Verwaltung, Verwaltungsrecht
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werden: Justiz ist das, was die ordent-
lichen Gerichte in Ausübung ihrer
richterlichen Funktionen, bei denen sie
keiner Autorität als der der Gesetze (also keinen
Dienstanweisungen) unterworfen sind, tun, —
Verwaltung das, was die Verwal-
tungsbehörden auf Grund gesetzlicher
Ermächtigungen tun.
Selbst weitere formale Kriterien können
in die Begriffsbestimmungen nicht ausgenommen
werden, da für beide Behördenarten eine Fülle
von verschiedenen Verfahrensformen aus-
ebildet sind, die sich einander stark annähern.
#eben dem „gewöhnlichen“ streitigen Gerichts-
verfahren stehen Amtsgerichtsprozeß, Mahnver-
fahren, die familienrechtlichen Prozeßformen,
das Aufgebotsverfahren, die Verfahrensarten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ebenso bestehen
(vgl. zum Folgenden auch O. Mueller, Die Be-
griffe der VerwRPflege und des Verwtreit-
verfahrens 1895) für die Verw Behörden die Nor-
men des dem gerichtlichen Verfahren angenäherten
Beschlußverfahrens IN/1, ja innerhalb des gewöhn-
lichen Verw Verfahrens zahlreiche Formvorschrif-
ten, die eine Anhörung der Beteiligten vorschrei-
ben. Der Verw'rganismus hat sich sogar elastisch
genug gezeigt, um neben dem Beschlußverfahren [(N
ein wirkliches gerichtliches Verwaltungsstreitver-
fahren [J] zu entwickeln, für das in der obersten
Instanz überall eine sich als Gericht bezeichnende
Behörde besteht, die — ohne in den Organismus
der Justiz eingegliedert und ohne den Normen
des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Ver-
fassungsurkunden über die richterliche Gewalt
unterworfen zu sein — auf Grund einfacher Ge-
setzggebung die höchsten Garantien richterlicher
Unabhängigkeit besitzt. Auch in der Finanzver-
waltung [J|] bestehen solche „unabhängigen“
Behörden. Dieser rein formellen gegenseitigen
Annäherung von Justiz und Verw ist es zu dan-
ken, daß der frühere Gegensatz beider an Schärfe
bedeutend verloren hat, und die Zuweisung be-
stimmter Materien an das eine oder andere for-
melle Hoheitsrecht ohne Doktrinarismus nach
reinen Zweckmäßigkeitserwägungen erfolgen kann.
Auf ihr beruhen auch die fruchtbaren Analogien,
die W. Jellinek und Kormann aus dem Prozeß-
recht für das Verwr zu verwerten gewußt haben
(vgl. auch Spiegel, Die Verwf Wissenschaft 79 ff).
2. Wegen des Vorranges des Gesetzes gegenüber
der Verw war über deren formelle Beziehungen
nichts weiter zu sagen; dagegen macht die
prinzipielle Koordination von Justiz
und Verwaltung deren formelle Be-
ziehungen zu sehr komplizierten.
Grundsätzlich ist, im Gegensatz zum französischen
Recht, bei uns jede in ihrem Gebiet selbständig,
und löst in ihren Formen die für ihre Entschei-
dungen präsudizierlichen Vorfragen (vgl. auch
Friedrichs, LWVG S 11f). Aber diese grundsätz-
liche gegenseitige Unabhängigkeit muß oft hinter
dem Gedanken, daß beide doch Zweige der
einheitlichen Staatsgewalt sind, zurück-
treten, woraus sich erst neuerdings eingehender
von Kuttner, Stein und Kormann untersuchte
schwierige Probleme ergeben.
Außer Beziehungen gegenseiti-
9e ßoer Unterstützungtz. B. Amtshilfe ([M und
itteilungspflichten) gibtes Beziehungen
gegenseitiger Bindung. Wo aus-
drückliche Normen bestehen, die die Bindung
vorschreiben oder ausschließen, können höchstens
Subsumtionsschwierigkeiten auftauchen. Aber be-
reits, wo die richterliche Prüfung von
Verwaltungsakten durch die Generalklausel,
daß sie sich nicht auf die Zweckmäßigkeit oder auf
Ermessensfragen erstrecken dürfe, eine Bin-
dung erfährt, ist eine umfangreiche Literatur ent-
standen: vgl. neuestens v. Laun, Das freie Ermes-
sen und seine Grenzen, 1910; Ders., Zum Problem
des freien Ermessens in der Festschrift für Zitel-
mann; W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und
Zweckmäßigkeitserwägung, 1913; Friedrichs, Pol-
VG S 252f, 262fj; Kelsen, Hauptprobleme d.
Staatsrechtslehre S 503 f; Bühler, Die subjek-
tiven öffentlichen Rechte, 1914.
Infolge der „normativen Natur“ und des „Blankett-
charakters“ aller Rechtsbegriffe (ugl. E. Kaufmann, Wesen
des VBölkerrechts S 84 f, 213 ) muß in der ESubsumtion
unter Ermessen gewährende Rechtssätze stets eine ge-
wisse Ermessenskontrolle liegen, die den Gegensatz des
freien Ermessens und der strengen Gebundenheit zu einem
bloß relativen macht, so daß solgerichtig die Frage nach
den Grenzen des Ermessens eine Rechtsfrage ist (Flei.
ner S 128).
Bei der positivrechtlichen Verschiedenheit in der Aus-
çestaltung, die die einzelnen Verwülkte sormell und ma-
teriell erfahren haben, dürften einheitliche „natürliche
Rechtsregeln“ nicht aufzeigbar sein, außer der einen, daß
der einen Berwülkt nachprüsende Richter mit dem erfor-
derlichen Takt versahren muß, um sich nicht an die Stelle
der VerwBehörde zu setzen, daß er sich darauf zu be-
schränken hat, die Einhaltung der vom positiven Recht je-
weils gewollten äußersten rechtlichen Schranken zu kontrol-
lieren, daß er darauf zu sehen hat, daß der Maßstab des
bonus pater famillas“, des „ordentlichen VerwBeamten“
(O. Mayer 1, 193) eingehalten werde, daß der Verwalt „in
the exercise of a reasonable dliscretlon“, wie man in England
und der Union sagt, ergangen ist, — domit er die Initiative
und die Selbstverantwortlichkeit der Behörden nicht lähmt.
Da es sich hier um eine Taktfrage handelt, ist es klar, daß
die Praxis der verschiedenen Gerichte sich ihre besonderen
(ev. auch wechselnden) Traditionen schafsen wird. Die
Parallele bildet nicht die Stellung des Richters zum Gesetz,
sondern seine Prüsung von Aeußerungen der Korporations-
und Vertragsfreiheit: auch hier hat er sich von jeder bureau-
kratischen Besserwisserei sernzuholten (val. als Beispiel
Delius, Ausschluß aus Vereinen, Verwürch 22, 223 fjß,
um die Initiative des gesellschaftlichen Selbstbetriebes
nicht zu lähmen;: auch hier ist es nicht möglich, andere als
ganz formale Kriterien für die „Grenzen der Vertragsfreiheit“
zu finden, die der Ausfüllung aus den unerdlich verschie-
denen „Wesenszwecken“ der einzelnen Geschäftstypen be-
dürfen (ugl. Stammler, Lehre v. richtig. Rechte 282 f und
dazu E. Kaufmann a. a. O. S 174 f, 205 f, 213 f, 217 fj.
Wo ausdrückliche Normen gänzlich fehlen,
wachsen die Schwierigkeiten. Man hat hierfür
die beiden Begriffe der Tatbestands-
wirkung und der Feststellungswirkung
aufgestellt, ohne freilich bisher auch nur über die
Abgrenzung dieser beiden Kategorien Einigkeit er-
zielt zu haben, indem Kormann die von rechtsge-
staltenden Staatsakten ausgehende Fernwirkung
als Tatbestandswirkung, Stein als Wirkung der
materiellen Rechtskraft auffaßt. Man wird sich
jedenfalls wohl ebenso davor zu hüten haben, zu
leicht einen rechtsgestaltenden Verwkt anzuneh-
men, der die Nachprüfbarkeit der Gerichte ein-