmehrheit, abgesehen
vonden in der Verfassung vorgesehenen besonderen
ällen.
Der Landtag bewilligt die Ausschreibung und
Erhebung der Landesabgaben und genehmigt den
Etat und die Aufnahme neuer Staatsschulden.
Seine Zustimmung ist für den Erlaß von Gesetzen
erforderlich. Er hat das Recht der Beschwerde
gegen Staatsdiener (nicht des Gesetzesvorschlags).
Während der Landtag nicht versammelt ist, er-
ledigt der Vorsitzende des letzten Landtags oder
sein Vertreter diejenigen Landtagsgeschäfte, für
die nicht die Mitwirkung des Plenums vorge-
schrieben ist (Verf v. 28. 3. 67, Nachtrags Gv.
18. 5. 13, das im Herbst 1914 in Kraft treten wird).
B8. Jüngere Linie. Nach dem Landtags-
wahl G v. 8. 1. 13 besteht der Landtag aus dem
Fürstl. Besitzer des Reuß-Köstritzer Paragiums,
3 Abgeordneten der Hoöchstbesteuerten (über
7500 Mk. Einkommen) und 17 Abgeordneten der
übrigen Wähler. Die Wahlzeit beträgt 4 Jahre.
Die Höchstbesteuerten haben nur je 1 Stimme.
Für die übrigen Wähler ist je nach Einkommen-
höhe, Grundbesitzumfang, Alter, Bildung ein
Pluralwahlrecht mit 1—5 Stimmen eingeführt.
Die 3 Abgeordneten der Höchstbesteuerten wer-
den in direkter Wahl einheitlich von sämtlichen
Wahlberechtigten gewählt. Die Wahl der übri-
gen Abgeordneten geschieht einzeln und direkt
in 17 Wahlkreisen. Alle Wahlen erfolgen öffent-
lich durch Abgabe von Stimmzetteln in gestem-
pelten Umschlägen und nach absoluter Mehrheit
der abgegebenen Stimmen. Ueber die Gültig-
keit der Wahlen entscheidet endgültig der Landtag.
Die Abgeordneten sind nicht an Aufträge und
Instruktionen gebunden. Sie erhalten eine tägliche
Auslösung. Der Landtag regelt den Geschäfts-
gang durch eine Geschäftsordnung und wählt
einen Präsidenten, einen Vizepräsidenten und
einen Schriftführer aus seiner Mitte. Die Ver-
handlungen sind in der Regel öffentlich. Minde-
stens ein Mitglied oder ein Beauftragter des Min
muß an ihnen teilnehmen. Beschlußfähig ist der
Landtag bei Anwesenheit von /# aller Abgeord-
neten. Beschlüsse (auch bei Verf Aenderungen)
kommen durch einfache Mehrheit zustande. Der
Landtag wählt drei Ausschüsse (1. für
Petitionen, 2. für die Finanzen, 3. fürs Justiz-
wesen). Gewisse Befugnisse, namentlich Rech-
nungsabnahme, zwischen zwei ordentlichen Land-
tagen hat der aus dem letzten Landtagspräsidenten
und 2 Abgeordneten bestehende Landtags-
ausschusß.
Der Landtag bewilligt neue Steuern und ge-
nehmigt den Etat, die Aufnahme neuer Staats-
schulden, die Ausgabe von Kassenscheinen und die
Veräußerung von Staatsgrundstücken im Werte
von mehr als 1000 Mk. Er überwacht das gesamte
Staatsvermögen. Jhm ist jährlich über Verwen-
dung der Staatseinnahmen Rechnung zu legen.
Für den Erlaß von Gesetzen bedarf der Landesherr
der Zustimmung des Landtags. Dieser hat das
Recht des Gesetzesvorschlags, der Beschwerde
gegen Behörden, der Adresse, der Ministeranklage.
8 3. Behörden und Beamte.
A. Aeltere Linie.
1. Behörden. Oberste Staatsverwaltungs-
behörde ist die Landesregierung in
Greiz (Kollegialbehörde ohne Ressorteinteilung),
oberste Kirchen= und Schulbehörde das Konsi-
storium daselbst (Kollegialbehörde). Die An-
gelegenheiten des fürstlichen Hauses verwaltet
das Geheime Kabinett. Unter der Lan-
desregierung stehen das Landesbauamt,
das Straßenbauamt, die Fabrikin-
spektion (Gewerbeinspektor), 3 Physici,
der Landestierarzt, das Kataster-
amt, die Landrentenbank, deren Vor-
stand zugleich derjenige des Rechnungsamts
ist, das Steueramt.
Für das ganze Staatsgebiet besteht ein Land-
ratsamt in Greiz als Landespolizeibehörde
und als Aufsichtsbehörde der Landgemeinden.
Sein Vorstand (Landrat) übt die Aufsicht über
den Landarmenverband und enischei-
det in Armenstreitsachen in 1. Instanz; 2. Instanz
ist das Heimatsamt. Der Amtsrichter in
Burgk ist von der Landesregierung mit der Wahr-
nehmung einzelner landratsamtlicher Geschäfte
beauftragt. Der Landesausschuß (Land-
rat als Vorsitzender, ein Vertreter der F. Kammer
# 1 A, der erste Bürgermeister von Greiz und 6
auf 4 Jahre gewählte Vertreter der Gemeinden
und exkommunalisierten Rittergüter) ist erste In-
stanz in allen Sachen, für die reichs= und landes-
rechtlich Instanzenzug nach §§ 20, 21 der GewO
vorgeschrieben ist. Die Aufsicht über die Städte
führt die Aufsichtsbehörde über städ-
tische Gemeindeverwaltung (Vor-
stand, 2 Mitglieder, 2 Stellvertreter).
Die Gemeinden (2 Städte, 73 Landgemeinden)
sind juristische Personen und haben die selbständige
Verwaltung unter Aufsicht des Staates. Ihre
Organe sind die Gemeindeversamm-
lung, der Gemeinderat und der Ge-
meindevorstand (Gemeindevorsteher und
Stellvertreter).