Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Vereine und Versammlungen 
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Durch das Halten von Grabreden 
durch Laien kann ein Leichenbegängnis zu 
einem ungewöhnlichen werden; daß dies immer 
der Fall sein müsse, ist nicht zuzugeben; 
b) „Züge von Hochzeitsgesellschaf- 
ten“ darstellen, wo sie hergebracht sind. 
In diesen beiden Fällen darf weder eine Ge- 
nehmigung noch eine Anzeige verlangt werden; 
) bezüglich der „anderen Aufzüge“, nämlich 
derjenigen, die nicht zu a oder b gehören, bleibt 
es der Landeszentralbehörde überlassen, zu be- 
stimmen, daß sie der Anzeige und der Genehmi- 
gung nicht bedürfen und d), daß Auszüge, die 
durch mehrere Ortschaften führen, nur einer 
Pol Behörde angezeigt oder von ihr genehmigt 
zu werden brauchen. 
Diese Ausnahmen von der Genehmigungs- 
pflicht sind erschöpfend (§ 9 RV). 
§5 7. Die äußere Organisation des Bersamm- 
lungswesens und zusammenhängende Fragen. 
I. Das Waffentragen (/II bei öffentlichen 
Vers. und Aufzügen (§ 11) ist verboten. Jede 
öffentliche politische Vers. muß einen 
Leiter haben. Es ist allerdings keine Straf- 
bestimmung gegeben, wenn kein Leiter vorhanden 
ist. Begrifflich von ihm verschieden ist der Ver- 
anstalter; allerdings kann Leiter und Veranstalter 
identisch sein, denn nach dem Gesetz ist der Ver- 
anstalter berechtigt, die Leitung selbst zu über- 
nehmen; er kann sie auch einem anderen über- 
tragen oder die Wahl des Leiters durch die Vers. 
veranlassen. Der Leiter hat für Ruhe und Ord- 
nung in der Versammlung zu sorgen, er kann das 
Wort entziehen und hinausweisen, auch die etwa 
anwesenden Pol Beamten um ihre Hilfe angehen; 
als letztes durchgreifendes Mittel steht ihm die 
Befugnis zu, die Vers. aufzulösen und zwar mit 
der Wirkung, die einer Auflösung durch die Pol- 
Behörde gleich steht (ss 10, 16, 18 Ziff. 4). 
II. In öffentlichen Vers., nicht nur in den politi- 
schen, muß in deutscher Sprache ver- 
handelt werden. Alle nicht öffentlichen Vers., 
z. B. V. Verf., sind nicht sprachenpflichtig. Es 
muß aber eine Verhandlung stattfinden, nicht 
bloß ein bloßes Zitieren. Sogenannte stumme 
Verhandlungen, in denen das Notwendige auf 
eine Tafel geschrieben, der Vortrag gedruckt ver- 
teilt und auf ihn hingewiesen, endlich eine Reso- 
lution schriftlich veranlaßt wird, verstößt als Um- 
gehungsversuch gegen das Gesetz. 
Ausnahmen von der Sprachenpflicht sind 
zugelassen. Bedingungslos sind von dem 
Verbote frei: internationale Kongresse, insbe- 
sondere wissenschaftliche, künstlerische, aber auch 
politische, z. B. interparlamentarische Friedens- 
konkresse, ferner Vers. der Wahlberechtigten 
zum Betriebe der Wahlen für den Reichstag 
und für die gesetzgebenden Vers. der Bundes- 
staaten vom Tage der amtlichen Bekannt- 
machung des Wahltages bis zur Beendi- 
gung der Wahlhandlung. Bedingt sind von 
dem Sprachenverbot frei Vers., hinsichtlich deren 
die Landesgesetzgebung Ausnahmen bestimmt 
und solche, hinsichtlich deren von der Landes- 
zentralbehörde in den Grenzen des Landesrechts 
Ausnahmen für zulässig erklärt werden, endlich 
Vers. hinsichtlich der „alteingesessenen Bevölke- 
rungsteile nicht deutscher Muttersprache“, sofern 
diese Bevölkerungsteile nach dem Ergebnis der 
  
jeweils letzten Volkszählung 60 vom Hundert der 
Gesamtbevölkerung übersteigen. Die Gestattung 
einer nicht deutschen Sprache ist nur vorgesehen 
während der ersten 20 Jahre nach dem Inkraft- 
treten des RV, also bis zum 25. 5. 1928. Der 
Veranstalter hat mindestens dreimal 24 Stunden 
vor ihrem Beginn der PolBehörde die Anzeige- 
zu erstatten, daß und in welcher nichtdeutschen 
Sprache die Verhandlungen geführt werden sol- 
len. Die Voraussetzungen der Anmeldung müssen 
gewahrt sein, demnach Zeit, Ort der Vers., Name 
des Veranstalters usw. (§ 12). 
III. Von großer Bedeutung sind die Stellung 
und die Aufgaben der Polizei. Es ist ein Zu- 
lassungs- und Entsendungsrecht, kein Ueber- 
wachungsrecht vorgesehen. Die Beauftragten 
der Pol Behörde haben sich unter Kundgebung 
ihrer Eigenschaft dem Leiter, oder, solange dieser 
nicht bestellt ist, dem Veranstalter einer öffent- 
lichen Vers. zu erkennen zu geben. Es muß ihnen 
ein angemessener Platz eingeräumt werden, doch 
darf die Polizeibehörde nicht mehr als zwei Be- 
auftragte entsenden. Im Falle der Weigerung 
der Zulassung kann die Vers. aufgelöst wer- 
den. Dieses Auflösungsrecht ist auch in einer 
Reihe von anderen Fällen gegeben, so wenn die 
im Sprachenparagraphen vorgesehene Bescheini- 
gung über die ordnungsmäßige Anzeige nicht 
vorgelegt werden kann, wenn die Genehmigung 
zur Abhaltung von öffentlichen Versammlungen 
unter freiem Himmel oder Aufzügen auf öffent- 
  
lichen Straßen oder Plätzen nicht erteilt ist, wenn 
Bewaffnete, die unbefugt in der Vers. anwesend 
sind, nicht entfernt werden; wenn in der Vers. 
Anträge oder Vorschläge erörtert werden, die eine 
Aufforderung oder Anreizung zu Verbrechen oder 
nicht nur auf Antrag zu verfolgenden Vergehen 
enthalten, wenn Rednern, die sich verbotswidrig. 
einer nichtdeutschen Sprache bedienen, auf Auf- 
forderung der Beauftragten der Pol Behörde von 
dem Leiter oder Veranstalter der Vers. das Wort 
nicht entzogen wird. Sobald eine Vers. für auf- 
gelöst erklärt worden ist, hat die Pol Behörde dem 
Leiter die mit Tatsachen zu belegenden Gründe 
der Auflösung schriftlich mitzuteilen, falls er dies 
binnen drei Tagen beantragt. Alle Anwesenden 
sind verpflichtet, sich sofort aus der aufgelösten 
Vers. zu entfernen, widrigenfalls sie einer Strafe 
verfallen. Die Auflösung kann auf dem Wege 
des Verw Streitverfahrens oder des Rekurses an- 
gefochten werden (IK 13—16 R). 
IV. Strafbestimmungen (§# 18, 19) sichern 
die Durchführung der Vorschriften des Gesetzes. 
Kiteratur (in zeitlicher Reihenfolge ausge führt): 
Lisco, Die deutschen Vereinsgesetze, 1881; Mascher, 
Das Bers.= und B. Recht Deutschlands, 1892; Berger, 
Politik der Gesetze ves B.= und Bers. Rechts in den deut- 
schen Einzelstaaten, Verwürch 1, 542 ff; 2, 290 ff; Gro- 
schuff-Eichhorn- Delius, Preußische Strasge- 
setze, 1904 S 42 ff; Petri, Gesetz über das öffentliche 
B.= und Vers. Recht für Elsaß-Lothringen v. 21. 6ö. 05, 1905; 
Delius, Das preußische B.= und Bers.Recht", 1905; 
Laband, Zum Entwurf des B. Gesetzes, DJ 1908. 
S 1—9; Gesscken, Oessentliche Angelegenheit, politi- 
scher Gegenstand und politischer Berein nach preußischem 
Recht (Festschrift für Friedberg, 1908 S 287—311); 
Adolph, B. Gesetz (Reichsausgabe), 1908; Frie- 
denthal, Das Reichsvereinsgesetz, 1908; Heine,
	        
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